Interview

Interview mit Völkerrechtler "Wir können den Terror mit unserem Recht besiegen"

Stand: 26.08.2007 00:48 Uhr

"Es ist wichtig, dass wir im Kampf gegen den Terror nicht unsere Standards aufweichen." Deutsche Behörden dürften in keiner Weise dazu beitragen, dass Menschen im Ausland misshandelt werde, betonte der Völkerrechtler Andreas Paulus im Interview mit tagesschau.de. Paulus unterrichtet an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er vertrat die Bundesrepublik im Fall der Brüder LaGrand, die 1999 in den Vereinigten Staaten hingerichtet wurden.

tagesschau.de: Das Bundeskriminalamt verhört deutsche Staatsbürger im Ausland, die dahin nicht freiwillig gelangt sind. Rechtens und machbar oder eigentlich eine Ungeheuerlichkeit?

Andreas Paulus: Man muss da sehr deutlich unterscheiden: Einerseits gibt es natürlich eine Pflicht insbesondere gegenüber deutschen Staatsbürgern, sie aus Situationen herauszuholen, in denen sie misshandelt oder gar gefoltert werden. Auf der anderen Seite gibt es eine Pflicht der Informationsbeschaffung, um Terroranschläge zu verhindern.

tagesschau.de: Wo genau liegt dort die Grenze?

Paulus: Deutsche Behörden dürfen in keiner Weise dazu beitragen, dass irgendjemand im Ausland misshandelt wird. Auf der anderen Seite müssen deutsche Behörden Informationen verwerten, die es ihnen ermöglichen, in Deutschland Anschläge zu verhindern. Diese beiden Pflichten müssen gegeneinander abgewogen werden. Das kann in jeder Situation anders aussehen.

tagesschau.de: Welche strafrechtliche Relevanz haben Informationen, die unter den genannten Umständen gewonnen wurden?

Paulus: Strafrechtlich verwertet werden dürfen solche Informationen dann nicht, wenn sie durch Folter zustande gekommen sind. Man muss aber unterscheiden zwischen einer Informationsverwertung im Strafprozess oder zum Schutz vor weiteren Terroranschlägen. Wenn Informationen, auf welchem Wege sie auch immer erlangt worden sind, dazu dienen, Angriffe auf Deutschland abzuwehren, kann ihnen nachgegangen werden. Das heißt aber nicht, dass deutsche Behörden in irgendeiner Weise selbst unerlaubte Methoden anwenden dürfen, deren Brauchbarkeit im Übrigen fraglich ist.

"Es sind keine Menschenrechte weggenommen worden"

tagesschau.de: Erleben wir jetzt eine Art Zeitenwende, was den Umgang mit Verdächtigen anbelangt?

Paulus: An den Standards selbst hat sich nichts geändert. Es sind immer noch die gleichen nationalen und internationalen Rechtsvorschriften in Kraft, mit wenigen Ausnahmen. Es sind also keine Menschen- oder Bürgerrechte weggenommen worden. Was sich geändert hat, ist die Situation, auf die sie angewandt werden müssen. Solche Abwägungsprobleme in der Anwendung hat es immer gegeben.

tagesschau.de: Wie kann der Rechtsstaat sich in dieser Zwickmühle bewähren?

Paulus: Es ist wichtig, dass wir im Kampf gegen den Terror nicht unsere Standards aufweichen. Wir müssen viel mehr zeigen, dass der Terror auch mit unseren Standards besiegt werden kann. Augustin hat gefragt: Was unterscheidet den Staat von einer Räuberbande? Der Unterschied sind genau diese rechtlichen Standards. Es geht ja hier nicht nur um einen Kampf gegen einzelne Personen, sondern auch um eine Auseinandersetzung der Ideen.

"Westen will Aufrechterhaltung der Standards"

tagesschau.de: Aber weichen die rechtlichen Standards im Westen nicht gerade auf?

Paulus: Nein, die Tendenz geht auch im Ausland in die andere Richtung. In den Vereinigten Staaten hat der Kongress gerade erst in beiden Häusern beschlossen, dass die USA einen strikten Standard für amerikanische Behörden im Ausland anwenden sollen. Wenn dieser Vorschlag trotz des Widerstands eines Teils der Bush-Administration Gesetz wird, schließt das Folter und erniedrigende Behandlung durch US-Behörden, einschließlich der CIA, aus. In Großbritannien hat das House of Lords gerade klar gestellt, dass unter Folter entstandene Aussagen vor Gericht nicht verwertet werden dürfen. Daran zeigt sich, dass der Westen erkannt hat, dass es um die Aufrechterhaltung der rechtlichen Standards geht und nicht um deren Abschaffung.

tagesschau.de: Die Vereinigten Staaten sind Deutschlands wichtigster Bündnispartner. Der amerikanische Präsident rechtfertigt jedoch besondere Maßnahmen im Anti-Terror-Kampf mit der besonderen Herausforderung. Wie kann es da ein vernünftiges Verhältnis zwischen beiden Staaten geben?

Paulus: Ich bin eigentlich optimistisch, wenn ich mir die veränderte Position von US-Außenministerin Condoleezza Rice bei ihrem Europabesuch kürzlich anschaue. Ich glaube, man einigt sich derzeit darauf, dass die alten Standards auch die neuen sind.

tagesschau.de: Wir hatten in den siebziger Jahren die Anfechtung durch die RAF. Diese Auseinandersetzung hatte auch Auswirkungen auf unser Rechtssystem. Aber ist unser Recht in Deutschland eigentlich ausgelegt auf die Herausforderung des internationalen Terrorismus?

Paulus: Wir haben die wenigen Vorschriften geändert, die zu ändern waren. Das galt insbesondere unmittelbar nach dem 11. September 2001 für die Mitgliedschaft in internationalen Terrorgruppen, die wie bei inländischen Terroristen unter Strafe gestellt wurde. Aber, wie sich der britische Lordrichter Hoffmann vor kurzem ausdrückte, wir sollten den Terroristen nicht den Triumph gönnen, dass sich der Rechtsstaat selbst zerstört.

Das Interview führte Frank Thadeusz, tagesschau.de