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Interview zur schwarz-grünen Koalition "Hessen ist eine Blaupause für den Bund"

Stand: 18.12.2013 16:54 Uhr

In Hessen haben CDU-Ministerpräsident Bouffier und Grünen-Landeschef Al-Wazir ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. tagesschau.de sprach mit Parteienforscher Kronenberg über die Bedeutung des ersten schwarz-grünen Bündnisses in einem Flächenstaat.

tagesschau.de: Union und Grüne in Hessen haben heute ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Welche Bedeutung hat dieses Bündnis für den Bund?

Volker Kronenberg: Eine sehr große. Wenn sich Schwarz-Grün in Hessen bewährt und die Koalitionspartner vertrauensvoll bis zur nächsten Bundestagswahl im Jahre 2017 zusammenarbeiten, haben sich die Diskussionen der vergangenen Jahre erledigt. Die Frage, ob Schwarz-Grün auch im Bund funktionieren kann, stellt sich dann nicht mehr. Hessen ist nicht irgendein Land, sondern ein industriepolitisches Schlüsselland und damit eine Blaupause für die Bundespolitik. Wenn sich Schwarz-Grün hier trotz aller Probleme wie Flughafen und Bildung bewährt, dann klappt es auch im Bund.

tagesschau.de: Die Grünen gehen ausgerechnet ein Bündnis mit Ministerpräsident Volker Bouffier ein, der sich als hessischer Innenminister für die Rasterfahndung und eine Verschärfung der Überwachungsmethoden einsetzte und den Spitznamen "schwarzer Sheriff" trägt. Haben sich die Grünen in Hessen für dieses Bündnis entkernt?

Kronenberg: Es hat ihm kaum jemand zugetraut, aber seit Volker Bouffier Ministerpräsident ist, hat er einen signifikanten Imagewandel vollzogen. Das Bild des "schwarzen Sheriffs" hat er abgelegt. Er ist jenseits des konservativen Milieus anschlussfähig geworden und damit auch für den Verhandlungsführer der Grünen Tarek Al-Wazir.

"Die Grünen haben auch Federn gelassen"

tagesschau.de: Die Grünen haben für die Koalition viele Federn gelassen. Sie haben mit dem Wirtschafts- und Umweltministerium nur zwei Ministerien bekommen, sie wollten aber drei.

Kronenberg: Es kommt in meinen Augen weniger auf die Zahl der Ministerien an, sondern darauf, welche es sind. Gerade die Themen Wirtschaft und Verkehr sind Schlüsselthemen. Al-Wazir hat als Chef dieses starken Ministeriums sehr viel Gestaltungsverantwortung. Und auch Umwelt ist ein klassisches Grünenthema. Damit können sich die Grünen auch die Stammwähler halten.

Zur Person

Volker Kronenberg ist Akademischer Direktor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. Er forscht auf dem Gebiet schwarz-grüne Zusammenarbeit.

tagesschau.de: Al-Wazir hat vor der Wahl versprochen, den Ausbau des Frankfurter Flughafens zu stoppen. Jetzt will man nochmal neu verhandeln.

Kronenberg: Sicher, es hat auch für die Grünen schmerzliche Kompromisse gegeben. Was mit dem Flughafen passiert, ist zum Beispiel nicht klar im Koalitionsvertrag festgelegt. Aber die Union hat sich auch erheblich auf die Grünen zubewegt. Bouffier ist nicht mehr grundsätzlich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Das Familienbild und die Schulpolitik sind bei weitem nicht mehr so ideologisch besetzt. Beide Seiten haben sich bei den wichtigen Themen Integration und Bildung aufeinander zubewegt. Sie können sich jetzt auf das Bündnis einlassen. Die Grünen sitzen nicht mehr, bildlich gesprochen, im "Baumhaus" und Bouffier ist nicht mehr der "schwarze Sheriff". Die Grünen in Hessen sind nicht das Anhängsel einer ultrakonservativen Bouffier-CDU, denn die gibt es gar nicht mehr. Die Koalition ist kein Harakiri.

"Hessen ist ein Versuchslabor für Koalitionen"

tagesschau.de: Wieso klappt denn ein schwarz-grünes Bündnis in Hessen, aber bisher nicht im Bund?

Kronenberg: Das liegt ganz klar an den Verhandlungsführern. Zwischen Bouffier und Al-Wazir gibt es inzwischen offenbar ein belastbares Vertrauensverhältnis. Das Gelingen oder Nicht-Gelingen einer Koalition ist ganz stark an die Personen gekoppelt. Das kann man am Beispiel Hamburg sehen. Als Ole von Beust 2010 zurücktrat, war auch der Garant für eine schwarz-grüne Koalition nicht mehr da. Das Bündnis war gescheitert.

tagesschau.de: In Hessen hat es auch 1985 zum ersten Mal ein rot-grünes Bündnis gegeben. Ist das Bundesland eine Art Versuchslabor für neue Koalitionen?

Kronenberg: Ja, so kann man es sehen. Weder für die CDU noch für die Grünen war Schwarz-Grün eine Wunschkoalition. Sie ist dem Wahlergebnis geschuldet. Bouffier hätte sicher lieber mit der FDP regiert, wenn es gegangen wäre. Für Rot-Rot-Grün hat es aus Sicht der Grünen nicht gereicht. Eine Große Koalition wäre eine Alternative gewesen, aber die beiden haben nicht zueinander gefunden. Also haben sich die Grünen und die CDU aufeinander zubewegt. Jetzt haben sie die Chance, aus diesem eher unerwünschten Bündnis etwas Gutes zu machen. Und dann kann es auch ein Modell für den Bund sein. Dass das allerdings jetzt in Hessen passiert und nicht in Baden-Württemberg, hätte niemand gedacht.

tagesschau.de: Ist auch ein mangelndes Vertrauen zwischen den Verhandlungsführern der Grund dafür gewesen, dass Schwarz-Grün im Bund gescheitert ist?

Kronenberg: Ich sehe es so. Die Grünen haben einen dezidiert linken Wahlkampf geführt. Sie haben sich an die SPD gekettet, auch als klar war, dass das keine realistische Option mehr ist. Als dann die Führungsriege, die das zu verantworten hatte, zurücktrat, kamen mit Simone Peter und Anton Hofreiter Politiker an die Spitze, die bisher keine Führungsstärke zeigen konnten, zumal es in der grünen Fraktion starke Vorbehalte gegen Schwarz-Grün gab. Eine Koalition mit ihnen wäre für die Union, die ihrerseits in dieser Frage gespalten war, ein zu großes Wagnis gewesen. Bouffier und Al-Wazir hingegen sind in ihren Parteien unumstritten.

Auch die CDU und die Grünen im Bund haben ein Interesse daran, dass man Schwarz-Grün in Hessen probt. Die künftige Politik des neuen Wirtschafts- und Energieministers Sigmar Gabriel wird den Grünen vermutlich nicht passen. Die traditionellen Lagerzugehörigkeiten sind überwunden. Jeder sucht sich nun neue Bündnisoptionen. Durch das Ausscheiden der FDP ist die CDU noch mehr gezwungen, den Blick zu öffnen. 2013 war die letzte Wahl, bei der noch die klassischen Lager gegeneinander angetreten sind.

Das Interview führte Friederike Ott, tagesschau.de