Interview

Interview Heide Simonis "Rein in den Tümpel und schwimmen lernen!"

Stand: 26.08.2007 02:27 Uhr

Heide Simonis war von 1993 bis 2005 Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein - die erste und bislang einzige in der Bundesrepublik. Im März beendete ein "Heckenschütze" aus den eigenen Reihen ihre Regierungsarbeit. Simonis zog sich aus der Politik zurück und arbeitet jetzt ehrenamtlich als Chefin von Unicef-Deutschland.

tagesschau.de: Ist es etwas besonderes, dass eine Frau Kanzlerin wird?

Heide Simonis: Ich denke schon. Wenn man sich anguckt, wie viele – das heißt wie wenige – Frauen bei uns in Führungspositionen in der Politik, bei Kunst und Kultur sowie in der Wirtschaft tätig sind, dann ist das etwas Bemerkenswertes. Den einzigen Kummer, den ich dabei habe, ist, dass es eine Frau aus der CDU ist. Es wäre schöner gewesen, es wäre eine Frau aus meiner Partei.

tagesschau.de: Warum gibt es denn so wenige Frauen in Spitzenpositionen?

Heide Simonis: Erstens wird die Luft da oben sehr, sehr dünn. Und zum anderen ist es meine Erfahrung, dass wenn eine Frau sich anschickt die Karriereleiter nach oben zu steigen, dann gibt es immer genügend Männer, die der Meinung sind, dass sie das nicht tun solle - und sie direkt oder indirekt behindern. Und die dritte Bemerkung: Frau braucht ein verdammt gutes Nervenkostüm, um nicht vorzeitig aufzugeben nach dem Motto "Das muss ich mir nicht antun“.

tagesschau.de: Was können Frauen tun, um ihre Netzwerke zu verbessern?

Heide Simonis: Das ist etwas, was wir nicht so gut können. Das hat ein bisschen was damit zu tun, dass Frauen heiraten, dann mit ihren Männern umziehen oder sich um Familie und Kinder kümmern. Das sind alles wichtige und richtige Sachen. Es hat aber zur Folge, dass sie dann nicht mehr da sind, um im rechten Moment in dem Netzwerk die Aufgaben zu übernehmen, die man braucht, um so ein Netzwerk am laufen zu halten. Damit jeder jedem helfen kann, um Fragen und Probleme zu lösen und irgendwas auf die Beine zu stellen.

tagesschau.de: Männercliquen gehen zum Fußball, trinken dort gemütlich ein Bier - so entstehen oft Netzwerke. Können Frauen in diese Cliquen eindringen?

Heide Simonis: Sie müssen es, das gehört zu Netzwerken dazu. Nur im Mädelsclub sitzen, damit kommt man nicht weiter. Denn die Männer haben sich dann ja nicht in Luft aufgelöst. Sie sind da, haben Positionen, haben Seilschaften. Wenn Frauen da nicht mehr auftauchen, haben sie Pech gehabt.

tagesschau.de: In welchen Situationen haben Männer Ihnen Ihre Position nicht gegönnt?

Heide Simonis: Sagen wir mal so, die Männer haben mich nicht immer auf Händen getragen. Man muss sich da manchmal richtig hart durchsetzen und je nachdem, in welchem Bereich der Politik man ackert, wird das mal härter, mal weniger hart. Ich war immer im Bereich Finanzen, Haushalt, Geld. Da verstehen die Menschen keinen Spaß mehr. Da geht es darum: Kriegt unsere Region etwas? Kriegt diese Branche etwas? Kriegen die Kleinen oder die Großen etwas? Und da muss man schon ganz schön hart sein, auch im Wegstecken.

Der Spiegel beendet so manche Karriere

tagesschau.de: Gibt es Frauen, die da resignieren?

Heide Simonis: Ich kenne sehr viele Frauen, die sagen: "Das habe ich nicht nötig. Stundenlang da rumzusitzen und das Blabla anzuhören." In der Politik sind das ja nicht nur Perlen, die uns da von den Lippen kullern. Frauen gucken am nächsten Tag in den Spiegel, nachdem sie sich um die Kinder gekümmert haben, und dann sagen sie: "Nein, Herrgott! Wie siehst du aus?". Und dann entscheiden sie für sich: Es gibt Besseres, was mehr bringt als diese Tretmühle. Ich kann das bis zu einem gewissen Grad verstehen.

tagesschau.de: Sie sagten, Sie seien nicht immer auf Händen getragen worden – was heißt das konkret?

Heide Simonis: Sie merken natürlich, wenn die anderen eine Seilschaft gegen sie selbst gegründet haben. Dann merken sie, sie haben eine Sache verfolgt und die wird Ihnen dann unter den Händen zertrümmert. Oder die wird gar nicht mehr aufgerufen. Oder sie erzählen das alles, und dann gucken sie alle an und sagen: "Sehr nett, sehr nett, Heide!" - Und das war's dann.

Rein in den Tümpel und Schwimmen lernen

tagesschau.de: Wie erfolgreich ist Polittraining für Frauen?

Heide Simonis: Ich kenne keins, das mir geholfen hat. Learning by doing und rein in den Tümpel und sehen das man durchkommt und Schwimmen lernt. Es kann sein, dass andere Gruppen das anbieten. Aber ich kenne kein Training, wo gesagt wird, jetzt begleite ich dich hier mal durch.

tagesschau.de: Zu Frau Merkel: Warum hat sich in der Union und nicht in der SPD eine Frau durchgesetzt?

Heide Simonis: Da wo Frauen es geschafft haben, in hohe und höchste Ämter zu kommen – außer in den skandinavischen Ländern – waren sie in der Regel in konservativen Parteien oder Gesellschaften. Beispielsweise Maggie Thatcher in dem Männerclub-dominierten Großbritannien - das hätte man nicht erwartet. Ich kann nicht sagen, woran es liegt. Vielleicht ist es die Art des Auftritts, das Anpassen an die Spielregeln der jeweiligen Gruppe. Das fällt in einer konservativen Partei leichter als in einer nicht konservativen.

tagesschau.de: Heißt das, Frauen in höchsten Ämtern können auch keine Frauenpolitik machen, da sie sich an die männlichen Gepflogenheiten komplett anpassen?

Heide Simonis: Ja, außer wenn Männer anfangen Familienpolitik als den Knüller zu entdecken, so wie wir es zurzeit voller Verblüffung in Berlin erleben können.

tagesschau.de: Angela Merkel hat es ganz nach oben geschafft - was zeichnet sie aus?

Heide Simonis: Ich kenne sie persönlich nicht so gut, dass ich sagen könnte, ich weiß es so. Aber so weit ich das beobachte konnte: Sie ist relativ unbeirrbar, sie ist sehr kühl, was man ihr ja auch vorwirft. Sie geht relativ strikt auf ihr Ziel zu und sie scheut auch nicht davor zurück, politische Leichen hinter sich zu lassen.

tagesschau.de: Inwieweit fühlen Sie sich solidarisch mit Frau Merkel, da sie eine Frau ist?

Heide Simonis: Ich fühle mich nicht so wahnsinnig solidarisch mit ihr. Es ist auch nicht so, dass zwischen uns eine große Freundschaft geblüht hätte. Aber dass sie das geschafft hat, ist eine bemerkenswerte Leistung. Und jetzt muss sie es weitere vier Jahre schaffen. Und ihr stehen jetzt erst einmal die 100 Tage zu, wie sie jedem zustehen. Jetzt muss sie beweisen, dass sie es kann - und dass sie das Land nach vorne bringt.

Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de