Interview

Interview mit Ralf Fücks "Für die Grünen gibt es kein Berührungsverbot"

Stand: 17.03.2008 08:37 Uhr

Seit die Linkspartei die westdeutschen Parlamente erobert, suchen die Parteien nach neuen Partnern für Machtbündnisse. Auch die Grünen. Diese sollten nicht nur auf die SPD schielen, sondern sich auch CDU und FDP nicht verschließen, meint Ralf Fücks von der Heinrich-Böll-Stiftung im tagesschau.de-Interview.

tagesschau.de: Das Projekt Rot-Grün scheint Vergangenheit, das Fünfparteiensystem setzt sich mehr und mehr auch im Westen durch. Was bedeutet das für die perspektivischen Machtoptionen der Grünen?

Fücks: Die Grünen können sich nicht mehr exklusiv an die SPD binden. Programmatisch waren sie nie Juniorpartner der SPD, jetzt müssen sie sich auch koalitionspolitisch neue Optionen erschließen. Das heißt vor allem, dass Grüne und FDP ernsthaft ins Gespräch kommen müssen. Solange sich beide gegenseitig verteufeln, provozieren sie entweder neue Große Koalitionen oder Linksbündnisse mit Gysi und Lafontaine.

Ralf Fücks
Zur Person

Ralf Fücks ist Co-Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Schwerpunkte seiner Arbeit liegen bei den Themen Nachhaltige Entwicklung, Migration und Internationale Politik. Als Mitglied der Grundsatzprogrammkommission und Mitautor des Parteiprogramms gilt er als einer der strategischen Vordenker der Grünen. Von 1991 bis 1995 war er grüner Senator für Umwelt und Stadtentwicklung in Bremen.

tagesschau.de: Wo sehen Sie Ansatzpunkte für eine grün-gelbe Annäherung?

Fücks: Überschneidungen sehe ich vor allem auf dem weiten Feld der Bürgerrechtspolitik, bei Migration und Integration, aber auch beim Vorrang von Bildung, Wissenschaft und Kultur bei der Verteilung staatlicher Finanzmittel. Dazu müsste sich die FDP auf ihre Traditionen als liberale Rechtsstaatspartei besinnen. Auch für die Abschaffung der Wehrpflicht sollte sich ein gemeinsamer Nenner finden lassen. Unter der Leitlinie "grüne Marktwirtschaft" müsste es darum gehen, den Brückenschlag von Ökologie und Ökonomie voranzutreiben.

tagesschau.de: Und wo passt es nicht zusammen?

Fücks: Große Unterschiede gibt es vor allem in der Steuer- und Sozialpolitik. Hier hat die FDP ihre sozialliberale Tradition abgeschüttelt. Das Mantra "Weniger Steuern, weniger Staat" ist in einer Phase, in der mehr in öffentliche Zukunftsvorsorge investiert werden muss, ein Anachronismus. Auch in der Atompolitik gibt es massive Differenzen.

tagesschau.de: Sehen Sie eine mögliche Zusammenarbeit mit der FDP eher in einer Ampel- oder einer "Jamaika"-Koalition?

Koalitionsmöglichkeiten

Ampel: Eine Ampel-Koalition setzt sich zusammen aus SPD, FDP und Grünen.

Jamaika: Mit Jamaika-Koalition ist ein Bündnis aus CDU, FDP und Grünen gemeint. Für sie wird auch der Begriff Schwampel verwendet.

Fücks: Natürlich liegt für die Grünen eine Ampelkoalition näher, nicht nur in Hessen, wo aufgrund der rechtskonservativen Ausrichtung der Koch-CDU eine Jamaika-Koalition ein Harakiri-Unternehmen für sie wäre. Wer auch immer in einem Dreierbündnis einen Schritt aus seinem traditionellen Lager heraus machen muss, geht ein gewisses Risiko ein. Dafür muss es ein politisches Entgegenkommen bei den Koalitionsverhandlungen geben. Man kann von der FDP nicht erwarten, dass sie als bloßer Mehrheitsbeschaffer für Rot-Grün einspringt.

"Die Signale aus Hamburg sind erfreulich"

tagesschau.de: Wenn man nach Hamburg schaut, spricht ja vieles für eine schwarz-grüne Einigung. Das hätte man vor ein paar Jahren auch noch nicht für möglich gehalten, dass die Grünen ein Bündnis mit Ole von Beust eingehen könnten, der zuvor mit Ronald Schill koaliert hat.

Fücks: Die bisherigen Signale aus Hamburg sind erfreulich, weil die Union offensichtlich erkannt hat, dass sie den Grünen weit entgegen kommen muss, wenn sie mit ihnen eine Regierung bilden will. Entscheidend ist, dass die Grünen durch eine Koalition politische Gestaltungsmöglichkeiten gewinnen, um auf ihren zentralen Feldern Ökologie, Bildung und soziale Stadtentwicklung Kursänderungen herbeiführen können.

tagesschau.de: Die Grünen scheinen als Partner ziemlich umworben - SPD, Union, eine mögliche Annäherung zur FDP, nun gibt es da ja noch die Linkspartei. Wie sollten die Grünen mit der neuen Kraft in der Parteienlandschaft umgehen?

Fücks: Es gibt kein Berührungsverbot mit der Linkspartei. Wenn andere Optionen blockiert sind, wie jetzt etwa in Hessen, muss man eine Zusammenarbeit ausloten und an klare Bedingungen knüpfen. Entscheidend ist aber, dass eine solche Zusammenarbeit nicht als politische Wahlverwandtschaft verstanden wird. Die Lafontaine-Gysi-Linken sind nicht unser nächster Verwandter, sondern unser politischer Gegner. Das gilt für das Gesellschaftsbild wie für die Außenpolitik. Rot-rot-grüne Koalitionen stehen in der Gefahr der politischen Regression nach dem Motto "Zurück in die 80er Jahre" - das gilt insbesondere für die Sozialpolitik. In einer solchen Verbindung müssten die Grünen erst recht ihr Profil einer freiheitlichen, ökologischen Reformpartei stärken, statt sich in einen Linksblock einzusortieren.

tagesschau.de: Ist es nicht eine Gefahr für die Grünen, wenn der Wähler vor der Wahl gar nicht mehr abschätzen kann, in welcher Konstellation die Partei nach der Wahl womöglich an einer Regierung beteiligt wäre?

Fücks: Koalitionspolitische Beweglichkeit darf nicht in inhaltliche Beliebigkeit münden. Die Wähler müssen genau wissen, für welche Politik die Grünen stehen. Deshalb müssen Koalitionsbildungen immer daran gemessen werden, was in einer konkreten Situation an grünen Zielen und Forderungen umgesetzt werden kann.

"Die Skepsis an der Basis ist sehr hoch"

tagesschau.de: Der größte Machtfaktor der Grünen ist von jeher die Basis. Das haben viele turbulente Parteitage gezeigt. Wie sieht denn die Stimmung dort aus, was mögliche Machtoptionen angeht?

Fücks: Bei den Mitgliedern und der Wählerschaft gibt es mehrheitlich Sympathien für Rot-Grün. Die Skepsis ist sowohl gegenüber Bündnissen mit der Linkspartei als auch gegenüber Schwarz-Grün groß. Die Hürde hängt deshalb in jedem Fall sehr hoch. Letztlich kann man unsere Anhänger nur durch überzeugende Koalitionsvereinbarungen überzeugen, dass sich das Risiko lohnt. 

tagesschau.de: In der Führungsspitze gibt es Veränderungen, Bütikofer tritt ab, in den Bundestagswahlkampf ziehen die Grünen mit Künast und Trittin. Was heißt das für künftige Machtoptionen, wofür stehen diese beiden Politiker?

Fücks: Beide sind regierungserfahren und mit die profiliertesten Köpfe, die die Grünen vorweisen können. Sie haben ihre Fähigkeit zur Zusammenarbeit bewiesen und stehen beide für den Gestaltungswillen grüner Politik – nicht für das Verharren in der Opposition.

Das Interview führte Ulrich Bentele, tagesschau.de