Interview

Interview zu Linksextremismus und G8 "Keine Verbindung zum Terrorismus"

Stand: 15.05.2007 00:44 Uhr

Die Aktivitäten von Linksextremisten waren in Deutschland lange Jahre kaum ein Thema. Im Vorfeld des G8-Gipfels hat sich das geändert. Der Protestforscher Dieter Rucht spricht im Interview mit tagesschau.de über die Ziele der extremen Linken und ihr Verhältnis zur Gewalt.

Die Aktivitäten radikaler Linker waren in Deutschland lange Jahre kaum ein Thema. Im Vorfeld des G8-Gipfels hat sich das geändert - auch für die Anti-Globalisierungs-Bewegung ist er ein Großereignis. Der Protestforscher Dieter Rucht spricht im Interview über die Ziele der extremen Linken und ihr Verhältnis zur Gewalt.

tagesschau.de: Erst die RAF-Debatte, dann Razzien der Bundesanwaltschaft bei Globalisierungskritikern - warum erfährt der Linksextremismus auf einmal wieder solche Aufmerksamkeit?

Dieter Rucht: Der Protest gegen den G8-Gipfel kommt überwiegend aus dem linken Lager. Die rechtsextreme Szene macht auch Stimmung gegen Globalisierung, aber nur auf eigenen, kleineren Veranstaltungen. Die Proteste, die viele Leute auf die Beine bringen, werden im Wesentlichen vom linken Spektrum getragen.

tagesschau.de: In diesem linken Spektrum finden sich aber eine ganze Menge unterschiedlicher Gruppen.

Rucht: In der Tat. Nicht einmal das Wort links bildet das alles ab. Das Spektrum reicht von linksradikal im engeren Wortsinne über gemäßigtere Gruppen bis ins sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Lager hinein und zu christlichen Gruppen. Die wirklich radikalen Gruppen haben keine konkreten Namen, sondern treten nur unter Sammelbezeichnungen auf. Dazwischen gibt es Gruppen wie die "Interventionistische Linke", die nicht zum radikalen Rand gehören; sie versuchen, eine Brücke ins gemäßigte Lager zu schlagen.

Dieter Rucht

Der Politikwissenschaftler leitet die Forschungsgruppe "Zivilgesellschaft, Citizenship und politische Mobilisierung in Europa" am Wissenschaftszentrum Berlin. Er ist Mitherausgeber eines Handbuchs über "Soziale Bewegungen in Deutschland seit 1949".

"Selbst negative Berichterstattung schon Erfolg"

tagesschau.de: Was sind dabei die politischen Ziele der radikalen Linken?

Rucht: Die Faustformel heißt: "G8 delegitimieren". Das kann erst einmal bedeuten, dass man Politiken, für die die G8 stehen, in Frage stellt und die Nachteile aufzeigt, die sie für bestimmte Bevölkerungsteile haben. "Delegitimieren" kann aber auch heißen, dass man versucht, die offiziellen Gipfelveranstaltungen zu behindern, so wie das etwa 1999 bei der WTO-Konferenz in Seattle versucht wurde.

tagesschau.de: Ist es also nur eine Anti-Haltung? Was wollen die Gipfel-Gegner erreichen?

Rucht: Erst einmal will man natürlich große Aufmerksamkeit erreichen und Eindruck vermitteln, dass diese Veranstaltung so nicht hingenommen wird. Selbst wenn die Berichterstattung über die Proteste eher negativ-kritisch verläuft, wird das Auge der Öffentlichkeit auf die Tatsache gelenkt, dass es Protest gab. Vielen G8-Gegnern genügt das aufs Erste.

"Ich halte die Razzien für überzogen"

tagesschau.de: Im Zusammenhang mit den Razzien der Bundesanwaltschaft bei G8-Gegnern fiel das Stichwort "Linksterrorismus". Ist das gerechtfertigt?

Rucht: Ich kenne natürlich nicht die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes. Ich habe aber mit Leuten aus den Protest-Organisationen gesprochen und halte die Durchsuchungen nach allem, was ich gesehen und gehört habe, für eine überzogene Aktion. Ich glaube, innerhalb der Linken ist - seit den Erfahrungen mit der RAF spätestens seit den späten siebziger Jahren - das Thema Terrorismus nicht mehr aktuell.

Es gibt zwar immer wieder Gruppen, die die Konfrontation mit der Polizei suchen, manchmal sogar ritualisiert wie beim 1. Mai in Berlin. Aber das sind eher Provokationen, gelegentlich tätliche Übergriffe auf Sachen und Personen - aber nichts, was ich mit dem Begriff "Terrorismus" belegen würde. Denn Terrorismus ist ein kühl kalkuliertes, strategisches Vorgehen, bei dem es darum geht, Menschen zu töten oder das zumindest in Kauf zu nehmen, um ein Staatswesen gleichsam aus den Angeln heben zu wollen.

tagesschau.de: Die Gewerkschaft der Polizei befürchtet, die Debatte um die Verbrechen der RAF sei "eine ganz gefährliche Mischung": Alte RAF-Kader hätten Einfluss auf die linksradikale Szene.

Rucht: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Die Terroristen, die verurteilt wurden und jetzt noch im Gefängnis sitzen oder bereits wieder freigelassen wurden, sind ziemlich isoliert. Da mag es noch eine schwache Sympathisantenszene geben, die aus einer Solidarität aus der Vergangenheit herrührt. Aber was terroristische Akte in der Bundesrepublik angeht: Da gibt es einfach niemanden, der dazu steht oder im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel dazu aufgerufen hätte.

"Ich will das nicht herunterspielen"

tagesschau.de: Allerdings gab es in letzter Zeit Brandanschläge - auf die Autos des Chefs der Norddeutschen Affinerie und des Wirtschaftsstaatsekretärs Thomas Mirow etwa.

Rucht: Ja, aber das ist eine Erscheinung, die sich die ganzen Jahre hindurchzieht. Es wurden auch in der Anti-Atomkraft-Bewegung immer wieder Baufahrzeuge in Brand gesteckt oder zerstört; es gab angesägte Strommasten. Ich will das nicht herunterspielen, aber ich sehe keine Verbindung zu dem Terrorismus, wie wir ihn in den siebziger Jahren erlebt haben.

tagesschau.de: Welche Art von Protesten erwarten Sie rund um Heiligendamm?

Rucht: Es wird zu Beginn und zum Ende der Protestwoche die großen Veranstaltungen im üblichen Rahmen geben: Man trifft sich, marschiert auf der Straße, hört auf den Kundgebungen Musik und Reden. Es gibt daneben zahlenmäßig sehr kleine Gruppen, die sich dem zivilen Ungehorsam verschrieben haben. Wenn man das Wort nicht missbraucht, bedeutet es die Übertretung von Regeln, vielleicht Illegalität, aber auch strikte Gewaltlosigkeit. Es gibt allerdings auch Gruppen, die ein sehr taktisches Verhalten zur Gewalt haben: Sie werden auch mal die Polizei zu provozieren versuchen; es mögen Steine fliegen - aber selbst für dieses Spektrum würde ich in keiner Weise den Begriff "Terrorismus" verwenden.

Das Interview führte Fiete Stegers, tagesschau.de