DeutschlandTrend

ARD-DeutschlandTrend Aderlass für die FDP

Stand: 06.01.2011 23:20 Uhr

Die FDP ist unter die Fünf-Prozent-Hürde gerutscht. Im aktuellen ARD-DeutschlandTrend kämen die Liberalen auf vier Prozent, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre. Doch die Befragten kritisieren vor allem die Partei und nicht den Vorsitzenden Westerwelle. So wird die FDP derzeit als besonders unglaubwürdig eingeschätzt.

Von Jörg Schönenborn, WDR

Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass diese Entwicklung das Leben in der schwarz-gelben Regierungskoalition nicht friedlicher machen wird: Während der Union in der Weihnachtspause neue Muskeln gewachsen sind, rutscht die FDP im ARD-DeutschlandTrend diese Woche auf den tiefsten Wert seit Oktober 1999. Seit Juli 2010 war die Fünf-Prozent-Hürde in allen Umfragewellen von Infratest dimap so etwas wie die Rettungsleine gewesen. Die ist jetzt gerissen, die FDP steht bei vier Prozent. Dass das wenig mit der Arbeit der Regierungskoalition und viel mit der Partei zu tun haben muss, zeigt der Blick auf die Zahlen von CDU und CSU. Sie gewinnen seit Anfang Dezember vier Punkte hinzu und stehen nun bei 36 Prozent – was wiederum der beste Wert seit April vergangenen Jahres ist. Alle anderen Parteien verlieren leicht. Die SPD startet mit 26 Prozent ins neue Jahr (- 1), die Linke ist mit neun Prozent (- 1) wieder einstellig. Und die Grünen verlieren zwei Punkte und stehen am Anfang des Superwahljahres bei 19 Prozent. Bei den Befragten mit guter Bildung (Abitur oder Fachhochschulreife) bleiben die Grünen allerdings mit 33 Prozent stärkste aller Parteien. Wie immer hat Infratest dimap für den ARD-DeutschlandTrend von Montag bis Mittwoch dieser Woche 1500 Telefoninterviews durchgeführt.

FDP-Absturz hat symbolische Bedeutung

Natürlich ist das Abrutschen der FDP unter die Fünf-Prozent-Hürde vor allem von symbolischer Bedeutung. Unter Führung des jetzigen Bundesvorsitzenden Guido Westerwelle, der immerhin seit 2001 im Amt ist, war sie auf Bundesebene bisher noch nicht mit der Zahl 4 konfrontiert. Verglichen mit der Bundestagswahl im September 2009 haben die Liberalen jetzt mehr als zwei Drittel ihrer Anhänger verloren. Von rund 10.000 Interviews seit Oktober vergangenen Jahres hat Infratest dimap eine fiktive Wählerwanderung errechnet. Das Erstaunlichste daran: Die FDP verliert in alle Richtungen. Bei der Bundestagswahl hatte sie 6,3 Millionen Zweitstimmen, zurzeit käme sie rechnerisch noch auf 1,7 Millionen Wählerinnen und Wähler. Fast drei Viertel der damaligen Anhänger – oder in Zahlen 4,6 Millionen – haben ihr den Rücken gekehrt. Davon haben 1,7 Millionen den Weg zur Union gefunden, 600.000 sind zur SPD abgewandert, 500.000 zu den Grünen. Etwa 1,7 Millionen erklären, dass sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt gar nicht wählen würden oder sich nicht entscheiden können.

Absturz hat viele Gründe

Für den DeutschlandTrend Anfang Januar haben uns die Gründe für diesen Aderlass besonders interessiert. Dabei haben wir gefragt, welche Faktoren "entscheidend" für die schlechte Lage der Partei sind, Mehrfachnennungen waren möglich. Ganz oben steht das Thema Wahlversprechen. 74 Prozent machen die Tatsache verantwortlich, "dass die im Wahlkampf von der FDP versprochenen Steuersenkungen bisher ausgeblieben sind". 72 Prozent kritisieren eine Politik "vor allem für bestimmte Wählergruppen", hier sind immer noch die Spuren der Hotelsteuer sichtbar. Dann erst folgt die "Arbeit des Parteivorsitzenden Westerwelle", die 67 Prozent als entscheidenden Grund nennen. Nicht weit dahinter liegt die "schlechte Arbeit der FDP-Minister im Kabinett".

Es liegt nicht nur an der Person Westerwelle

Auch wenn der Abstand zwischen den Werten nicht besonders groß ist, wird doch deutlich: Dreh- und Angelpunkt des FDP-Desasters ist auf keinen Fall allein die Person Guido Westerwelle. Vermutlich entscheidender ist der Eindruck, dass die FDP eine Partei ist, die vor den Wahlen viel verspricht, was sie nachher nicht einhält (wofür wiederum auch wieder ein Parteivorsitzender Verantwortung trägt).

FDP hat den unehrlichsten Ruf

So gilt die FDP derzeit als unehrlichste aller im Bundestag vertretenen Parteien. Denen wird von den Wählern ja generell häufig vorgeworfen, dass sie vor der Wahl nicht ehrlich sagen, was sie danach politisch machen wollen. Bei jeder einzelnen Partei glaubt eine Mehrheit der Befragten, dass sie vor Wahlen unehrlich ist. Relativ am besten schneiden die Grünen ab. 32 Prozent der Befragten stimmen zu: Die Grünen sagen ehrlich, was sie wollen. Es folgen die SPD (26 Prozent), die CDU (22 Prozent), die CSU (21 Prozent), die Linke (20 Prozent) und als klares Schlusslicht die FDP mit 14 Prozent.

Westerwelles Zukunft wird düster gesehen

Entsprechend düster sind die Aussichten, die die Befragten formulieren: 86 Prozent stimmen der Ansicht zu, die FDP werde "bei den Wahlen in diesem Jahr die Quittung für ihre bisherige Arbeit bekommen". 60 Prozent glauben nicht, dass Guido Westerwelle die FDP auch Anfang des Jahres 2012 noch führen wird. Immerhin hält eine starke Minderheit von 42 Prozent die Kritik an Westerwelle für "zu hart und ungerecht".

Union erstarkt

Den schwindsüchtigen Liberalen steht eine Union gegenüber, die zu unerwarteter Stärke angewachsen ist. Der Anstieg von 32 auf 36 Prozent von Anfang Dezember bis Anfang Januar ist nicht mit großen politischen Themen oder Initiativen zu erklären. Vieles spricht dafür, dass sich dieser Erfolg vor allem aus zwei Quellen speist:

Da ist zum einen die stabil gute Stimmung. Wie schon im Vormonat bewertet die Mehrheit (61 Prozent) die gegenwärtige wirtschaftliche Lage als gut oder sehr gut. Immerhin 41 Prozent rechnen mit einer weiteren Verbesserung in diesem Jahr, und nur 13 Prozent blicken pessimistisch in die wirtschaftliche Zukunft des Landes. So etwas hilft traditionell den Regierungsparteien. Und angesichts der beschriebenen Lage des mittleren Partners FDP profitieren hier vor allem der große Partner CDU und der kleine Partner CSU.

Minister der Union legen zu

Zum anderen fällt auf, dass wichtige Funktionsträger der Union in den letzten Monaten enorm an Sympathie gewonnen haben. Das gilt nicht nur für Karl-Theodor zu Guttenberg, der mit 76 Prozent (+ 1) Zustimmung zu seiner politischen Arbeit erneut die monatliche Hitliste anführt und einen neuen persönlichen Rekordwert erzielt. Besonders auffällig ist, dass sich Innenminister Thomas de Maizière mittlerweile mit 54 Prozent Zustimmung (+ 1) auf Rang zwei vorgearbeitet hat. Und die zuletzt schlecht bewertete Kanzlerin Angela Merkel hat Boden gut gemacht und mit 53 Prozent wieder den dritten Platz erobert (+ 9). Es folgen Ursula von der Leyen mit 52 Prozent (+ 3), der einzige Sozialdemokrat in der Spitzengruppe, Frank-Walter Steinmeier, mit 50 Prozent (- 6) und Finanzminister Wolfgang Schäuble mit 50 Prozent (+ 9). Sieht man von de Maizières besonnenem Verhalten während der Terrordrohungen im Dezember ab, hat sich keine dieser Personen politisch besonders hervorgetan. Offenbar erscheinen sie nach einer ruhigen Weihnachtspause schlicht als besonders vertrauenswürdig.

Und natürlich profitiert die Union – wenn auch im bescheidenen Umfang – vom Ende des grünen Höhenflugs, denn die Grünen hatten ja lagerübergreifend hinzugewonnen.

Prioritätenliste für das Jahr 2011

Nicht nur demoskopischer Erfolg und Misserfolg trennen die Regierungspartner, sondern erneut unterschiedliche Vorstellungen in einer sehr grundsätzlichen Frage. Während Finanzminister Schäuble die Steuererleichterungen von rund einer halben Milliarde Euro nicht rückwirkend zum Jahreswechsel beschließen will, fordert vor allem die FDP genau dies ultimativ. Im DeutschlandTrend haben wir nicht konkret nach dieser Konfliktstellung gefragt, aber die Deutschen um eine Prioritätenliste der wichtigsten Aufgaben im Jahr 2011 gebeten. Und da fällt gleich in den Blick, dass der Schuldenabbau ganz oben und Steuersenkungen ganz unten auf dieser Prioritätenliste stehen.

Als "sehr wichtige" Aufgaben nennen jeweils 64 Prozent bessere Ausstattung für Schulen und Hochschulen und eine bessere Qualität in der Pflege alter und kranker Menschen. Dann folgen mit jeweils 59 Prozent der Schuldenabbau und eine bessere Gesundheitsversorgung. Die geringste Priorität unter elf vorgegebenen Aufgaben hat die Verbesserung der Leistungen für Hartz IV-Bezieher. Nur 18 Prozent sehen dies als "sehr wichtig" an. Auf dem vorletzten Platz stehen die Steuersenkungen mit 26 Prozent.

Gelassenheit nach Dioxin-Funden

Das große Thema dieser Woche hat mit dem bundespolitischen Handeln der Parteien wenig zu tun, dafür umso mehr mit dem flächendeckenden Kontrollversagen von Landesbehörden. In einer aktuellen Zusatzbefragung für den DeutschlandTrend am Mittwochabend zeigten die 727 Befragten erstaunliche Gelassenheit. Ganze vier Prozent gaben an, angesichts der Dioxin-Funde vorerst keine Eier mehr essen zu wollen. Weitere 14 Prozent wollen weniger Eier essen. Zwei Drittel allerdings, 66 Prozent, sehen keinen Grund, ihr Ess- oder Einkaufsverhalten zu ändern.

Insgesamt ist das Vertrauen in die Qualität der Lebensmittel in Deutschland unverändert hoch. 80 Prozent bezeichnen diese Qualität als sehr gut oder gut. Die Konsequenzen aus den aktuellen Dioxin-Funden sind eindeutig: "Im Lebensmittelbereich müsste mehr und strenger kontrolliert werden", meinen 89 Prozent. Und fast genau so viele, 86 Prozent, sind der Ansicht, dass auch die Landwirte genauer hinschauen sollten, welches Futter sie verwenden. Gleichwohl sieht eine große Mehrheit (71 Prozent) die Landwirte eher als Opfer und spricht sich deshalb für finanzielle Entschädigungen aus.

Insgesamt sorgen die Praktiken des Futtermittelhandels, die in den letzten Tagen publik wurden, für wenig Verwunderung: "Lebensmittel sind zum Teil so billig, dass man sich über Verunreinigungen nicht wundern sollte", meinen 63 Prozent. Und vier von fünf Befragten (80 Prozent) würden mehr Geld für Eier und Fleisch ausgeben, wenn sie sicher wären, dadurch einwandfreie und unbelastete Ware zu bekommen.

Untersuchungsanlage DeutschlandTrend

Grundgesamtheit: Wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews (CATI)
Fallzahl: Sonntagsfrage 1505 Befragte, Zusatzfrage "Lebensmittel" 727 Befragte, alle anderen Fragen 1005 Befragte
Erhebungszeitraum: Sonntagsfrage 03. bis 05. Januar 2011, Zusatzfrage "Lebensmittel" 05. Januar 2011, alle anderen Fragen 03. bis 04. Januar 2011
Fehlertoleranz: 1505 Befragte 1,4* bis 3,1** Prozentpunkte, 727 Befragte 1,6* bis 3,7** Prozentpunkte, 1005 Befragte 1,4* bis 3,1** Prozentpunkte
*bei einem Anteilswert von 5% ** bei einem Anteilswert von 50%