Interview

Interview mit dem EVZ-Vorsitzenden ''Es kommt etwas in Bewegung''

Stand: 30.09.2006 12:13 Uhr

Michael Jansen ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Er koordinierte die Auszahlung der Entschädigungen für ehemalige Zwangsarbeiter. Mittagesschau.de sprach er über den Aufbau der Stiftung und ihre Zukunft.

tagesschau.de: Herr Jansen, was waren die größten Probleme bei den Entschädigungszahlungen?

Michael Jansen: Am Anfang die fehlende Struktur. Es gab ja keine Erfahrung mit solchen Zahlungen. Wir mussten Verträge mit unseren Partnern abschließen. Wir waren nicht sicher, wer nach den Vorgaben des Stiftungsgesetzes wirklich berechtigt war. Die Hunderttausenden einströmenden Anträge mussten gesichtet und überprüft werden, wir hatten ein individualisiertes Antrags-, Bearbeitungs-, Genehmigungs- und Auszahlungsverfahren eingeführt. Darüber hinaus saßen wir immer in der Klemme: Auf der einen Seite die Anforderung, schnell an die Überlebenden auszuzahlen. Auf der anderen Seite hieß es hier: Und wehe, es kommt nur eine einzige Mark weg!

tagesschau.de: Die Wirtschaft hat sich seinerzeit sehr schwer damit getan, ihren Anteil an der Summe aufzubringen. Gab es beschämende Situationen?

Jansen: Ich habe keine erlebt. Die Wirtschaft ist ja keine verfasste Institution, sie gliederte sich am Ende in 7000 Unternehmen auf, mit denen man verhandeln musste. Es gibt Abläufe in Unternehmen, Vorstände, Verwaltungsräte.Das dauert eben seine Zeit. Ich fand die Diskussion in den Medien ein bisschen selbstgerecht. Manche Unternehmen haben es als Ehrensache betrachtet, als eine moralische Frage. Aber natürlich spielten auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle. Wir tun ja nicht alles nur aus Moral, sondern aus unterschiedlichen Motiven: Auch, weil es uns gut tut, oder weil es ein Problem löst.

tagesschau.de: Warum kam es erst unter Rot-Grün zu diesem Gesetz?

Jansen: Altkanzler Gerhard Schröder hat in der Tat auf diesem Gebiet Großes geleistet. Schröders erste Reise als Kanzler führte in die USA. Zu dieser Zeit drohten von dort Sammelklagen ehemaliger Zwangsarbeiter. Auch dem damaligen US-Präsident Bill Clinton war an einer Regelung gelegen, denn den Amerikanern war es unangenehm, dass große deutsche Unternehmen, die in den USA Hunderttausende Menschen beschäftigten, in eine moralische Schieflage geraten. Deshalb wurde die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter auf die Regierungsebene gehoben. Hinzu kam das gute Verhältnis zwischen Schröder und Clinton. Ich bin nicht sicher, ob wir eine solche Einigung erzielt hätten, als die Streitigkeiten mit Präsident George W. Bush aufkamen. Insofern glaube ich, dass wir ein günstiges Zeitfenster erwischt haben.

tagesschau.de: Gab es ehemalige Zwangsarbeiter, die die Zahlungen ausdrücklich nicht annehmen wollten?

Jansen: Wir hatten sicher den einen oder anderen Fall, dass Leute keinen Antrag gestellt haben, weil sie heute noch sagen: 'Von denen nehmen wir nichts, die haben meine Familie ausgelöscht.’ Aber das sind verschwindend wenige. Es gab Leute, die die Quittung nicht unterschrieben haben: Mit dieser Unterschrift verpflichten sich die Empfänger des Geldes, von allen weiteren Ansprüchen abzusehen. In zwei Fällen wollten Leute das Geld nicht annehmen, sondern auf einen realen Arbeitslohn klagen. Aber das ist absolut aussichtslos.

tagesschau.de: Wie geht es jetzt – nach dem Ende der Zahlungen – weiter?

Jansen: Die Stiftung konzentriert sich künftig auf den Kern des Zukunftsfonds und wird sich der Versöhnungs- und Friedensarbeit weiter widmen. Seit dem Beginn im Jahr 2001 haben wir weit über 1000 Projekte durchgeführt: Jugendaustausch, Stipendien, Sorge für Überlebende - eine Vielzahl von zukunftsweisenden Dingen. Das wird eine dauerhafte Einrichtung bleiben. Wir haben aus dem Ausland viele Anfragen gehabt, von Indios aus Mittelamerika, von der südafrikanischen Versöhnungskommission. Es kommt etwas in Bewegung. Es ist retrospektiv eine Erfolgsgeschichte. Den Auftrag, der uns von der Bundesregierung erteilt wurde - den haben wir erfüllt.

tagesschau.de: Was war das für Sie rührendste Erlebnis während Ihrer Stiftungsarbeit?

Jansen: Als sich bei einer Veranstaltung in Polen ein alter Mann für ein von uns initiierten Projekt bei mir bedankte - mit den Worten: 'Wir haben die Deutschen so gehasst. Aber durch Ihr Projekt können wir in Ruhe sterben.'

Das Interview führte Nicole Diekmann, tagesschau.de.