Interview

Tagesthemen-Interview mit Condoleezza Rice Respekt für "Souveränität unserer Partner" (06.12.05)

Stand: 26.08.2007 01:21 Uhr

Die Tagesthemen sprachen anlässlich ihres Besuchs in Berlin mit der US-amerikanischen Außenministerin Condoleezza Rice. tagesschau.de dokumentiert im Folgenden das Gespräch in einer Übersetzung.

Anne Will: Frau Ministerin, Sie haben sich gerade mit Bundeskanzlerin Merkel getroffen. Welchen Eindruck haben Sie von ihr in ihrer neuen Rolle gewonnen?

Condoleezza Rice: Nun, ich habe sie bereits bei früherer Gelegenheit als eine sehr intelligente Frau kennengelernt. Unser Zusammentreffen heute war sehr gut: Sie ist so engagiert, sie engagiert sich so für Deutschland, für ein freies und ganzes Europa, für ein Europa im Frieden! Ich habe in ihr eine auf allen Themengebieten außergewöhnlich kompetente Gesprächspartnerin getroffen. Wir haben uns über den Nahen Osten unterhalten, die Zukunft Russlands und der Ukraine und wir haben über die Bedeutung Afghanistans gesprochen, wo Deutschland ja wirklich eine Führungsrolle übernommen hat. Sie ist wirklich eine wundervolle Gesprächspartnerin, die sich in Sachen Freiheit sehr engagiert.

Anne Will: Wie kann die deutsche Regierung die deutsch-amerikanischen Beziehungen verbessern, - mit einerseits einer Kanzlerin, die proamerikanisch eingestellt ist, und andererseits einem Außenminister, der auch schon die Außenpolitik der Vorgängerregierung mitgeprägt hat, die nicht gerade proamerikanisch zu nennen war?

Condoleezza Rice: Die Kanzlerin hat etwas sehr Wichtiges gesagt – sie hat das auch in der Pressekonferenz gesagt – sie hat gesagt: „Unsere Außenpolitik ergibt sich aus den deutschen Interessen“ und ich glaube, dass die deutschen Interessen nach ihrem Verständnis auch Beziehungen zu den USA beinhalten, die von der Grundlage her gut und stark sind. Wir und die Deutschen haben soviel zusammen durchgemacht ... ich sitze hier mit Ihnen in Berlin, in einer ungeteilten Stadt. Berlin – einst das Symbol für den Kalten Krieg und die Teilung Europas. Ohne die deutsch-amerikanische Freundschaft, das erkenne ich an, säßen wir heute nicht in einer ungeteilten Stadt und auf Grundlage dieser Geschichte und unserer gemeinsamen Werte können wir so viel tun im Nahen Osten und in den jungen demokratischen Staaten wie Afghanistan und Irak soviel erreichen.

Aber auch in Gesprächen mit dem Außenminister habe ich viele Übereinstimmungen festgestellt. Welche Meinungsverschiedenheiten wir auch immer in der Vergangenheit gehabt haben mögen – es gab diese Meinungsverschiedenheiten, das können wir anerkennen – diese Meinungsverschiedenheiten haben aber nie die Tatsache verdunkelt, dass Amerika und Deutschland Freunde sind, dass Amerika und Deutschland gemeinsame Werte haben. Wir haben jetzt also ein solides Fundament, auf dem wir aufbauen und vorankommen können bei all den Herausforderungen, denen wir uns gegenüber sehen in dieser sehr historischen Zeit.

"Wir sind Partner im Krieg gegen den Terror"

Anne Will: Der Neuanfang, den beiden Regierungen wollen, ist gegenwärtig überschattet. In den Augen vieler Deutscher haben die USA ein Imageproblem: Abu Graib, Guantanamo, jetzt die „renditions“ wie Sie sie nennen, die geheimgehaltenen CIA-Flüge, die angeblichen CIA-Gefängnisse. Was würden Sie diesen Leuten sagen?

Condoleezza Rice: Ich würde gern daran erinnern, dass wir Partner sind in diesem sehr schwierigen Krieg gegen den Terrorismus. Ein Krieg, bei dem die Terroristen unter uns leben und eindeutig entschlossen sind, unschuldige Zivilisten umzubringen. In Amman handelte es sich um eine Hochzeitsfeier. In London handelte es sich um einen Umsteigebahnhof ... und in Madrid. Die sprengen in Hotels unschuldige Menschen in die Luft. Das heißt, wir haben es mit einer anderen Art von Krieg zu tun.

Aber unsere beiden Länder sind auch Rechtsstaaten. Wir glauben an die Rechtsstaatlichkeit. Ich habe meinen europäischen Kollegen gegenüber in meiner Antwort auf den britischen Außenminister Straw versichert, dass die Vereinigten Staaten beabsichtigen, ihre Verpflichtungen, die sich aus internationalen Vereinbarungen und aus dem amerikanischen Recht ergeben, voll einzuhalten und dies auch tun. Wir billigen Folter nicht. Wir sind fest entschlossen alles zu tun, um unsere Bürger zu schützen, aber im Rahmen des Rechts. Ich würde auch darauf verweisen, dass, wenn etwas schief läuft wie in Abu Ghraib ... das waren Bilder, die jeden Amerikaner angewidert haben, weil das nicht das ist, was amerikanische Männer und Frauen in Uniform tun oder weswegen sie erinnert werden wollen. Diese Menschen setzen ihr Leben aufs Spiel ... in Afghanistan, in Irak, um zu versuchen, den Menschen die Freiheit zu bringen. Als Abu Ghraib geschah, haben wir die Vorfälle verurteilt. Wir haben die Beteiligten bestraft, es gab lange Haftstrafen und das ist der Unterschied zwischen einer Demokratie und einer Diktatur. Wenn also schwierige Themen wie diese aktuell werden, würde ich mir wünschen, dass wir uns alle auf unsere gemeinsamen Werte besinnen in unserem Kampf. Wir sind jederzeit bereit, uns an einer demokratischen Debatte in demokratischen Gesellschaften zu beteiligen. Das ist ja auch ganz natürlich.

"Krieg gegen den Terror muss rechtmäßig geführt werden"

Anne Will: Würden Sie sagen, dass der Krieg gegen den Terrorismus nicht in vollem Umfang rechtmäßig im moralisch-ethischen Sinne geführt werden kann?

Condoleezza Rice: Ich glaube, dass der Krieg gegen den Terrorismus rechtmäßig geführt werden muss. Wenn er anders geführt wird, dann sind wir kein Rechtsstaat – das ist kein Ort für uns. Die Terroristen nehmen keine Rücksicht auf das Leben von Unschuldigen. Die Terroristen leben in einem rechtsfreien Raum, in einer rechtlosen Gesellschaft. Sie leben in einer Welt der Schatten, die diese Grenzen überschreitet. Sie sind in gewisser Weise Staatenlose. Wir wollen sie darin nicht nachahmen. Wir wollen nicht wie sie werden. Das ist der Grund dafür, dass der Präsident darauf bestanden hat, sie, obwohl sie unrechtmäßige Kämpfer sind, in Übereinstimmung mit unseren internationalen Verpflichtungen z.B. gemäß der Genfer Konvention zu behandeln. Es gibt militärische Notwendigkeiten, aber wir werden als Rechtsstaat handeln. Der Präsident ist in diesem Punkt fest entschlossen. Ich bin viele Male dabei gewesen, wenn er über dieses Thema gesprochen hat. Darauf können sich unsere Partner verlassen.

"Was wusste die deutsche Regierung?"

Anne Will: Wir würden gerne wissen, was die deutsche Regierung über die „renditions“ (Überstellungen) wusste.

Condoleezza Rice: Bundeskanzlerin Merkel hat heute in der Pressekonferenz und zu mir gesagt, dass die deutsche Regierung Einzelfälle untersuchen werde. Sie ist der Auffassung, dass einer der Ausschüsse sich damit passenderweise beschäftigen könne, die geheimdienstlichen Informationen schützen können und dennoch für die Transparenz sorgen können, die in solchen Fällen erforderlich ist. Wir respektieren diese Entscheidung. Die Haltung der USA ist, dass die „renditions“ rechtmäßige Praxis sind, mit Hilfe derer Terroristen auf der Straße aufgegriffen worden sind. Diese Praxis ist vor dem 11. September angewendet worden und sie ist auch nach dem 11. September angewendet worden. Sie wurde beispielsweise auch angewendet, um des Terroristen Carlos habhaft zu werden ... des berüchtigten Terroristen, der nach Frankreich überstellt wurde. All dies muss im Rahmen geltenden Rechts geschehen.

Wir müssen uns bei unserem rechtmäßigen Kampf aber auch immer wieder vergegenwärtigen, dass wir gegen einen Feind kämpfen, der rücksichtslos vorgeht; dass, wenn wir geheimdienstliche Erkenntnisse nicht vor dem Anschlag nutzen, wenn wir keine geheimdienstlichen Erkenntnisse im Vorwege haben, wir den geplanten Anschlag nicht stoppen können. Was wir auch alles tun mögen, um unsere Flughäfen und Häfen sicherer zu machen und die rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen ... leider ist es so, dass die Terroristen die Oberhand behalten, weil wir es immer einhundertprozentig richtig und rechtmäßig hinbekommen müssen, während sie nur einmal „richtig“ zuschlagen müssen. Um die Terroristen zu stoppen, brauchen wir gute Geheimdienst-Informationen. Unsere Geheimdienste müssen gut zusammenarbeiten. Und ich bin mir sicher, dass wir als Rechtsstaaten, die an die Rechtsstaatlichkeit und an unsere internationalen Verpflichtungen glauben ... dass wir diesen Krieg gegen den Terrorismus im Rahmen des Rechts gewinnen können.

Anne Will: Aber Sie haben nicht gesagt, was die deutsche Regierung wusste.

Condoleezza Rice: Die deutsche Regierung wird diese Angelegenheit selbst untersuchen. Ich habe sehr deutlich gemacht, dass wir die Souveränität unserer Partner respektieren. Aber ich werde damit so umgehen, wie bei jeder demokratischen Regierung: Sie muss selbst entschieden, wie sie damit an die Öffentlichkeit geht und gleichzeitig geheimdienstliche Erkenntnisse schützt.

Anne Will: Vielen Dank, Frau Ministerin.