Interview

Linkspartei und Verfassungsschutz "Radikale Minderheiten gab es in allen Parteien"

Stand: 21.07.2010 01:03 Uhr

Seit Jahren wehrt sich die Linkspartei gegen die Beobachtung durch Verfassungsschützer. Auch der Berliner Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke hält sie für unangebracht. Allerdings müsse sich die Linkspartei stärker von Gewalttätern distanzieren, sagt er im Interview mit tagesschau.de. Probleme gebe es hier vor allem im Westen.

tagesschau.de: Warum wird die Linkspartei überhaupt vom Verfassungsschutz beobachtet?

Jaschke: Die PDS war in ihren Anfängen als Nachfolgepartei der SED kurz nach der Wiedervereinigung noch so stark dominiert von ehemaligen SED-Aktivisten, dass man davon ausgehen konnte, dass die PDS die Fortsetzung des Kalten Krieges betreiben würde. Insofern war die Beobachtung der PDS durch den Verfassungsschutz Anfang der 90er Jahre verständlich.

Generationenwechsel und verschwindende Minderheiten

tagesschau.de: Das klingt, als hielten Sie diese Überwachung für nicht mehr zeitgemäß.

Jaschke: Sie ist es auch nicht. Der Blick auf die heutige Linkspartei zeigt, dass in ihr zum einen ein Generationswechsel stattgefunden hat. Zum zweiten weisen innerhalb der Linken zwar die "Kommunistische Plattform" und andere kleine Zusammenschlüsse in der Tat linksradikale oder linksextremistische Tendenzen auf - allerdings sind das ganz kleine Minderheiten. Das gab es nach 1945 auch bei der SPD zum Beispiel in Form des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, oder in den 60er und 70er Jahren bei der Union mit Verbindungen zu rechtsextremen Organisationen. All das hat nicht zu einer Gefährdung  der freiheitlich-demokratischen Grundordnung geführt. Das tut die Linkspartei auch nicht. Dagegen spricht ihre Mitwirkung in vielen Landesparlamenten wie in Berlin oder Mecklenburg-Vorpommern und in kommunalen Parlamenten.

tagesschau.de: Ist die Beobachtung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz rechtmäßig?

Jaschke: Nein, sie ist derzeit nicht angebracht. Man muss immer auch das Kriterium im Auge behalten, das für den Verfassungsschutz wichtig ist. Es lautet "Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung" - nicht "Antikapitalismus". Die Wirtschaftsordnung wird vom Grundgesetz nicht vorgegeben.

"Einigen West-Linken fehlt es an Verantwortungsbewusstsein"

tagesschau.de: Trotzdem: Muss sich die Partei schärfer von Gewalttätern abgrenzen?

Jaschke: Definitiv. Wenn man auf Berlin blickt und sieht, wie Teile der Linkspartei offensichtliche Sympathien für Aktionen der Autonomen haben oder gemeinsame Demonstrationen veranstalten, ist das ein fragwürdiger Grenzbereich, der politisch nicht hinnehmbar ist. Aber auch das ist noch immer kein Grund für den Einsatz des Verfassungsschutzes. Vor allem in einigen Landesverbänden in West-Deutschland gibt es radikale Strömungen und auch Landtagsabgeordnete, die politisch unklug handeln und unkluge Dinge sagen - aber all das ist kein Grund für eine Überwachung durch den Verfassungsschutz. Von daher halte ich dieses Instrument für überzogen.

tagesschau.de: Sie haben gerade die Landesverbände angesprochen. Laut Informationen von NDR Info wird der niedersächsische Landesverband durch V-Leute beobachtet.

Jaschke: Das wäre ein völlig überzogenes Instrument. Nach meiner Erkenntnis gibt es keine Belege dafür, dass die Partei insgesamt einen revolutionären Kurs fährt, der in der Mehrheit der Partei auf Akzeptanz stoßen würde.

tagesschau.de: Warum gibt es diese Probleme vor allem in den westdeutschen Landesverbänden?

Jaschke: Die Ost-Linke speist sich aus der ehemaligen SED/PDS und ihren vielen Häutungen und ihren Erfahrungen, die sie in den unterschiedlichen Landtagen gemacht hat. Die West-Linke speist sich aus ehemaligen K-Gruppen und radikalen Gewerkschaftern, so dass ganz unterschiedliche Traditionen eine Rolle spielen. Einigen Linken in Westdeutschland mangelt es an Bewusstsein für Politikverantwortung. Deshalb gibt es dort stärkere radikale und extremistische Strömungen.

Extremismus-Vorwurf auch wissenschaftlich kaum haltbar

tagesschau.de: Teilen Sie den Eindruck, dass der Begriff "Linksextremismus" derzeit sehr diffus verwendet wird?

Jaschke: Ja. Wir haben im Moment drei verschiedene Debatten: Der "klassische" Linksextremismus seit Lenin gilt in der Parteienforschung als die Auffassung, dass eine Partei den Willen der Arbeiter verkörpert und deshalb andere Parteien unzulässig sind. Diese Grundannahme Lenins hat Ost-Europa nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg geprägt und gilt heute noch in Kuba oder Nordkorea. Die zweite Strömung, die wir kennen, ist eine dem Anarchismus entlehnte Strategie, für Unruhe sorgen zu wollen, indem man Autos anzündet oder Polizeidienststellen angreift, also Gewalt gegen Sachen anwendet. Die dritte war der Terrorismus der RAF. All dies zusammengenommen könnte man derzeit als "Linksextremismus" verstehen.

tagesschau.de: Werden diese Definitionen durcheinander geworfen in Diskussion um die Linkspartei?

Jaschke: So ist es. Deswegen ist es auch wissenschaftlich schwerlich haltbar, sie dem Linksextremismus zuzuordnen. Anfang der 90er war die PDS sicherlich noch in der Leninistischen Tradition. Veteranen wie Herr Modrow, die keine aktive politische Gestaltungskraft mehr besitzen, sind dieser Strömung noch zuzuordnen.

Das Gespräch führte Nicole Diekmann, tagesschau.de.