Nach der Europawahl Den Großen laufen die Wähler davon

Stand: 08.06.2009 16:16 Uhr

Eigentlich kann keine der Volksparteien jubeln: CDU, CSU und SPD haben Stimmenverluste hinnehmen müssen. Doch während die Union den Wahlsieg für sich reklamiert, ist die SPD auf Fehlersuche: Man habe ein Mobilisierungsproblem gehabt, sagte Parteichef Müntefering.

Die Volksparteien sind die Verlierer der Europawahl. Doch während CDU und CSU trotz Stimmenverlusten von einem Wahlsieg sprechen, bläst der SPD der Wind ins Gesicht – der Urnengang brachte ein Dreivierteljahr nach dem Führungswechsel nicht die von den Genossen erhoffte Trendwende in der Wählergunst. Die Sozialdemokraten rutschten sogar unter das historisch schlechte Ergebnis der Europawahl im Jahr 2004: Im Vergleich machten 76.268 Wähler weniger ihr Kreuz bei der SPD. Mit 20,8 Prozent schnitt die Partei schlechter ab als bei allen anderen bundesweiten Abstimmungen seit 1945. Nun schließt die SPD-Führung die Reihen und richtet den Blick hoffnungsvoll auf die Bundestagswahl im September.

Parteichef Franz Müntefering sagte, das Ergebnis der SPD liege "im Wesentlichen" an der niedrigen Wahlbeteiligung von 43 Prozent. "Bei der letzten Bundestagswahl waren es 78 Prozent, also ein Unterschied von 35 Prozent. Da steckt die Chance, und dafür werden wir weiter kämpfen", sagte er im Deutschlandfunk. "Entschieden ist überhaupt nichts zur Bundestagswahl."

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Peer Steinbrück räumte nach dem Rekord-Tief der Sozialdemokraten eine "gewisse Ratlosigkeit" ein. Die SPD müsse nun mit Blick auf die kommenden Wahlen gegen "Enttäuschung und Frustration" angehen, sagte der Bundesfinanzminister im ARD-"Morgenmagazin". Er lehnte trotz des Wahldebakels eine Führungsdebatte in seiner Partei ab. Das Personal der SPD müsse sich im Vergleich zu anderen Parteien nicht verstecken, betonte der stellvertretende Vorsitzende.

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit sagte, die Sozialdemokraten hätten für die Bundestagswahl mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier einen guten Spitzenkandidaten sowie ein gutes Wahlprogramm. Die SPD müsse Partei der sozialen Gerechtigkeit bleiben und im Herbst "ihr Wählerpotenzial ausschöpfen", sagte der SPD-Politiker vor einer Präsidiumssitzung in Berlin. "Es gibt keinen Anlass, jetzt in Trauer rumzulaufen, wir werden kämpfen."

Merkel: "Gute Ausgangsbasis"

Bundeskanzlerin Angela Merkel führte das SPD-Debakel auf einen widersprüchlichen Kurs des Koalitionspartners zurück. SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier sei der Protagonist der Agenda 2010, spreche aber zugleich von einem Neustart der sozialen Marktwirtschaft. Der Wahlkampf der SPD habe bisweilen die Frage aufgeworfen, ob die Sozialdemokraten in der Opposition oder in der Regierung säßen. Das Abschneiden der Union bei der Europawahl wertete Merkel als gute Ausgangsbasis für die Bundestagswahl.

Müller: SPD ist keine Volkspartei mehr

Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) hält die SPD nicht mehr für eine Volkspartei. "Nach dieser Europawahl können wir feststellen, dass es in Deutschland nur noch eine Partei gibt, die den Anspruch erheben kann, Volkspartei zu sein", sagte Müller. Die Union sei deshalb die Partei, die Regierungsverantwortung in Deutschland tragen müsse. Unions-Fraktionschef Volker Kauder sieht gute Chancen für eine Koalition mit der FDP bei der Bundestagswahl am 27. September, warnte aber vor Übermut. "Wir haben eine gute Ausgangsbasis, aber Wahlen sind erst gewonnen, wenn die Wahllokale geschlossen haben", sagte Kauder. Die SPD habe "erhebliche Probleme". Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis blieb die CDU trotz erheblicher Verluste (minus 5,9 Prozentpunkte) mit 30,7 Prozent stärkste Kraft in der Wählergunst.

Seehofer will Geschlossenheit in der Union

CSU-Chef Horst Seehofer sagte in München vor einer Vorstandssitzung der Partei, die Union müsse "mit größtmöglicher Geschlossenheit" in die Bundestagswahl gehen. Die CSU hatte bei der Europawahl in Bayern 48,1 Prozent der Stimmen geholt, was bundesweit ein Ergebnis von 7,2 Prozent bedeutet. Dies war zwar ein deutlich schlechteres Ergebnis als bei der vergangenen Europawahl, aber ein klar besseres als bei der Landtagswahl im vergangenen September, als sie auf 43,4 Prozent kam.

FDP: Ergebnis ist "Fingerzeig" für den Herbst

FDP-Chef Guido Westerwelle sieht nach der Europawahl gute Aussichten für eine schwarz-gelbe Regierungsmehrheit im Bund. Es gebe nun "eine wirkliche Chance", nach der Bundestagswahl im Herbst eine bürgerliche Mehrheit ins Amt zu bringen. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel erklärte, das Ergebnis der Europawahl sei "ein Fingerzeig" für den 27. September. Insgesamt gebe es "eine gute Ausgangslage für Schwarz-Gelb". Die FDP wurde mit dem weitaus stärksten Zuwachs (plus 4,9 Prozentpunkte) auf 11,0 Prozent größter Wahlgewinner.

Grüne wollen auch im Bund drittstärkste Partei werden

Die Grünen behaupteten sich bei der Europawahl mit 12,1 Prozent als drittstärkste Partei. Die Vorsitzende Claudia Roth wertete das Ergebnis als "Lohn" dafür, dass die Partei Europapolitik thematisiert und auf einen vorgezogenen Bundestagswahlkampf verzichtet habe. Grünen-Parteichef Cem Özdemir bekräftigte das Ziel seiner Partei, auch bei der Bundestagswahl drittstärkste Kraft zu werden. "Unser Beitrag für einen möglichen Wechsel zu anderen Mehrheiten ist, Schwarz-Gelb zu verhindern", sagte er im WDR. Die guten Resultate seien auf die konsequente Verbindung von Wirtschaft und Umwelt im Programm zurückzuführen.

Auch "Die Linke" räumt Mobilisierungsproblem ein

Enttäuscht von der Europawahl zeigte sich auch "Die Linke". Zwar verbesserte sich die Partei um 1,4 Prozentpunkte auf 7,5 Prozent, doch als Ziel hatte sich die Partei "10 plus X" gesteckt. Der Vorsitzende, Oskar Lafontaine, sprach von "Mobilisierungsproblemen" seiner Partei. "Inzwischen muss man feststellen, dass die Wählerinnen und Wähler, die Hartz IV beziehen, die arbeitslos sind oder kleine Renten haben, einfach so enttäuscht sind, dass sie bei Europa schon gar nicht mehr zur Wahl hingehen", sagte er dem Saarländischen Rundfunk. Dies habe er vor einigen Monaten noch anders gesehen. Lafontaine fügte hinzu: "Und das trifft uns natürlich besonders."