Interview

Interview mit Wirtschaftswissenschaftler Richter "Gesundheitsfonds ist keine Fehlkonstruktion"

Stand: 07.10.2009 09:20 Uhr

Er ist einer der "Väter des Gesundheitsfonds" - der Wirtschaftswissenschaftler Richter. Die Reform gehe in die richtige Richtung, da sie die Kassen zu mehr Wettbewerb anhalte, sagt Richter im Interview mit tagesschau.de. Langfristig präferiere er jedoch ein System, das auf zwei Versicherungen basiert.

tagesschau.de: Ist der Gesundheitsfonds eine Fehlkonstruktion? 

Wolfram F. Richter: Der Gesundheitsfonds ist keine Fehlkonstruktion. Er ist Teil eines sehr ambitionierten Reformwerkes zur Stärkung des Wettbewerbs unter den gesetzlichen Krankenkassen. Man kann darüber streiten, ob die Reform hinreichend ambitioniert war. Sie ging aber in die richtige Richtung. Wir müssen mehr Geduld haben und der Reform die Chance geben, ihre Wirkungen zu entfalten.

Wolfram Richter
Zur Person

Wolfram Richter ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der TU Dortmund. Die Idee des Gesundheitsfonds geht auf ihn zurück.

tagesschau.de: Das dürfte der Politik angesichts des Milliardenlochs aber schwer fallen. Was halten Sie für den entscheidenden Grund für dieses Loch?

Richter: Der primäre Grund liegt in der Alterung der Gesellschaft und dem medizinisch-technischen Fortschritt. Deshalb steigen die Ausgaben, wie überall in der Welt. Der Ausgabenschub in diesem Jahr ist vor allem aber darauf zurückzuführen, dass die Regierung Ende 2008 eine Honorarerhöhung für die niedergelassenen Ärzte und zusätzliche Mittel für die Krankenhäuser beschlossen hat. Allein diese Maßnahmen haben den Beitragssatz um 0,47 Prozentpunkte ansteigen lassen.

Junge und gesunde Mitglieder zahlen sich nicht mehr so stark aus

tagesschau.de: Kritiker sagen, der Fehler ist im System angelegt, weil der Fonds die Kassen und Ärzte anregt, ihre Patienten und Versicherten möglichst krank erscheinen zu lassen, um möglichst hohe Prämien zu kassieren.

Richter: Früher war es für die Krankenkassen attraktiv, möglichst junge und gesunde Menschen zu versichern. Deswegen schossen auch die Betriebskassen wie Pilze aus dem Boden. Das fand man zu Recht nicht in Ordnung. Seit Anfang des Jahres orientieren sich die Mittelzuweisungen an die Krankenkassen stärker an dem Behandlungsaufwand, den der einzelne Patient verursacht. Es lohnt weniger als früher, möglichst junge und gesunde Menschen zu versichern. Solche Veränderungen an den Finanzierungsschlüsseln muss man begrüßen.

Auf der anderen Seite beginnen jetzt die Krankenkassen, sich auf die neuen Finanzierungsschlüssel einzuschießen. Sie fangen an zu überlegen, wie sie möglichst viele Mittel aus dem Gesundheitsfonds herausholen können. Da hört man in der Tat, dass die Kassen im Bund mit den Ärzten versuchen, ihre Patienten kränker erscheinen zu lassen, als sie es tatsächlich sind. Ich halte das aber für ein Anfangsproblem. Das Bundesversicherungsamt wird hier genau hinschauen und gegen entsprechendes Verhalten vorgehen.

tagesschau.de: Kann das Amt das denn leisten angesichts von Millionen von Patienten?

Richter: Ich bin da zuversichtlich. Die Abrechnungen erfolgen ja per Computer, deshalb kann man Auffälligkeiten auch leicht automatisiert aufdecken.

Mehr Wettbewerb bei den Kassen

tagesschau.de: Sie empfehlen also auch den Teilnehmern der Koalitionsverhandlungen Gelassenheit?

Richter: Ich hielte es für keine Katastrophe, wenn die Mittel im Fonds nicht mehr für eine hundertprozentige Finanzierung der Gesundheitsausgaben reichten. Dann werden nämlich Mechanismen aktiviert, die genau für diesen Fall vorgesehen sind. Sobald die Zuweisungen aus dem Fonds die Ausgaben der Kassen nicht mehr decken, können diese Zusatzbeiträge erheben. Und wenn die Kassen unterschiedliche Zusatzbeiträge erheben, kommt Wettbewerb auf. Dann werden die Kassen stärker als bisher darüber nachdenken müssen, wie sie Kosten einsparen können, und die Versicherungsnehmer werden stärker als bislang überlegen müssen, welche Kasse Qualität zu einem günstigen Preis bietet.

tagesschau.de: Aber die Höhe der Zusatzbeiträge ist doch auf ein Prozent des Bruttoeinkommens begrenzt?

Richter: Das ist in der Tat so. Mit dieser Klausel wollte die Politik Geringverdiener vor finanzieller Überforderung schützen. Ein entsprechendes Schutzbedürfnis kann ich aber nicht erkennen. Die Versicherten haben ja das Recht, die Kasse zu wechseln, wenn die ihre einen zu hohen Zusatzbeitrag verlangt. Die Regelung verfälscht zudem den Wettbewerb der Kassen untereinander. Insofern kann ich nur hoffen, dass die FDP bei den Koalitionsverhandlungen auf die Abschaffung drängt.

tagesschau.de: Die FDP will noch viel weiter gehen – sie will den gesamten Fonds abschaffen!

Richter: Langfristig will die FDP so wie ich ein System, in dem jeder Deutsche grundsätzlich zwei Versicherungen hat. Eine Basisversicherung, die alles medizinisch Notwendige abdeckt und die über den Gesundheitsfonds solidarisch finanziert wird, wobei die Kassen über Zusatzbeiträge und Boni konkurrieren. Die meisten Bürger werden aber eine Zusatzversicherung abzuschließen wollen. Die muss dann jeder selbst verantworten und die Prämienkosten selbst tragen.

Fonds ein Bürokratiemonster?

tagesschau.de: Wenn die FDP dasselbe möchte wie Sie – wie erklären Sie sich dann die laute Kritik der Partei an Ihrem Fonds?

Richter: Ich glaube, da ist viel dem Wahlkampf geschuldet. Ich kann nicht verstehen, warum die FDP den Fonds als Bürokratiemonster darstellt. Er ist im Wesentlichen ein Computerprogramm, das von 21 Menschen gemanagt wird. Ist das ein Bürokratiemonster? Allenfalls verursacht die Überforderungsklausel bürokratischen Aufwand. Ein zusätzlicher Grund, sie abzuschaffen. Allerdings könnte es in der Öffentlichkeit einen sozialen Aufschrei geben, weil die Vor- und Nachteile der Klausel nicht richtig verstanden werden.

Ich könnte mir vorstellen, dass die FDP dann zur Besänftigung der Öffentlichkeit auch gleich für die Abschaffung der ungeliebten Praxisgebühr eintreten wird. Ich rechne nicht damit, dass die Fondskonstruktion als solche in Frage gestellt wird. Wenn die Zusatzbeiträge an Bedeutung gewinnen, entwickelt sich das System ohnehin in die Richtung, die die FDP anstrebt.

Das Interview führte Eckart Aretz, tagesschau.de