Interview

Interview zum Kurs der Grünen "Noch weiter nach links wird's nicht gehen"

Stand: 18.10.2013 16:50 Uhr

Nach dem Wahldesaster und dem Scheitern der Gespräche mit der Union haben die Grünen auf ihrem Parteitag einiges aufzuarbeiten. Sie müssen sich wieder auf ihre Kernthemen besinnen, meint Politologe Probst im Gespräch mit tagesschau.de. Denn mit der Linksorientierung seien sie gescheitert, jetzt gelte es, bürgerliche Wähler zurückzugewinnen.

tagesschau.de: Erstmals gab es eine realistische Option für Schwarz-Grün auf Bundesebene, doch die Grünen haben der Union eine Absage erteilt. Haben sie eine historische Chance verpasst, die womöglich so schnell nicht wieder kommt?

Lothar Probst: Die verpasste Chance liegt nicht in den gescheiterten Sondierungsgesprächen, die ja sehr konstruktiv waren, sondern in einem falschen Wahlkampfkonzept, mit dem die Grünen bürgerliche Wähler vergrault haben. Mit einem guten Wahlergebnis hätten sie erhobenen Hauptes und mit größerem Selbstbewusstsein in die Sondierungsgespräche gehen und dort viel herausholen können.

Aber aus einer Position der Schwäche heraus und ohne innere Geschlossenheit gab es keine realistische Chance auf eine schwarz-grüne Koalition. Zumal es schwierig geworden wäre gegenüber der Basis auf dem Parteitag einen Koalitionsvertrag durchzuboxen, bei dem man auf vieles aus dem Wahlprogramm hätte verzichten müssen. Das könnte 2017 mit einem anderen Wahlergebnis schon ganz anders aussehen.

Zur Person

Lothar Probst ist Politikwissenschaftler und Parteienforscher an der Universität Bremen. Seine Forschungsgebiete sind unter anderem die politische Kultur und interkulturelle Studien. Probst forscht zu neuen sozialen Bewegungen und veröffentlichte zahlreiche Arbeiten zu den Grünen.

Übungslauf für 2017

tagesschau.de: Trotzdem haben beide Seiten Harmonie demonstriert. Laufen sich die Grünen schon warm für Schwarz-Grün 2017?

Probst: Mit Sicherheit werden die Grünen aus dem Wahlergebnis die Lehre ziehen, sich zukünftig nicht mehr so eindeutig nur auf eine Koalitionsoption festzulegen. In diesem Sinne waren die Gespräche vielleicht eine Art Übungslauf für die Zukunft. Die Grünen haben sich ja sogar noch ein kleines Hintertürchen für den unwahrscheinlichen Fall offen gelassen, dass die SPD-Basis beim Mitgliederentscheid dem Verhandlungsergebnis nicht zustimmt. Dann würde man die Gespräche wieder aufnehmen und hätte eine stärkere Verhandlungsposition. Aber vieles hängt jetzt davon ab, welches neue strategische Zentrum sich personell herausbilden wird und welche Strategie dieses verfolgt. Ein Teil der Partei denkt auch in Richtung Linkskoalition.

Linke Realos und reale Realos

tagesschau.de: Was ist von der neuen Führungsspitze zu erwarten?

Probst: Wir wissen noch nicht, wer die starken Personen sind, die die Partei letztlich führen werden. Die Fischer-Generation ist nun endgültig abgetreten. Dennoch gibt es zwei Personen in der künftigen Parteiführung, die Kontinuität garantieren: Katrin Göring-Eckardt in der Fraktionsspitze und Cem Özdemir im Bundesvorstand, der wohl mit großer Wahrscheinlichkeit als einer von zwei Parteivorsitzenden wieder gewählt wird. Wie dieses neue Quartett miteinander klar kommt, ist aber noch nicht ausgemacht.

Im Grunde gibt es die alten Fronten zwischen Fundis und Realos gar nicht mehr. Es gibt die linken Realos und die realen Realos. Und alle versuchen mehr oder weniger eine Politik zu machen, die den Realitäten Rechnung trägt und nicht irgendwelchen Ideologien nachhängt. Anton Hofreiter und Simone Peter, die eher dem linken Flügel zugerechnet werden, haben aber nicht unbedingt Sympathien für schwarz-grüne Experimente.

tagesschau.de: Ist die "junge Generation" in der Führungsspitze den Herausforderungen der Partei gewachsen?

Probst: Es wird darauf ankommen, ob es dem neuen Führungsteam gelingt, die Partei zusammenzuhalten und Führungsstärke zu entwickeln. Das war unter Fischer und Trittin zumindest gewährleistet. Es hat sich ja schon bei der Wahl der Fraktionsführung gezeigt, dass die Partei - vor allem der Realo-Flügel - nicht mehr so geschlossen ist wie vor der Wahl.

Allerdings haben die Grünen Erfahrung mit solchen Führungswechseln. Nach dem Weggang von Joschka Fischer stand die Partei schon einmal vor der Aufgabe, sich strategisch neu aufzustellen und ein neues Zentrum herauszukristallisieren. Das ist damals besser gelungen als viele gedacht hatten. Ich vermute außerdem, dass man in Zukunft auch aus den Ländern, vor allem dort, wo die Grünen mitregieren, mehr Einfluss auf die Strategie der Bundespartei nehmen wird.

Gewinnerthemen Familien- und Bildungspolitik

tagesschau.de: Welche Konsequenzen wird die Partei inhaltlich aus dem Wahldesaster ziehen? Welche Themen werden künftig im Zentrum stehen?

Probst: Der Wahlkampf hat gezeigt, dass es ein Fehler war, den Markenkern zu vernach­lässigen. Diesen Fehler werden die Grünen so schnell nicht wiederholen. Sie werden also ihre Kernthemen Energiewende, Klimawandel, Verbraucherschutz und gesunde Lebensmittel wieder stärker in den Fokus rücken und ausgehend von diesen Themen auch Brücken zu anderen Politikfeldern wie Wirtschaft und Soziales schlagen.

Bei der Energiewende hat sich die Diskussion im letzten Jahr von der klimapolitischen und der Ausstiegsdebatte hin zu einer Debatte über die finanziellen und sozialen Aspekte der Energiewende verlagert. Das kam den Grünen nicht gerade entgegen. Hier werden die Grünen sich sicher gegen die Politik einer Großen Koalition positionieren und mehr Tempo bei der Energiewende fordern.

Ich vermute, dass man das Thema soziale Gerechtigkeit, das vielen Grünen-Wählern ebenfalls wichtig ist, nach den Erfahrungen des Wahlkampfes nicht mehr so sehr über die Steuerpolitik angehen wird. Natürlich kann man bei diesem Thema nicht komplett hinter das zurück, was man im Wahlkampf gesagt hat. Aber man wird eher moderatere Positionen zur Steuerpolitik formulieren. Beim Thema soziale Gerechtigkeit, das zeigen Umfragen, können die Grünen ihre Wähler viel eher über Familien- und Frauenpolitik, Kindertagesstätten und Bildungs­politik erreichen.

Und es gibt bereits Diskussionen, das Thema Bürgerrechte stärker aufzugreifen. Der einzige Zustrom an Wählern bei der Bundestagswahl kam von der FDP. Das waren 170.000 Wähler. Nachdem die FDP aus dem Bundestag geflogen ist, gibt es für die Grünen Raum, sich als bürgerrechtlich liberale Partei zu präsentieren und auch für ehemalige FDP-Wähler attraktiv zu werden.

tagesschau.de: Wird es in den kommenden vier Jahren einen Linksruck bei den Grünen geben oder eher eine Annäherung an die Union?

Probst: Da gibt es unterschiedliche Tendenzen in der Partei. Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit an einer inhaltlichen Abgrenzung von der Linkspartei festhalten und im Bundestag auf andere Weise Oppositionspolitik machen wird. Die Linksorientierung im Wahlprogramm und im Wahlkampf hat der  Partei geschadet und sie ist damit gescheitert. Die Botschaft des Wahlergebnisses ist, dass man bürgerliche Wähler verliert, wenn man zu weit nach links rückt. Noch weiter nach links zu rücken, wäre also kontraproduktiv. Winfried Kretschmann und andere Realos werden sicher aufpassen, dass man nicht noch mehr von den Wählern verschreckt, die man erst 2011 und 2012 bei den Landtagswahlen hinzugewonnen hat.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tageschau.de