Hintergrund

Relativer Begriff Was ist Armut?

Stand: 26.08.2007 21:39 Uhr

Arm sein in Deutschland hat nichts mit existenzieller Not zu tun. Niemand muss auf Nahrung, Kleidung oder eine Wohnung verzichten. Dennoch gelten auch in Deutschland viele Menschen als arm. Wie wird Armut im reichen Deutschland gemessen? Ein Überblick.

Von Andrea Krüger, tagesschau.de

Trotz Wirtschaftskrise und Ebbe in den öffentlichen Kassen: Deutschland gehört nach wie vor zu den reichsten Ländern der Welt. Wer von Armut in Deutschland spricht, muss deshalb eines hinzufügen: Mit der existenziellen Armut, unter der Menschen in Entwicklungsländern leiden, hat sie nichts zu tun. Niemand muss in Deutschland Hunger leiden, auf Kleidung oder eine Wohnung verzichten. Niemand wird vom Krankenhaus abgewiesen, wenn er ärztliche Hilfe benötigt. Und niemand muss für den Schulbesuch bezahlen. Das soziale Netz mag inzwischen Löcher haben - aber es existiert.

Komplexer Begriff: Armut

Dennoch schlagen Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Wissenschaftler seit Jahren Alarm und warnen vor der zunehmenden Armut in Deutschland. Hinter ihren Warnungen steckt ein anderes Verständnis von Armut. Es geht um relative Armut - einen komplexen Begriff, der trotz zahlreicher Forschungsansätze noch immer einigermaßen schwammig ist.

Am gängigsten ist der so genannte Lebenslagenansatz, den auch die Europäische Union verwendet. Menschen gelten demzufolge als arm, wenn sie über so geringe materielle, kulturelle und soziale Mittel verfügen, dass sie von der üblichen Lebensweise in dem jeweiligen Land ausgeschlossen sind. Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung stützt sich in weiten Teilen auf das Konzept der Verwirklichungschancen von Amarty Sen. Armut ist in diesem Konzept gleichbedeutend mit einem Mangel - Reichtum dagegen gleichbedeutend mit einem sehr hohen Maß an Verwirklichungschancen, deren Grenzen nur punktuell oder gar nicht erreicht werden.

Weil es aber schwierig ist zu messen, ob alle Menschen den gleichen Zugang zu Arbeit, Bildung und Information haben, ob sie in der Lage sind, soziale Beziehungen aufzubauen oder unter den gleichen Bedingungen ihre Freizeit gestalten können, wird Armut in Deutschland vor allem an materiellen Dingen festgemacht - man spricht von Einkommensarmut.

Wichtiger Faktor: Geld

Diese Definition von Armut ist alles andere als abwegig: In einem Land wie Deutschland werden fast alle Bereiche des täglichen Lebens über den Markt geregelt - im Grunde also über Geld. Menschen befinden sich dann in Armut, wenn sie mit ihrem Einkommen nicht das Existenzminimum abdecken können. Wie hoch aber muss dieses Einkommen sein? Als quasi-offizieller Wert gilt in Deutschland der Sozialhilfe-Satz als Grenzwert zur Armut. Andere Berechnungen gehen vom nationalen Durchschnittseinkommen aus: Wer nicht über einen bestimmten Prozentwert dieses Durchschnittseinkommens verfügt, gilt als arm. In der Regel wird die Armutsgrenze bei 50 Prozent angesetzt. 2002 lagen die durchschnittlichen Löhne und Gehälter von Arbeitnehmern nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei 2200 Euro im Monat.

In Deutschland gilt: Wer in Not geraten ist, hat Anspruch auf staatliche Unterstützung. In der Regel handelt es sich dabei um die so genannte Hilfe zum Lebensunterhalt, kurz: die Sozialhilfe. Wer nicht in der Lage ist, aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer Menschen aus der Notlage herauszukommen, kann sie beantragen - es gibt sogar einen Rechtsanspruch auf diese Leistung des Staates. Zusätzlich gibt es für bestimmte Menschen auch noch weitere Unterstützung: Wer seine Miete nicht aus eigener Kraft aufbringen kann, kann Wohngeld beantragen. Einmalige Zuschläge für Kleidung oder Möbel sind ebenfalls möglich.

Wie hoch die Zuschüsse zum Lebensunterhalt sind, ist unterschiedlich. Hilfebedürftige Familien haben mehr Anspruch als Alleinstehende, der "Haushaltsvorstand" bekommt mehr Geld als die restlichen Familienmitglieder, bestimmte Personengruppen haben Anspruch auf Zuschläge. 2006 wurde in Deutschland ein einheitlicher Sozialhilferegelsatz in Höhe von rechnerisch 345 Euro eingeführt.