Interview

Interview zum Wahlprogramm der Grünen "Programm ist sehr realpolitisch ausgefallen"

Stand: 09.05.2009 18:18 Uhr

Wirtschafts- und Klimakrise lassen sich laut den Grünen nur gemeinsam lösen. Das Wahlprogramm sei ein Ergebnis der realpolitischen Zeiten, sagte Bremens Umweltsenator Loske im Interview mit tagesschau.de. Ökologie dürfe aber nicht in eine Vehikelrolle gedrängt werden.

Wirtschafts- und Klimakrise lassen sich laut den Grünen nur gemeinsam lösen. Das Wahlprogramm sei ein Ergebnis der realpolitischen Zeiten, sagte Bremens Umweltsenator Loske im Interview mit tagesschau.de. Ökologie dürfe aber nicht in eine Vehikelrolle gedrängt werden.

tagesschau.de: Schärft das aktuell diskutierte Wahlprogramm das Profil der Grünen?

Reinhard Loske: Das Thema "New Green Deal" ist sicher auf dem Vormarsch. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon spricht davon, sogar der konservative EU-Kommissionspräsident Barroso – und Umweltminister Gabriel nennt es "ökologische Industriepolitik"...

Zur Person

Reinhard Loske ist seit 2007 Bremer Senator für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa. Zuvor saß er für Bündnis 90/Die Grünen neun Jahre im Bundestag. Er konzentrierte sich dabei auf die Umweltpolitik und war jahrelang Fraktionsvize.

tagesschau.de:  Aber ist nicht genau dies das grüne Dilemma? Alle anderen bedienen sich bei Ihnen...

Loske: Aber bei denen folgen auf die hehren Worte keine Taten. Es sind eben nur die Grünen, die die Wirtschaftskrise und die Klimakrise zusammen bringen.

tagesschau.de: Was heißt zusammen bringen?

Loske: Das man mit ökologischem Strukturwandel auch eine Menge von Arbeitsplätzen schaffen kann - und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit erhöht wird. Das ist gut und richtig. Das schärft das grüne Profil. 

tagesschau.de: Also Ökologie als reiner Wirtschaftsmotor?

Loske: Das greift zu kurz. Ich warne ausdrücklich davor, das Umweltthema darauf zu reduzieren. Es ist mehr als nur der Innovationsmotor zur Überwindung der Wirtschaftskrise. Die großen Menschheitskrisen, wie etwa der Klimawandel, müssen ja trotzdem unbedingt bekämpft werden. Das sind existenzielle Krisen. Wenn dabei noch Arbeitsplätze oder neue Exportmöglichkeiten entstehen, soll mir das recht sein. Aber Umweltpolitik darf nicht nur noch als Mittel zum Zweck gesehen werden.

tagesschau.de: Reicht das als Alleinstellungsmerkmal für die Bundestagswahl?

Loske: Die jetzige Fokussierung auf die Wirtschaftspolitik kann schon reichen. Aber eben nur kurzfristig. Wir verabschieden hier ja auch kein Grundsatzprogramm, sondern ein Wahlprogramm. Das ist zwar sehr realpolitisch ausgefallen - aber vielleicht sind das momentan ja auch sehr realpolitische Zeiten.

tagesschau.de: Das klingt nicht so ganz zufrieden.

Loske: Ich hab einfach Sorge, dass jetzt alles verloren geht, dass Ökologie in eine Vehikelrolle gedrängt wird. Die Notwendigkeit den Klimawandel zu bekämpfen, die biologische Artenvielfalt zu erhalten, die Überfischung der Meere zu stoppen - diese Grundsatzthemen müssen einfach unabhängig von der Frage gelöst werden, welchen Beitrag sie zur Konjunkturbelebung leisten.

tagesschau.de: Die heutigen Reden von Jürgen Trittin und Renate Künast klangen da aber anders.

Loske: Sie wissen doch: Wir stehen vor einer Wahl. Da schließt man die Reihen und zieht an einem Strang - und ich ziehe mit.

tagesschau.de: Kann den Grünen das Wahlversprechen "Wir schaffen in vier Jahren eine Million Jobs" nicht eines Tages auf die Füße fallen? Andere Parteien haben damit ja auch nicht so gute Erfahrungen gemacht.

Loske: Die Zahlen sind ja nicht aus der Luft gegriffen. Experten, wie Roland Berger oder das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, bestätigen das ja auch. Oder nehmen Sie das von uns auf den Weg gebrachte "Erneuerbare Energien-Gesetz" (EEG). Das hat eine Technologiestimulierung in Gang gesetzt, die jetzt eine ganz breite Wirkung zeigt. Da sind hunderttausende Jobs geschaffen worden.

tagesschau.de: Auch eine Million?

Loske:  Natürlich ist das Motto "eine Million neue Arbeitsplätze schaffen" eine plakative Zahl. Aber wenn man die verschiedenen Maßnahmen zusammen nimmt - staatliche Investitionen und einen vernünftigen ordnungspolitischen Rahmen - dann halte ich das für durchaus realistisch. Die Vorstellung, die Grünen nehmen jetzt eine Menge Geld in die Hand und schaffen damit eine Million Arbeitsplätze, ist falsch. Der Rahmen muss stimmen.    

tagesschau.de: Als Bremer Umweltsenator können Sie ja diesen Rahmen mitbestimmen. Klappt das?

Loske: Wir haben im Bereich der Umwelttechnologien 9000 Jobs geschaffen. Das ist für das kleine Bremen mehr als beachtlich. Da müssen wir jetzt weitermachen. Wir wollen ja den Sprung auf mehr schaffen. Aus meiner politischen Praxis kann ich aber klar sagen: Das ökologische Wirtschaftswunder ist möglich.

tagesschau.de: Auf dem Parteitag ist immer wieder zu hören: "Das Programm ist gut - aber auch ein bisschen langweilig." Fehlen dem Wahlprogramm nicht Highlights, wie sie beispielsweise das Programm von 1998 hatte?

Loske: Die Situation war 1998 tatsächlich eine andere. Damals konnte jeder am Wahlkampstand sagen: "Atomausstieg, Öko-Steuer, erneuerbare Energien Gesetz, modernes Staatsbürgerschaftsrecht, eingetragene Lebenspartnerschaft -  aus diesen fünf Gründen müsst ihr Grüne wählen". Jetzt sind wir in schwierigeren Zeiten. Dieses Mal ist es eigentlich kein Projekt-Wahlkampf, sondern ein Ideen-Wahlkampf.

tagesschau.de: Das klingt kompliziert...

Loske: ... es ist auch komplizierter. Aber ich glaube trotzdem, dass die Menschen unsere Idee "Die Klimakrise und die Wirtschaftskrise müssen gleichzeitig bekämpft werden" verstehen.

tagesschau.de: Ist die Idee "Wirtschaft mit Ökologie zu verknüpfen" auch ein Behelf, um die, zumindest aus Sicht der Wähler, mangelnde Wirtschaftskompetenz der Grünen auszugleichen? 

Loske: Tatsächlich schreiben uns die Menschen hauptsächlich im Bereich der Umweltpolitik eine hohe Kompetenz zu. 70 Prozent sind immerhin der Meinung, wir könnten das gut. Bei der Wirtschaftskompetenz sind es niederschmetternde zwei Prozent. Die Verknüpfung der beiden Themen ist natürlich auch strategisch sinnvoll.

Das Interview führte Niels Nagel, tagesschau.de