Interview

Interview mit einem Abweichler "Wir brauchen keine falschen Anreize"

Stand: 18.08.2015 11:59 Uhr

Wenn morgen der Bundestag über das dritte Hilfspaket entscheidet, werden vor allem bei der Union wieder Abweichler erwartet. Auch der CDU-Abgeordnete Detlef Seif will gegen neue Gelder für Athen stimmen. Warum er "Nein" sagt, erklärt er im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Bei Krisenbeschlüssen drängt immer die Zeit. Haben Sie am Tag vor der Abstimmung zum dritten Hilfspaket für Griechenland alle Unterlagen beisammen?

Detlef Seif: Ja. Am Montagmittag hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble das ganze Paket mit den Unterlagen geschickt - über 150 Seiten. Aber schon vorher wurden einige Unterlagen sukzessive verfügbar gemacht, erst auf Englisch, dann in deutscher Arbeitsübersetzung.

tagesschau.de: Welche Chance haben Sie als Abgeordneter, die Unterlagen bis morgen zu lesen, zu verstehen und sich eine Meinung zu bilden?

Seif: Sie haben nur eine Chance, wenn Sie schon über ein solides Grundwissen verfügen und wissen, wie die Rettungspolitik aufgebaut ist. Die Art und Weise, wie wir Abgeordneten mit dem Thema umgehen, ist unterschiedlich. Im Europaausschuss beschäftigen wir uns ständig mit dem Thema. Aber wir haben in Deutschland ein Spezialisten-Parlament, das heißt jeder Abgeordnete hat sein Fachgebiet. Wenn Abgeordnete nicht in den für die Griechenland-Entscheidung relevanten Ausschüssen sitzen, ist es für sie fast unmöglich, das Thema komplett zu durchdringen. Da muss man sich auf die Kollegen in den Fachausschüssen verlassen.

Zur Person

Detlef Seif wurde 1962 in Euskirchen in Nordrhein-Westfalen geboren. Der Jurist ist seit 2009 für die CDU im Bundestag und vertritt den Wahlkreis Euskirchen/Erftkreis II. Seif ist Obmann der Unionsfraktion im Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union sowie Mitglied im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz.

Lebendige Diskussion in der Fraktion

tagesschau.de: Sagt man also lieber "Augen zu und durch" und folgt der Empfehlung der Fraktionsspitze?

Seif: Das wäre sicherlich einfacher. Aber so einfach macht es sich kein Kollege. Die meisten sprechen mit Fachpolitikern, die sachkundig sind. Innerhalb der Fraktion wird dieses Thema lebendig diskutiert. Bei der Debatte um Griechenland geht es außerdem um Europa im Ganzen. Daher denke ich, dass sich jeder Kollege hier besonders einarbeitet.

tagesschau.de: Morgen stimmen Sie ab, aber einige Punkte des Hilfspakets sind noch unklar. Ob der Internationale Währungsfonds (IWF) sich beteiligt, soll erst im Herbst entschieden werden. Brauchen wir eine Beteiligung des IWF?

Seif: Ich glaube nicht. Vor ein paar Jahren noch haben wir den IWF wegen seiner unabhängigen Expertise bei der Bewertung von Krediten und Schuldentragfähigkeit mit ins Boot geholt. Jetzt aber werden Beträge aus dem dritten Hilfspaket in die Schuldentilgung von IWF-Darlehen gehen, die beim zweiten Hilfspaket für Griechenland vergeben wurden. Deswegen hat der IWF eigene Interessen und ist daher auch nicht mehr erste Wahl. Mir wäre es lieber, eine unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ohne eigene Interessen in diesem Vertragswerk würde uns im weiteren Verfahren begleiten.

"Brüssel will politische Lösung"

tagesschau.de: Warum wäre eine solche unabhängige Instanz wichtig?

Seif: Die Europäische Kommission mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat Griechenland immer wieder deutlich gemacht, man werde eine Lösung finden. Dabei entstand der Eindruck, die Griechen können machen, was sie wollen - obwohl vielmehr der Eindruck entstehen müsste, dass auch Gegenleistungen erbracht werden müssen. Welche Interessen stecken also hinter dem Agieren der Kommission? Brüssel will eine politische Lösung und so argumentiert es auch. Deswegen müsste der Kommission jemand zur Seite gestellt werden, der verlässlich die wirtschaftlichen Daten und die Schuldentragfähigkeit überprüft.

tagesschau.de: Wie verlässlich sind denn die Zahlen, die in der Vorlage für die Abstimmung stehen?

Seif: Das ist die Frage. Die Schuldentragfähigkeitsanalyse basiert im wesentlichen auf der Hochrechnung alter Zahlen und berücksichtigt die aktuelle Entwicklung in Griechenland nur zum Teil. Ich bin gespannt, wenn die tatsächlichen Zahlen vorliegen. Zudem kann nicht ermittelt werden, wie hoch der Finanzbedarf tatsächlich ist. Für die Hilfen, die bereitgestellt werden sollen, um die Banken wieder auf Vordermann zu bringen, sind 25 Milliarden Euro veranschlagt. Die sind in diesen 86 Milliarden Euro enthalten. Die Europäische Zentralbank ermittelt jetzt erst, welchen Wert die Forderungen der Banken haben. Dann will man das Ganze einem Stresstest zuführen, um zu sehen, wie hoch der Bedarf letztlich ist. Die 25 Milliarden Euro sind nur eine Schätzung.

Nachteile für Abweichler

tagesschau.de: Unionsfraktionschef Volker Kauder hat gesagt, Abweichler bei der Abstimmung am Mittwoch könnten ihre Posten in den Ausschüssen verlieren. Was bewirkt diese Aussage?

Seif: Zunächst hat niemand erwartet, dass der Fraktionsvorsitzende eine solche Aussage öffentlich trifft. Es ist ein offenes Geheimnis, dass ein Abgeordneter, der nicht nach der Mehrheitsmeinung seiner Fraktion entscheidet, eventuelle Nachteile hat. Wir sind eine moderne Fraktion, aber in der Besetzung der Ausschüsse zeigt sich das noch nicht. Über die Besetzung entscheiden allein die Chefs der Landesgruppen und der Fraktionsvorsitzende. Das sollten wir verbessern.

tagesschau.de: Wie hoch ist denn der Druck, bei der Abstimmung mit Ja zu stimmen?

Seif: Ich verspüre keinen Druck und habe schon vor Wochen angekündigt, dass ich gegen das Paket stimmen will. Bei anderen Kollegen mag dies im Einzelfall anders sein. Es soll auch Einzelgespräche geben.

Breite Mehrheit erwartet - trotz Abweichlern

tagesschau.de: Bei der Abstimmung über die Aufnahme von Verhandlungen zum dritten Hilfspaket stimmten 60 Unionsabgeordnete dagegen. Mit welcher Zahl rechnen Sie?

Seif: Ich rechne mit einer breiten Mehrheit für das Paket. Wie groß der Anteil aus der Union ist, kann ich nicht sagen. Wir haben es nun mit einer anderen Entscheidung zu tun als noch vor vier Wochen. Da ging es nur über die Aufnahme von Verhandlungen und um eine Brückenfinanzierung. Jetzt geht es um den grundsätzlichen Beschluss. Aber vermutlich wird das Abstimmungsergebnis in etwa so sein wie im Juli.

tagesschau.de: Sie sagen, Sie stimmen mit Nein. Kann man Sie davon noch abbringen?

Seif: An dieser Stelle nicht mehr. Der Ansatz ist gut, aber es fehlt die Gesamtreform. Viele kleine Regelungen sind enthalten, aber viele Passagen sind verwässert. Wir brauchen keine falschen Anreize. Wir brauchen stattdessen Rechtsvorschriften und ein tragfähiges, nachhaltiges Programm, welches notfalls mit Sanktionen durchsetzbar ist. Und dies fehlt zurzeit.

Das Interview führte Barbara Schmickler, tagesschau.de.