Beitrag von Werner Weidenfeld "Kompetenzen der Behörden müssen erweitert werden"

Stand: 27.08.2007 13:00 Uhr

Das gemeinsame Projekt "Essays zur Sicherheitsdebatte" von tagesschau.de und der Bundeszentrale für politische Bildung eröffnet neue Perspektiven in der aktuellen Terrordiskussion. Namhafte Autoren wurden gebeten, in einem Beitrag zu schildern, wie sie persönlich - vor dem Hintergrund ihrer eigenen Geschichte und Erfahrungen – die Auseinandersetzung empfinden.

Von Werner Weidenfeld, Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung München

Die Anschläge des 11. September 2001 waren ein Höhepunkt – nicht der Beginn – einer terroristischen Kampagne, von der auch für die Sicherheit Deutschlands eine mehrdimensionale Bedrohung ausgeht. Auf sozialrevolutionäre Terrorgruppen wie die deutsche RAF und ethno-nationalistische Gruppen wie die baskische ETA traf in der Regel die Annahme zu, dass das Hauptziel ihrer Anschläge die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit ist, nicht jedoch eine möglichst hohe Anzahl an Opfern.

Dass derartige Beschränkungen beim religiös motivierten, transnationalen Terrorismus, wie von Al-Kaida, keine Rolle mehr spielen - ja sogar ins Gegenteil verkehrt werden - zeigen die Anschläge von New York, Washington, Madrid und Nairobi. Auch die vereitelten Angriffe, wie der auf den Straßburger Weihnachtsmarkt oder die Sicherstellung von biologischen Kampfstoffen, sind Belege dafür.

"Infrastruktur als Angriffsziel und Angriffswaffe"

Die neue Form des Terrorismus macht sich die komplexe und höchst verwundbare Infrastruktur westlicher Industriegesellschaften sowohl als Angriffswaffe als auch als Angriffsziel zunutze. Die Liste möglicher Bedrohungsszenarien ist dabei beinahe unbegrenzt und reicht von kritischen Infrastrukturelementen aus den Bereichen Verkehrswege, Energieversorgung oder Telekommunikation bis hin zu Symbolen westlicher Lebensform wie Volksfesten oder großen Sportveranstaltungen.

"Terroristen setzen auch auf psychologische Effekte"

Die Terrororganisationen setzen zudem auf den psychologischen Effekt, den ihr Handeln in einer Mediengesellschaft hervorruft. Die Fernsehbilder von Terroranschlägen und Meldungen von immer neuen Anschlagsdrohungen führen westlichen Gesellschaften immer wieder die eigene Verwundbarkeit vor Augen. Der Einsatz von Selbstmordattentätern verdeutlicht die tödliche Entschlossenheit, gegen die es keinen Schutz zu geben scheint. Die psychologischen Auswirkungen sind gerade für das Wirtschaftssystem des Westens, das auf positive Zukunftserwartungen seitens Unternehmer und Konsumenten angewiesen ist, fatal und üben eine ganz eigene systembedrohliche Wirkung aus.

"BKA, BND und Verfassungschutz konkurrieren"

In Deutschland sind bereits eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht worden, die denjenigen Institutionen ein breiteres Handlungsspektrum einräumen, die mit der Gewährleistung der inneren Sicherheit betraut sind. Es werden jedoch weitere Reorganisationsmaßnahmen notwendig sein, um die Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland den sich stellenden Gefahren anzupassen. In diesem Zusammenhang muss die latente Konkurrenz zwischen Bundesnachrichtendienst (BND), Bundesverfassungsschutz (BfV) und Bundeskriminalamt (BKA) zugunsten eines kooperativen Denkens und Handelns überwunden werden. Darüber hinaus muss geprüft werden, inwieweit die föderale Organisation der Sicherheitsbehörden in der Lage ist, angemessen auf die terroristische Bedrohung zu reagieren. Um hier eine Zersplitterung zu vermeiden, sollten Kompetenzen von der Landes- auf die Bundesebene verlagert und die Anzahl der Landesverfassungsschutzämter und Landeskriminalämter verringert werden.

"Kompetenzen der Behörden müssen erweitert werden"

Neben diesen infrastrukturellen Maßnahmen wird man jedoch auch um eine weitere Ausweitung der Kompetenzen der Sicherheitsbehörden nicht herumkommen. Das BKA sollte durch eine eigeninitiative Ermittlungskompetenz in der präventiven Terrorismusbekämpfung und eine Koordinationsfunktion gegenüber den Länderpolizeien, Bundesgrenzschutz und Zoll gestärkt werden. Um den Informationsaustausch zwischen BKA, BND und BfV zu verbessern sollte darüber hinaus eine gemeinsame Datenbank "Internationaler Terrorismus" eingerichtet werden. In dem Maße, in dem datenschutzrechtliche Schranken zugunsten einer Stärkung der Exekutive fallen, müssen jedoch auch die justiziellen und legislativen Kontrollmechanismen verbessert und Kompetenzüberschreitungen konsequent verfolgt werden.

"USA und Deutschland brauchen gemeinsame Strategie"

Moderne Terrorgruppen sind transnational strukturierte Netzwerke mit multinationaler Mitgliedschaft und grenzüberschreitendem Operationsradius. Innere Sicherheit hat angesichts dieser Bedrohung immer auch eine internationale Dimension. Auf europäischer Ebene gilt es, die existierenden Kapazitäten von Europol, Eurojust und der Task Force der Polizeichefs auszunutzen. Gemeinsam mit seinen Partnern in der EU sollte Deutschland darüber hinaus daran arbeiten, die Koordination zwischen europäischen und nationalen Behörden im Bereich der Terrorbekämpfung zu verbessern. Zudem müssen Europa und Deutschland mit den USA in eine Debatte um die richtige Strategie für den Kampf gegen den Terrorismus auf globaler Ebene eintreten und gemeinsame Handlungsoptionen entwickeln.

"Wurzeln des Terrorismus müssen bekämpft werden"

Langfristig kann Terrorismusbekämpfung nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich nicht nur auf polizeilich-militärische Mittel beschränkt. Der Kampf gegen die Wurzeln des Terrorismus hat immer auch eine sozialpsychologisch-politische Dimension. So müssen zum Beispiel Mittel und Wege gefunden werden, um die Integration von Ausländern in Deutschland zu verbessern. Darüber hinaus gilt es, auch strukturelle Defizite in Ländern zu beheben, die als Nährboden für Terrorismus gelten. Hier werden militärische Mittel allerdings nur selten greifen und oftmals kontraproduktiv sein. Stattdessen muss der Dialog mit den entsprechenden Ländern gesucht werden, um gemeinschaftlich Defizite zum Beispiel in den Bereichen Demokratie und Zivilgesellschaft abzubauen.