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Interview

Antisemitismus "Es fängt mit Kleinigkeiten an"

Stand: 25.04.2018 15:38 Uhr

Bei Übergriffen auf Juden müsse schnell gehandelt werden, fordert der Antisemitismus-Beauftragte der Jüdischen Gemeinde, Königsberg, im tagesschau24-Interview.

tagesschau24: Außenminister Heiko Maas hat gesagt, wir dürfen niemals zulassen, dass Antisemitismus in Deutschland wieder alltäglich wird. Wie alltäglich ist Antisemitismus in Deutschland im Jahr 2018?

Sigmount Königsberg:  Antisemitismus ist eine alltägliche Erfahrung, die wir jüdischen Bürger dieses Landes machen. Ganz oft findet man es in der Schule, es fängt mit Kleinigkeiten an. So wird bestritten, dass Juden zu Deutschland gehören. Einige werden auf Schulhöfen als "du Jude" beschimpft. Tägliche Angriffe sind noch die Ausnahme, aber sie werden häufiger. Aber die Erfahrung ist, Antisemitismus gehört zum Alltag. Meistens ist es sogar so, dass wir es schon fast überhören.

"Aus verschiedenen Richtungen Angriffe"

tagesschau24: Sie sagen, Antisemitismus hat zugenommen?

Königsberg: Unsere Erfahrung ist, dass Antisemitismus in den letzten Jahren aus verschiedenen Gründen zugenommen hat. Es hat zum Beispiel damit zu tun, dass jetzt eine Partei in den Bundestag eingezogen ist, die sich nicht scheut, vom Ende des Schuldkults zu reden. Auf der anderen Seite müssen wir feststellen, dass an den Schulen viele unserer Kinder von muslimischen Kindern angegriffen, angemacht oder angepöbelt werden. Wir haben aus verschiedenen Richtungen Angriffe auf jüdisches Leben in Deutschland.

Zur Person

Sigmount Königsberg ist Antisemitismus-Beauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Er ist Ansprechpartner für Bürger, die sich antisemitischen Attacken und Diskriminierungen ausgesetzt sehen. Königsberg hat Kommunikaktionswissenschaften, Geschichte und Politik studiert.

tagesschau24: Der Kippa-Vorfall in Berlin: Es traf einen Araber aus Israel, der noch nie eine Kippa getragen hatte und Erfahrungen sammeln wollte. Warum glauben Sie, hat gerade dieses Ereignis so ein großes Echo hervorgerufen?

Königsberg: Dieses Ereignis hat deswegen so ein großes Echo hervorgerufen, weil es von einem Passanten mit dem Handy aufgenommen wurde.

Täter nicht in Anonymität verschwinden lassen

tagesschau24: Hat das auch damit zu tun, dass es bei diesem Vorfall um Antisemitismus ging, der von Muslimen ausging?

Königsberg: Antisemitismus von Muslimen ist ja nicht neu. Aber ich kann es nicht auf die Muslime reduzieren, es geht von mehreren Seiten aus. Das Erschreckendste an dem jüngsten Vorfall war, dass der Platz, auf dem dies geschah, mit Menschen gefüllt war. Eine einzige Frau hat eingegriffen. Antisemiten hätten dann keine Chance, wenn Passanten die Vorfälle mit dem Handy festhalten und diese dann der Jüdischen Gemeinde, der Polizei oder der Informationsstelle Antisemitismus zur Verfügung stellen würden. Dies würde eine Öffentlichkeit herstellen und die Täter abschrecken - wenn dokumentiert ist, dass sie nicht in der Anonymität verschwinden können.

tagesschau24: Ein wirksames Mittel gegen Vorurteile wie Antisemitismus ist Bildung - gerade im Spiegel der deutschen Geschichte. Ist diese Aufgabe noch im Bewusstsein der Verantwortlichen in Deutschland oder sehen Sie, dass da mittlerweile viele einen Schlussstrich ziehen möchten?

Soziales Handwerk in den Schulen

Königsberg: Einen Schlussstrich möchten einige ziehen. Aber es muss weitergehen und es muss noch vertieft werden. Lehrerinnen und Lehrer müssen nicht nur Wissen vermitteln, sondern sie sollten in den Schulen und in den Klassen dafür sorgen, dass niemand diskriminiert wird. In der Lehrerausbildung ist es leider derzeit noch so, dass das soziale Handwerk, eine Klasse zusammenzuhalten, kaum gelehrt wird. Lehrer müssen das Handwerkszeug aber lernen, um Diskriminierungen abzubauen, Konflikte zu erkennen, präventiv zu arbeiten und im Falle von Zwischenfällen intervenieren zu können. Das ist eine große Aufgabe im Bildungsbereich. Von einem Schlussstrich kann also keine Rede sein.

tagesschau24: Heute soll in einigen Städten in Deutschland gegen Antisemitismus protestiert werden - durch ein solidarisches Kippa-Tragen. Was halten Sie von dieser Idee?

Königsberg: Ich finde, dass dies eine gute Idee ist. Zum einen kommen Menschen zusammen, die sonst mit der Jüdischen Gemeinde wenig zu tun haben. Sich kennenlernen ist ein erster Schritt, um Vorurteile abzubauen. Und es ist ein deutliches Zeichen der Allgemeinbevölkerung, an unserer Seite zu stehen.

Das Interview führte Michail Paweletz, tagesschau 24

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 25. April 2018 um 08:25 Uhr.