Interview

Medizinerin zu Influenza-Epidemie "Noch mitten in der Grippewelle"

Stand: 19.02.2015 19:51 Uhr

Schon jetzt ist die aktuelle Grippewelle doppelt so stark wie in der vergangenen Saison - dabei stecken wir noch mittendrin. Woran das liegt und für wen Impfen sich jetzt noch lohnt, erklärt die Medizinerin Silke Buda im tagesschau.de-Interview.

tagesschau.de: Wie stark schätzen Sie diese Grippewelle im Vergleich zu den Vorjahren ein?

Silke Buda: Es ist schwierig, die Schwere von Grippewellen zu beurteilen, so lange sie noch anhalten. Die jetzige Grippewelle ist aber definitiv stärker als die der Saison 2013/14. Da hatten wir insgesamt 7000 labordiagnostisch bestätigte Influenzaerkrankungen. Jetzt haben wir bereits mehr als 18.300 bestätigte Fälle und stecken noch mitten in der Grippewelle. Allerdings war die Grippewelle 2013/14 eine vergleichsweise milde.

Zur Person

Silke Buda ist Stellvertretende Leiterin des Fachgebiets für respiratorisch übertragbare Erkrankungen am Robert Koch Institut (RKI). Die Veterinärmedizinerin ist zuständig für die Überwachung der Grippe-Aktivität und leitet die Arbeitsgemeinschaft Influenza.

tagesschau.de: Gibt es eine hohe Dunkelziffer?

Buda: Wir vergleichen am Ende jeder Saison die Zahl der gemeldeten Erkrankungen mit den geschätzten Erkrankungen. In der Saison 2012/13 gab es insgesamt mehr als 70.000 labordiagnostisch bestätigte Influenzaerkrankungen. Wir haben aber geschätzt, dass mehr als sieben Millionen Menschen wegen Influenza den Arzt aufgesucht haben.

"Die Bevölkerung ist weniger immun"

tagesschau.de: Welche Regionen sind derzeit am stärksten betroffen und wohin breitet die Grippewelle sich aus?

Buda: Momentan sind insbesondere der Süden und der Osten Deutschlands relativ stark betroffen. Wie sich die Grippe weiter ausbreitet, lässt sich nicht vorhersagen.

tagesschau.de: Wie erklären Sie sich den starken Anstieg der Grippeerkrankungen?

Buda: In dieser Jahreszeit ist immer mit einer Grippewelle zu rechnen. Momentan ist ein Virus vorherrschend, das sich Influenza A H3N2 nennt. Das hat schon in der Vergangenheit häufig zu starken Grippewellen geführt.

Die Immunität der Bevölkerung gegen dieses Virus ist offenbar nicht sehr verbreitet. Das liegt daran, dass die Grippewelle der vergangenen Saison so mild war und dadurch nicht so viele Menschen eine Immunität nach überstandener Erkrankung entwickeln konnten. Außerdem hat sich das A H3N2-Virus seit der letzten Saison dergestalt verändert, dass der Impfstoff, dessen Zusammensetzung die WHO bereits im Frühjahr 2014 festgelegt hatte, nicht mehr zu den zirkulierenden Viren passt.

tagesschau.de: Sind auch die Symptome in dieser Saison stärker oder andere?

Buda: Auf stärkere Symptome haben wir im Moment keine Hinweise. Bei diesem Grippetyp sind generell insbesondere ältere Menschen gefährdet, einen schweren Krankheitsverlauf zu entwickeln.

Zahl der Erkrankungen steigt noch an

tagesschau.de: Hat die Grippewelle ihren Gipfel schon erreicht beziehungsweise womit ist noch zu rechnen?

Buda: Ob man den Höhepunkt erreicht hat, kann man erst dann sagen, wenn die Zahlen wieder langsam sinken. So weit sind wir noch nicht - und wenn das der Fall ist, wird die Grippewelle immer noch einige Wochen dauern, bis sie langsam verebbt.

tagesschau.de: Sollte man sich jetzt noch impfen lassen?

Buda: Für Risikogruppen wie ältere Menschen, Menschen mit chronischen Vorerkrankungen oder Stoffwechselerkrankungen und schwangere Frauen kann das sinnvoll sein. Man muss aber bedenken, dass der Aufbau des Impfschutzes 14 Tage dauert und der vorhandene Impfschutz gegenüber dem A H3N2-Virus deutlich reduziert ist. Dennoch kann der ein oder andere von diesem Impfschutz profitieren. Zumal ja auch noch andere Grippeviren zirkulieren. Man sollte diese Frage individuell mit dem Hausarzt besprechen.

tagesschau.de: Wie kann man sich sonst schützen?

Buda: Man sollte die gängigen Hygieneregeln beachten: häufiges Händewaschen, Abstand halten zu erkrankten Personen, in geschlossenen Räumen regelmäßig lüften und insgesamt möglichst gesund leben, um sein Immunsystem zu stärken, also sich beispielsweise vitaminreich ernähren. Gerade ältere Menschen sollten den Kontakt zu Erkrankten meiden.

Man sollte außerdem bedenken, dass viele Influenzaerkrankungen mit deutlich schwächeren Symptomen einhergehen und manchmal fast gar keine Symptome spürbar sind. Dennoch kann man dann andere Menschen anstecken, die vielleicht einer Risikogruppe angehören. Wer also jetzt Erkältungssymptome oder Grippesymptome hat, die sich sehr lange hinziehen oder sich nach einer anfänglichen Besserung deutlich verstärken, sollte seinen Hausarzt aufsuchen.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de