Interview

Interview zum Grünen-Parteitag "Kernthemen der Grünen sind eigentlich andere"

Stand: 26.04.2013 01:09 Uhr

Die Grünen werden auf dem Bundesparteitag in Berlin über ihr Wahlprogramm abstimmen - und darin orientieren sie sich stark an der SPD. Ist diese Strategie klug? Politikwissenschaftler Jürgen Falter sieht das kritisch. Die Grünen könnten bei der Einschätzung ihrer eigenen Wählerschaft falsch liegen, sagt er im tagesschau.de-Interview.

tagesschau.de: Die Grünen stellen explizit das Thema soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes und orientieren sich damit in ihrem Wahlprogramm sehr stark an der SPD. Ist das klug?

Jürgen Falter: Das ist klug, wenn die Grünen glauben, dass sie mit der SPD eine Koalition bilden können - wenn sie also mit einigermaßen Aussicht auf Erfolg einen Lagerwahlkampf führen wollen. Wenn es aber nicht zu einer rot-grünen Koalition reichen sollte - und danach sieht es im Augenblick aus - ist es nicht besonders klug. Dann könnten die Grünen damit allenfalls versuchen, die eigene Stimmenzahl zu maximieren, um dann in anders gelagerten Koalitionsverhandlungen personell und programmatisch möglichst viel herauszuholen.

Zur Person

Jürgen Wilfried Falter studierte von 1963 bis 1968 Politikwissenschaft und Neuere Geschichte an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und der Freien Universität Berlin. Er lehrt Politikwissenschaft und Parteienforschung an der Universität Mainz.

tagesschau.de: Wenn die Grünen mehr eigenes Profil zeigen sollten, statt einen Lagerwahlkampf zu machen, wie sollte das Ihrer Meinung nach aussehen?

Falter: Ich glaube nicht, dass die soziale Gerechtigkeit tatsächlich ein Kernthema der Grünen ist. Das ist es nur zum Teil, das merkt man ja auch an den parteiinternen Auseinandersetzungen. Anzeichen dafür sind etwa die Äußerungen von Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Kretschmann und anderen, wonach keineswegs alle glücklich sind, dass die Grünen sich ein so klar links von der Mitte angesiedeltes Profil geben.

Die Kernthemen der Grünen sind eigentlich andere: Umwelt etwa ist das zusammenbindende Thema der Grünen. Auch Emanzipationsthemen und Bürgerrechtsthemen gehören zu den Kernthemen der Partei. Das Thema soziale Gerechtigkeit könnte bei den Grünen auch deutlich anders aussehen als bei der SPD. Bei den Sozialdemokraten ist es stark auf Verteilungsgerechtigkeit ausgerichtet. Die Grünen könnten von ihrer Klientel her auch sehr gut den Aspekt der Chancen- und Leistungsgerechtigkeit stärker in den Vordergrund stellen - und vor allem anderen den Aspekt der Generationengerechtigkeit. Verteilungsgerechtigkeit und Generationengerechtigkeit aber vertragen sich keineswegs automatisch.

tagesschau.de: Sie sagen, die Grünen positionieren sich gerade deutlich links der Mitte. Wo sollten sie sich Ihrer Meinung nach positionieren, um erfolgreich im Wahlkampf zu sein?

Falter: Eigentlich müssten sie aus der Sicht der Wähler - aber auch von den Inhalten des Wahlprogramms her - zwischen SPD und CDU stehen. Sicherlich etwas näher an der SPD, das ist ja kein Widerspruch. Aber im Augenblick stehen sie in den Augen vieler Wähler eher leicht links von der SPD.

tagesschau.de: Nun debattieren die Grünen gerade über ihr Wahlprogramm. Darin steht: Erhöhung des Spitzensteuersatzes, eine Vermögensabgabe, diskutiert wird noch über die Vermögenssteuer, zusätzlich noch zur Vermögensabgabe. Da wird ja die eigene Klientel sehr stark zur Kasse gebeten. Wie gefährlich ist das?

Falter: In der Tat nimmt man wenig Rücksicht. Und zwar deswegen, weil man meint, die Mitglieder der Grünen seien bei ihrer Stimmabgabe stärker idealistisch motiviert als die Wähler anderer Parteien. Das heißt, die Grünen meinen, ihre Wähler sind bereit für das gute, große Ganze dann auch finanziell etwas Federn zu lassen. Man geht davon aus, dass die Wähler der Partei insgesamt stärker an die Partei gebunden sind und weniger aus der Geldbeutelperspektive abstimmen als die Anhänger anderer Parteien.

"Nicht nur aus idealistischen Überlegungen"

tagesschau.de: Liegen die Grünen mit dieser Einschätzung ihrer eigenen Wähler richtig?

Falter: Sie ist gewagt. Es gibt natürlich Grünen-Wähler, die ganz klar zu den Besserverdienenden gehören - wie überhaupt die Grünen-Klientel im Durchschnitt seit längerem schon zu den Besserverdienenden gehört. Da haben die Grünen zur FDP mehr oder minder aufgeschlossen. Wenn es um die Vermögensabgabe oder eine höhere Einkommenssteuer geht, werden diese Wähler dann vielleicht doch überlegen, ob ihre Stimme nicht bei einer anderen Partei besser untergebracht ist. Denn es ist ja nun wirklich nicht so, dass alle Grünen-Wähler nur aus idealistischen Überlegungen heraus Grün wählen.

tagesschau.de: Beim Parteitag am Wochenende wird SPD-Chef Gabriel sprechen. Grünen-Chefin Roth hat beim SPD-Parteitag vor zwei Wochen gesprochen. Ein solch enger Schulterschluss ist eigentlich nur bei den Schwesterparteien CDU und CSU üblich. Sollten sich die Grünen auch für andere Bündnisse öffnen?

Falter: Strategisch klug wäre es schon deswegen, weil es ihre mögliche Verhandlungsposition mit der SPD stärken könnte. Nehmen wir einmal an, Rot-Grün könnte eine Mehrheit stemmen, es wäre aber gleichzeitig auch Schwarz-Grün möglich. Dann könnten die Grünen natürlich auch gegenüber der SPD ihre Verhandlungsposition stärken, wenn sie strategisch breiter aufgestellt wären, was sie im Augenblick nicht sind. Sie setzen so eindeutig auf Rot-Grün, dass es schwer werden dürfte, Schwarz-Grün auch nur anzudenken, wenn die Wahl anders ausgehen sollte als von SPD und Grünen gewünscht.

"Im Augenblick ist das noch ein leiser Flügelstreit"

tagesschau.de: Nun ist es ja die Parteispitze - in persona Trittin und Roth - die sich sehr stark auf Rot-Grün fokussiert. Es gibt aber ja auch prominente Gegenstimmen wie Winfried Kretschmann. Erleben wir die Neuauflage eines Flügelstreits bei den Grünen?

Falter: Im Augenblick ist das noch ein leiser Flügelstreit. Der würde aber mit Sicherheit lauter werden, wenn die Grünen bei der Bundestagswahl schlechter abschneiden, als sie - mit Blick auf die Umfragen - hoffen. Also wenn sie nur 12 statt 15 Prozent kriegen. Oder wenn sie in der Opposition landen, weil sie mit ihrem jetzigen Wahlprogramm nicht kompatibel sind zu einer schwarz-grünen Koalition.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de