Interview

Interview zu belastetem Hähnchenfleisch "Antibiotika-Einsatz muss überdacht werden"

Stand: 09.01.2012 19:53 Uhr

Der Fund von resistenten Keime auf Supermarkt-Hähnchenfleisch - für den Tierarzt und Epidemiologen Bernd-Alois Tenhagen ein Warnsignal. Denn dadurch gebe es weniger Therapieoptionen, erklärt er im tagesschau.de-Interview. Der Einsatz von Antibiotika sollte daher überdacht werden.

tagesschau.de: Herr Tenhagen, der BUND hat Hühnerfleisch getestet und bei der Hälfte der Proben Krankheitskeime entdeckt. Was sind das für Keime?

Bernd-Alois Tenhagen: Es handelt sich dabei um zwei Keimarten: um eine bestimmte Art von Staphylokokken, so genannte MRSA-Keime, und ESBL bildenden E. coli-Bakterien. Beide beobachten wir schon länger in der Tierzucht, wegen ihrer Resistenz gegen bestimmte Antibiotika. Die gute Nachricht ist, dass beide Erreger sehr selten krank machen, also nicht sofort zu einer schlimmen Infektion führen. Es gibt viele Menschen, die beruflich mit Tieren zu tun haben und die MRSA-Erreger ständig in sich tragen. Die schlechte Nachricht ist aber, dass wenn es doch zu einer Erkrankung kommt, die Behandlungsmöglichkeiten sehr begrenzt sind, eben wegen dieser Resistenzen.

tagesschau.de: Wie gefährlich sind diese Keime für den Menschen?

Tenhagen: MRSA-Erreger können unter anderem Wundinfektionen auslösen. Das passiert aber zum Glück eher selten. Gefährlich wird es, wenn diese Erreger in ein Krankenhaus gelangen, etwa durch Menschen, die beruflich viel Kontakt zu Tieren haben. Denn dann können andere Erreger, die häufig krank machen, sich mit den resistenten Keimen austauschen. Solche mutierten Varianten können die gefährlichen Eigenschaften beider Stämme verbinden – und dann sehr unangenehme Folgen haben.

Zur Person

Dr. Bernd-Alois Tenhagen ist Tierarzt und Epidemiologe am Bundesamt für Risikobewertung (BfR). Er forscht seit langem im Bereich der MRSA-Erreger.

tagesschau.de: Wie kann ich mich als Verbraucher vor einer Infektion durch belastetes Hühnerfleisch schützen?

Tenhagen: Wenn Sie auf die grundlegenden Regeln der Küchenhygiene achten, besteht eigentlich keine Gefahr. Man sollte das Fleisch natürlich immer gut durchbraten, denn die Keime sterben bereits bei 70 Grad ab. Und man sollte sich die Hände gut waschen und darauf achten, das Messer, mit dem man gerade das Hühnerfleisch geschnitten hat, nicht zum Schneiden von Tomaten oder anderen rohen Lebensmitteln zu benutzen.

tagesschau.de: Das klingt, als wäre das Problem damit eigentlich gelöst?

Tenhagen: Für den Moment ist der Verbraucher zum Glück relativ sicher. Wir sollten uns aber generell überlegen, ob wir wirklich so viele Antibiotika einsetzen müssen in der Tierzucht. Denn langfristig nehmen wir uns damit einfach die Therapieoptionen bei schweren bakteriellen Erkrankungen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat z. B. bestimmte Antibiotika als "critically important" eingestuft, da sie von besonderer Bedeutung für die Therapie von Infektionen des Menschen sind.

tagesschau.de: Wieso bekommen denn so viele Tiere Antibiotika?

Tenhagen: Wenn ein Tier in einer Herde erkrankt, wird häufig direkt die ganze Gruppe behandelt, um ein weiteres Ausbreiten zu verhindern. Deshalb ist der Einsatz von Antibiotika ein weit verbreitetes Phänomen: Bei einer Untersuchung von Masthühnern in Nordrhein-Westfalen wurde festgestellt, dass fast 97 Prozent der Tiere Antibiotika bekamen.

tagesschau.de: Und wie hängt dieser Antibiotika-Einsatz mit dem Entstehen der Keime zusammen?

Tenhagen: Diese resistenten Keime entstehen nicht durch die Medikamente, sondern durch natürliche und spontane Mutationen. Der massenhafte Gebrauch der Antibiotika begünstigt aber die Verbreitung der wenigen resistenten Keime, weil alle anderen abgetötet werden.

tagesschau.de: Wie kann die Ausbreitung solcher Keime in Zukunft verhindert werden?

Tenhagen: Dazu müssten wir weniger Antibiotika in der Tierzucht einsetzen. Wir dürfen sie aber nicht einfach weglassen, sondern müssen Haltungsbedingungen und Hygiene verbessern. Impfungen können einen Beitrag leisten so wie besseres Gesundheitsmanagement, etwa durch eine konsequente Betreuung durch einen Tierarzt. Wichtig ist auch, die hygienischen Bedingungen bei der Schlachtung zu verbessern, denn dort werden die Erreger auf das Fleisch übertragen. Ob Bio-Fleisch weniger belastet ist, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Sicher ist aber, dass dort strengere Auflagen für den Gebrauch von Antibiotika gelten.

Das Interview führte Alexander Steininger, tagesschau.de.