DeutschlandTrend

ARD-DeutschlandTrend Januar 2008 Lieber vorbeugen als härter strafen

Stand: 11.01.2008 15:16 Uhr

Keine Frage, die Jugendkriminalität ist für die Deutschen ein sehr wichtiges Thema. Aber ihre Lösungsvorstellungen sind differenziert, wie der ARD-DeutschlandTrend vom Januar zeigt. Die Union kann von dem Thema noch nicht recht profitieren: Sie verliert in der Sonntagsfrage leicht zugunsten der SPD.

Von Jörg Schönenborn, WDR

Gut zwei Wochen vor den wichtigen Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen rutscht die Union bundesweit zum ersten Mal seit September unter die symbolische 40-Prozent-Marke. Und die SPD ist im Aufwind, sie liegt jetzt wieder bei 30 Prozent. Beide Parteien haben im Wahlkampf ihr Profil erkennbar geschärft: die Union im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung, die SPD als Partei der sozialen Gerechtigkeit. Sie profitiert von dem Wahlkampfthema Löhne, das sie selbst gesetzt hat. Ungebrochen ist die breite Unterstützung für die Idee eines Mindestlohns.

Und selbst die aktuelle Lohn- und Gehaltsforderung von acht Prozent für den öffentlichen Dienst - Zahlen, an die wir uns nach bescheidenen Jahren erst wieder gewöhnen müssen - findet breite Unterstützung. 55 Prozent der Befragten halten sie für angemessen, 37 Prozent für zu hoch. Solche Unterstützung für Tarifforderungen hat es in den letzten Jahren selbst bei sehr viel geringeren Gehaltsvorstellungen der Gewerkschaften selten gegeben.

Nominell verlieren CDU und CSU in der Sonntagsfrage zwar nur einen Punkt - rutschen von 40 auf 39 Prozent - aber das tut im Wahlkampf natürlich besonders weh. Es deckt sich mit den jüngsten Entwicklungen in Landtagswahlumfragen von Infratest dimap für Hessen und Hamburg. Nur Christian Wulff in Niedersachsen scheint dem ganz leicht negativen Trend der Union zu trotzen.

Die SPD, die ihr Wahlkampfthema Löhne schon ein ganzes Stück früher gesetzt hat, hat damit offenbar die Mobilisierung ihrer Anhänger und eine wieder etwas breitere Unterstützung in der Bevölkerung erreicht. Sie klettert um zwei Punkte von 28 auf 30 Prozent. Im Gegenzug rutscht die Linke von elf auf neun Prozent, während Grüne und FDP bei ebenfalls neun Prozent unverändert bleiben.

Allerdings gibt es auf dem etwas helleren Bild der SPD erkennbare Schatten. Nach wie vor sind rund zwei Drittel ihrer Anhänger mit der Arbeit der Regierungskoalition in Berlin unzufrieden. Bei der Union ist das genau umgekehrt: Mehr als zwei Drittel unterstützen die Politik von Merkel und Co. So richtig auf einen grünen Zweig kommen kann die SPD nur, wenn sich dies ändert.

Geschärfte Kanten

Ziemlich genau beobachten lässt sich hingegen die Schärfung der Profilkanten. Schon lange nicht mehr sind die beiden großen Parteien mit jeweils einem klar formulierten Thema in Landtagswahlkämpfe gezogen und haben damit alle anderen Diskussionen weitgehend überlagert. Kampf gegen Jugendgewalt auf der einen, Mindestlohn auf der anderen Seite. Das führt dazu, dass die Union für 54 Prozent ganz unumstritten die Partei ist, die Kriminalität und Terror am besten bekämpfen kann. Die SPD hingegen gilt nun wieder für 43 Prozent (plus drei gegenüber Oktober) als die Partei, die sich mehr als die anderen für soziale Gerechtigkeit einsetzt. Hier kommt die Union nur auf 21 Punkte und die Linke hat hier mit acht Prozent Nennungen nicht viel vorzuweisen.

Unsere Umfragen zeigen, dass Roland Koch mit dem Thema, das er losgetreten hat, auf jeden Fall den Nerv getroffen hat. Für die Lösungen, die er vorschlägt, gilt das nur bedingt. Die Gewalt junger Männer und der oft hilflose Umgang des Staates mit ihnen wird von der Bevölkerung als massives Problem empfunden. Dabei werden die gegenwärtig diskutierten Maßnahmen sehr differenziert bewertet. Die größte Zustimmung bekommt mit 93 Prozent die Forderung, dass Gerichtsverfahren schnellstmöglich nach der Tat beziehungsweise nach der Überführung und Anklage beginnen sollten.

Tief verwurzelt ist aber auch der Gedanke der frühzeitigen Vorbeugung. Dazu gehören staatliche Erziehungshilfen, etwa Sprachförderung schon im Kindergartenalter (92 Prozent), und umfassendere Betreuung von Kindern und Jugendlichen zum Beispiel durch die Pflicht zum Kindergartenbesuch oder Ganztagsschulen mit entsprechenden Erziehungsangeboten (82 Prozent). Immer noch breite Mehrheiten gibt es für die Koch-Vorschläge, schwerkriminelle jugendliche Ausländer schnell abzuschieben (78 Prozent) und die Idee des "Warnschussarrests" zusätzlich zur Bewährungsstrafe (62 Prozent). Deutlich weniger populär ist die Einrichtung von Erziehungscamps (49 Prozent) und Gesetzesänderungen, um höhere Strafmaße zu erreichen (42 Prozent).

Vorbeugung bevorzugt

Generell zeigt dieser Deutschlandtrend aber auch, dass Umfrageergebnisse zu diesem Thema mit großer Vorsicht zu genießen sind. Die Zahlen hängen sehr deutlich von der Frage ab, die vorne gestellt wird. So haben wir mit zwei alternativen Frageformulierungen deutlich unterschiedliche Ergebnisse erzielt. Frage-Alternative 1: "Befürworten Sie die Einführung härterer Strafen für straffällig gewordene Jugendliche oder reichen die bestehenden Gesetze Ihrer Meinung nach aus?" - 54 Prozent der Befragten befürworten in diesem Fall härtere Strafen, 41 Prozent sind der Ansicht, dass bestehende Gesetze ausreichen.

Ein ganz anderer Eindruck entsteht bei der Frage-Alternative 2: "Um Gewalttaten zu verhindern, fordern die einen härtere Strafen. Die anderen setzen auf vorbeugende Maßnahmen, wie eine bessere Betreuung von Problemfällen. Welchen Weg halten Sie für den besseren?" Hier nennen nur 25 Prozent härtere Strafen. 61 Prozent hingegen halten vorbeugende Maßnahmen für den besseren Weg. Eines machen diese Ergebnisse auf jeden Fall deutlich: Den allermeisten Deutschen geht es darum, dass Lösungen erzielt werden, dass Jugendgewalt wirksam reduziert und Straftaten verhindert werden. Wenn das durch intensive Betreuung und Erziehungshilfen erzielt werden kann, ist das der Weg, den die Mehrheit deutlich bevorzugt.

Da hat es die SPD mit ihrem Wahlkampfthema und ihren Vorschlägen schon etwas leichter. Fast unverändert fordern 84 Prozent der Deutschen die Einführung von Mindestlöhnen, nur zwölf Prozent sind generell dagegen. Dabei muss man auch hier unterscheiden: 56 Prozent wollen den Mindestlohn flächendeckend, 28 Prozent halten ihn in bestimmten Branchen für notwendig. Dass in Folge der Mindestlöhne Arbeitsplätze wegfallen könnten, glauben immerhin 37 Prozent der Befragten. 56 Prozent denken, dass dies nicht passieren würde.

SPD-Wähler wollen lieber Merkel als Beck

Kurt Beck, der SPD-Vorsitzende, kann für sich in Anspruch nehmen, ein Thema für seine Partei gefunden zu haben. Das hat seine Position politisch gefestigt, demoskopisch aber nicht. Nach wie vor ist in den Augen der Wähler Frank-Walter Steinmeier der geeignetere Spitzenkandidat für die SPD. Würde er sich bei der Bundestagswahl der Kanzlerin als Gegenkandidat stellen, könnte er immerhin mit 33 Prozent Unterstützung rechnen, Kurt Beck hingegen nur mit 22 Prozent. Und noch etwas sollte Kurt Beck zu denken geben: Selbst diejenigen, die am kommenden Sonntag die SPD wählen würden, möchten mehrheitlich lieber Angela Merkel als Bundeskanzlerin behalten, als Kurt Beck in diesem Amt sehen (45 Prozent Merkel, 37 Prozent Beck).

Bemerkenswert ist auch, dass Frank-Walter Steinmeier zusammen mit Angela Merkel weiterhin die Skala der beliebtesten deutschen Spitzenpolitiker anführt. Beide haben 70 Prozent Zustimmung für ihre Arbeit und jeweils vier Punkte gegenüber dem Vormonat gewonnen. Ursula von der Leyen (59 Prozent) und Peer Steinbrück (56 Prozent) folgen auf den Plätzen. Dass Außenminister Steinmeier seine diplomatische Zurückhaltung in den letzten Wochen aufgegeben und sich mehrfach deutlich zu innenpolitischen Fragen geäußert hat, hat seiner Popularität zumindest kurzfristig keinen Abbruch getan.

Linkspartei lässt nach

Beruhigt kann die SPD auch nach weiter links schauen. Die Linke hat nicht nur zwei Punkte in der Sonntagsfrage eingebüßt, Oskar Lafontaine nicht nur weiter an Popularität verloren, auch die oft behauptete Kompetenz auf dem Feld der sozialen Gerechtigkeit muss man bei der Linkspartei mit der Lupe suchen. 73 Prozent der Befragten halten sie für eine Partei, die zwar Dinge beim Namen nennt, aber keine Probleme löst - mit anderen Worten: Der Linken trauen die meisten nur zu, über soziale Gerechtigkeit zu reden, der SPD trauen mittlerweile eine ganze Menge Wähler zu, für mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft tatsächlich zu sorgen.

Überraschend ist in diesem Zusammenhang die große Offenheit der Befragten für mögliche Koalitionen von SPD und Linkspartei. Auch wenn ihr Einzug in weitere westdeutsche Landesparlamente zumindest in Hessen und Niedersachsen zweifelhaft ist, könnte sich ja trotzdem bei einer der nächsten Landtagswahlen sehr real diese Frage stellen: Verzichtet die SPD auf eine von ihr geführte Regierung oder nimmt sie in Kauf, eine weitere Koalition mit der Linken einzugehen? Bei den Wahlen, die jetzt anstehen, haben die SPD-Spitzenkandidaten diesen Weg ja klar abgelehnt.

Nur 35 Prozent der Befragten finden diese Grundsatzhaltung richtig. Eine Mehrheit, 62 Prozent, fände es besser, wenn die SPD nach der Wahl in jedem Einzelfall prüfen würde, ob sie ein Regierungsbündnis mit der Linken eingeht oder nicht. Aber das bleibt jetzt bis auf weiteres eine hypothetische Frage.

Untersuchungsanlage DeutschlandTrend

Grundgesamtheit: Wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews
Fallzahl: 1000 Befragte (700 West / 300 Ost)
Sonntagsfrage: 1500 Befragte
Erhebungszeitraum: 7. bis 8. Januar 2008
Sonntagsfrage: 7. bis 9. Januar 2008
Fehlertoleranz: 1,4 bis 3,1 Prozentpunkte