Interview

Interview zum deutsch-türkischen Verhältnis "Das Thema EU-Beitritt wird innenpolitisch genutzt"

Stand: 29.03.2010 18:18 Uhr

Der Türkei-Besuch der deutschen Kanzlerin hat erneut deutlich gemacht, dass das Verhältnis zwischen beiden Ländern für Verstimmungen anfällig ist. Dauerbrenner: Die Themen Integration und ein möglicher EU-Beitritt der Türkei. Bülent Arslan vom Deutsch-Türkischen Forum der CDU warnt im tagesschau.de-Interview, beide Seiten sollten aufpassen.

tagesschau.de: Vor der Türkei-Reise von Kanzlerin Merkel ist es zu Verstimmungen gekommen. Warum dieser Hass gegen die Türkei, fragt der türkische Ministerpräsident Erdogan. Und Grünen-Chef Özdemir spricht von einer Allergie gegen alles, was mit der Türkei zu tun hat. Sehen Sie das ähnlich?

Bülent Arslan: Von Hass oder Allergie würde ich nicht sprechen. Aber es ist natürlich so, dass das deutsch-türkische Verhältnis sich zunehmend emotionalisiert in den letzten Jahren - auf beiden Seiten. Das hat vorwiegend mit zwei Fragen zu tun: In Deutschland mit dem Thema Integration, dem Zusammenleben von Deutschen und Türken. In der Türkei hat es etwas mit dem EU-Beitritt zu tun. Und wenn beide Seiten nicht aufpassen, kann diese Emotionalisierung weiter zunehmen.

tagesschau.de: Warum ruft das Thema EU-Beitritt in der Türkei solche Gefühle hervor?

Arslan: Es hat etwas mit der kritischen Haltung insbesondere der Bundeskanzlerin zu einem Beitritt zu tun. Das ist fast der ausschließliche Grund. Die Frage, ob man für oder gegen einen Beitritt ist, steht für die meisten Türken stellvertretend für die Frage, ob man auf der Seite der Türkei steht oder gegen die Türkei arbeitet. Da ist sehr stark dieses Schwarz-Weiß-Denken drin. Das macht natürlich solche Bemühungen und solche Gespräche nicht einfach.

Zur Person

Der Unternehmensberater Bülent Arslan ist Vorsitzender des Deutsch-Türkischen Forums der CDU Nordrhein-Westfalen. Die Plattform gibt es seit 1997. Sie will, so eine Selbstbeschreibung, die Belange türkischstämmiger Bürger in die CDU tragen sowie christdemokratische Politik der türkischstämmigen Bevölkerung näher bringen.

tagesschau.de: Und welche Gefühle stehen in Deutschland im Vordergrund?

Arslan: Das eine ist, dass viele Menschen den Eindruck haben, dass das Zusammenleben mit den Türken hier in Deutschland nicht gut funktioniert. Häufig denkt man, dass das ein anderer Kulturkreis sei. Und deswegen möchte man diesen sogenannten anderen Kulturkreis auch nicht in der EU haben. Und der zweite Punkt hat  etwas mit dem Thema Islam und Christentum in der Welt zu tun. Wenn man jeden Abend das Thema Islam in einer Form im Fernsehen präsentiert bekommt, bei der es um Terrorismus, um Selbstmordanschläge und solche Dinge geht, führt das dazu, dass die Leute langsam eine prinzipielle Ablehnung aufbauen.

tagesschau.de: Wie ist denn Ihre Position zu einem EU-Beitritt der Türkei?

Arslan: Ich bin für ergebnisoffene Verhandlungen. Das, was wir im Moment haben, sollte weitergeführt werden. Wo man auch ganz klar der Türkei sagt: Das wird mindestens noch zehn Jahre dauern. Aus meiner Sicht darf das Ergebnis nur davon abhängen, ob die Türkei sich weiterentwickelt, sich weiter erneuert. Wenn sie es schafft, ein anderes Land zu werden als heute oder vor fünf oder zehn Jahren, dann bin ich sehr wohl für eine EU-Mitgliedschaft. Wenn sie es nicht schafft, dann kann es eben auch sein, dass das Ganze in eine besondere Partnerschaft mündet. Aber ich bin dagegen, das Ergebnis jetzt vorwegzunehmen.

tagesschau.de: Wie schätzen Sie die Stimmung in Ihrer Partei in dieser Frage ein?

Arslan: Es gibt einige wenige Einzelpersonen, die sich für den Beitritt einsetzen. Die allergrößte Mehrheit ist gegen den Beitritt. Ich bedauere das, weil ich mich eher bei den anderen sehe. Ich bin wie gesagt dafür, dass die Beitrittsverhandlungen weitergeführt werden.  

tagesschau.de: Ist bei den Beitrittsgegnern Populismus im Spiel?

Arslan: Den Begriff Populismus würde ich wirklich nicht benutzen wollen. Das Thema Türkei-Deutschland, das ist ja nicht ausschließlich ein außenpolitisches Thema, sondern es ist in beiden Ländern ein innenpolitisches und wird auch für innenpolitische Zwecke genutzt. Wenn in Deutschland der EU-Beitritt der Türkei abgelehnt wird, ist das natürlich auch innenpolitisch beeinflusst. Und wenn Erdogan türkische Gymnasien vorschlägt, dann ist das ein Signal in der Türkei an die Innenpolitik, weil die EU-Kritik und die Deutschland-Kritik in den letzten Jahren zugenommen hat.

tagesschau.de: Was halten Sie von Erdogans Forderung nach mehr türkischen Gymnasien in Deutschland?

Arslan: Ich halte überhaupt nichts davon. Was wir in Deutschland brauchen, sind nicht mehr türkische Gymnasien, sondern mehr erfolgreiche, junge Türken in deutschen Schulen. Dafür kann es hilfreich sein, dass zum Beispiel die türkische Sprache einen größeren Stellenwert im deutschen Schulsystem einnimmt. Dafür bin ich sehr. Aber das schaffen wir nicht in anderen Schulen, das schaffen wir nur im bestehenden deutschen Schulsystem.

Das Interview führte Andreas Trabusch, tagesschau.de