Eine Frau steht mit Mundschutz am Bahnsteig und bedient ihr Smartphone
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Kampf gegen Pandemie Daran hakt es bei der Corona-App

Stand: 25.08.2021 13:11 Uhr

Nach der technischen Kehrtwende der Bundesregierung wird es noch Wochen dauern, bis eine deutsche Corona-App auf den Markt kommt. Warum kann man nicht Apps anderer Länder übernehmen? Ein Überblick.

Von Dominik Lauck, tagesschau.de

Warum dauert es mit der deutschen App so lange?

Ursprünglich wollte die Bundesregierung bereits Mitte April eine solche Contact-Tracing-App auf den Markt bringen, um die Kontakte von Infizierten schnell nachverfolgen zu können. Ein Streit über die Art und Weise der Speicherung, der letztlich die Abkehr vom zunächst favorisierten zentralen Ansatz zur Folge hatte, sowie Unklarheiten bei den Zuständigkeiten führten jedoch zu Verzögerungen.

Weshalb werden so viele Hoffnungen in die App gesetzt?

Die App soll helfen, die Ansteckungen nachzuverfolgen, wenn Ausgehbeschränkungen gelockert werden. Aktuell bemühen sich die Mitarbeiter der Gesundheitsämter, Infektionsketten nachzuverfolgen. Mit der App könnte das zusätzlich automatisiert und damit viel schneller und genauer geschehen. Nutzer können umgehend gewarnt werden, wenn sie sich neben infizierten Personen aufgehalten hatten. Damit können letztendlich die Corona-Infektionsketten effizienter durchbrochen werden.

Wie soll die App für Deutschland funktionieren?

Jedes Mobiltelefon mit installierter und aktivierter App soll sich über Bluetooth automatisch mit Geräten in seiner Nähe verbinden. Dazu soll über die Signalstärke die Entfernung zwischen zwei Smartphones ermittelt werden, und zugleich sollen die Handys bei einer engen Begegnung per Bluetooth anonyme ID-Schlüssel austauschen. Wenn bei einem Nutzer eine Infektion festgestellt wird, meldet er das auf freiwilliger Basis in der App. Über einen Abgleich der ID-Schlüssel können Personen benachrichtigt werden, die sich in seiner Nähe aufhielten. Dieser Abgleich soll ausschließlich auf den Smartphones der Nutzer stattfinden und nicht zentral auf einem Server - das heißt, die Nutzer müssen die Daten aktiv vom Server abrufen.

Ist mit der App Missbrauch möglich?

In Deutschland will man Missbrauch ausschließen, indem die Infektionsmeldung von den Gesundheitsbehörden bestätigt werden muss. Auf welchem Wege das geschehen soll, ist noch nicht näher beschrieben. In Österreich beispielsweise ist Missbrauch leichter möglich. Dort wird lediglich die Handynummer gefordert, wenn man sich als infiziert meldet.

Warum wird nicht eine App aus anderen Ländern übernommen?

Die Tracing-Apps aus China, Indien oder Südkorea kommen allein schon aus Datenschutzgründen nicht infrage. Sie erfassen persönliche Daten und überwachen den Aufenthaltsort. Nutzer der Apps sind für die Behörden und das Umfeld identifizierbar. Aus datenschutzrechtlicher Sicht wäre am ehesten die in Österreich benutzte "Stopp Corona"-App der deutschen Bevölkerung vermittelbar. Doch auch die hat den Schwachpunkt, den derzeit weltweit alle Apps haben: Auf iPhones muss die App im Vordergrund laufen, um automatisiert über Bluetooth den Abstand zu anderen Handys zu messen, da Apples Betriebssystem iOs grundsätzlich keine Bluetooth-Aktivitäten im Hintergrund erlaubt.

Hinzu kommt, dass die Apps in anderen Ländern viele Benutzer von der Bedienerfreundlichkeit nicht überzeugt haben, wie die oft nur durchschnittlichen Bewertungen in den Stores von Google und Apple zeigen.

"Next Step"-App

Die Schweiz setzt auf die "Next Step"-App zur Bekämpfung des Coronavirus.

Es gibt schon eine deutsche Corona-App - was ist damit?

In dieser Woche kam die in Hannover entwickelte Tracing-App "GeoHealth" auf den Markt. Die setzt jedoch auf die GPS-Technik, welche nur mit großem Aufwand auf Genauigkeiten von unter zwei Metern kommt. Da eine Coronavirus-Infektion nach Einschätzung von Virologen in einem Abstand von mehr als 1,5 Meter sehr unwahrscheinlich ist, ist diese Methode nur bedingt geeignet. Die Entwickler werben für ihren Ansatz als Übergangslösung, bis eine von der Regierung unterstützte App zur Verfügung steht. "Ich kann nichts inhaltliches zu der App sagen", erklärte der Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums, Hanno Kautz, auf Anfrage.

Wer entwickelt in Deutschland die Contact-Tracing-App?

Die Bundesregierung hat nun entschieden, dass die App federführend von der Deutschen Telekom und dem Software-Konzern SAP entwickelt werden soll. Die Fraunhofer-Gesellschaft und das Helmholtz-Zentrum CISPA sollen bei der Entwicklung beraten, da sie in den vergangenen Wochen bereits an einem Projekt für eine App gearbeitet hatten.

Wie sieht die Arbeitsteilung aus?

"Das Team ist geformt und die Aufgaben sind verteilt", erklärt SAP-Sprecher Hilmar Schepp gegenüber tagesschau.de. Demnach ist die Telekom für die Prozesse Netzwerk, Mobilfunk sowie den sicheren und effizienten Betrieb der App zuständig, SAP stellt die technische Plattform zur Verfügung. Beide Unternehmen erarbeiten eine Open-Source-Lösung - also einen einsehbaren Code. Dazu wurde das offene DP-3T-Protokoll ausgewählt, auf das beispielsweise auch die Schweiz setzt. SAP und Telekom stimmen sich dazu mit Google und Apple ab. Diese wollen in Kürze Schnittstellen im Betriebssystem der Handys freischalten, auf die Entwickler von Corona-Apps aufsetzen können.

Die Fraunhofer-Gesellschaft und das Helmholtz-Zentrum bringen die Erkenntnisse ihrer Arbeit der vergangenen Wochen ein, etwa bei der Bluetooth-Kalibrierung. Um die notwendigen Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit zu gewährleisten, werden das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik und die Bundesbehörde für Datenschutz und die Informationsfreiheit von Beginn an eingebunden. Die genaue Ausgestaltung der App - die sogenannte Front-End-Applikation - übernimmt dann später ein noch zu bestimmender Partner. Im Gespräch ist die Initiative Gesund-Zusammen, die bereits eine solche Lösung erarbeitet hat.

Was ist das DP-3T-Protokoll?

Die Abkürzung steht für "Decentralised Privacy-Preserving Proximity Tracing". An dem Protokoll arbeiteten mehr als 25 Wissenschaftler und akademischen Forschern aus ganz Europa. Es soll Einblick in die Kontakte der Nutzer verhindern.

Welche Rolle spielen Google und Apple?

Mehr als 99 Prozent aller mobilen Geräte laufen mit dem Google-Betriebssystem Android oder iOS von Apple. Die beiden Tech-Giganten entwickeln gemeinsam eine Technologie, mit der erkennbar ist, wie lange und auf welcher Entfernung zwei Handys nebeneinander waren. Außerdem kümmern sie sich um Erzeugung, Austausch und Abgleich der Krypto-Schlüssel. Diese IDs sollen alle 10 bis 20 Minuten wechseln, um eine Nachverfolgung einzelner unmöglich zu machen.

An dieser Technologie wird nach Einschätzung von Linus Neumann vom Chaos Computer Club (CCC) kein Land vorbeikommen: "Ich halte es nicht für möglich, ohne den Apple-/Google-Ansatz eine App zu entwickeln, die funktional im Hintergrund läuft und die notwendige Verbreitung erreicht", sagte Neumann tagesschau.de. Auch das Rote Kreuz, das in Österreich die App veröffentlicht hat, ist an diesem Konzept interessiert und will darauf umsteigen.

Was sagen die Datenschützer zu der nun geplanten App?

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber ist zufrieden, dass die Daten nur dezentral gespeichert werden sollen. Dieses Modell sei "aus Datenschutzgründen das bessere", sagte er am Dienstag im ARD-Morgenmagazin. Der Datenschutz stehe dem Gesundheitsschutz nicht im Wege.

Auch Hannes Federrath, der Präsident der Gesellschaft für Informatik, begrüßt den neuen Weg: "Aus Datenschutzsicht ist der dezentrale Ansatz vorzuziehen", sagte Federrath tagesschau.de, auch wenn der zentrale Ansatz wahrscheinlich effektiver gewesen wäre. Dass die Bundesregierung zunächst auf eine zentralisierte Version gesetzt hatte, ist für ihn kein großes Problem: "Jetzt kommt es auf zwei, drei Wochen mehr nicht an."

Wer bringt die App am Ende heraus?

Nach der Fertigstellung soll die Corona-App durch das Robert Koch-Institut herausgegeben werden. Die weiteren Pläne der Bundesregierung sehen vor, dass es in einer zweiten Stufe ermöglicht werden soll, freiwillig zusätzliche Daten zur Verfügung zu stellen. Dazu soll ein Forschungsserver eingerichtet werden, der pseudonymisierte Daten zur qualitätssichernden Analyse der Corona-App nutzen kann.

Wann kann die App an den Start gehen?

Da halten sich alle Beteiligten bedeckt. Bundesgesundheitsminisiter Jens Spahn spricht davon, dass die App "möglichst zügig" einsetzbar sein soll. Experten rechnen damit, dass es noch bis mindestens Juni dauern wird. "Früher auf gar keinen Fall", glaubt CCC-Sprecher Neumann. Angesichts der komplett neuen Technologie und der Absicht, dass die App in kurzer Zeit auf den meisten Smartphones installiert werden soll, spricht er von einem "Mammutprojekt, wie es die Menschheit noch nicht gesehen hat". Aus Regierungskreisen verlautete mittlerweile, dass es wohl fünf bis sechs Wochen dauern werde. "Mitte Juni ist ein realistischer Zeitraum", hieß es.

Wann wird die App ein Erfolg?

Nach einer Studie der Universität Oxford kann die Epidemie gestoppt werden, wenn 60 Prozent der Bevölkerung eine solche App verwenden und ihren Empfehlungen folgen. Allerdings gehen die Wissenschaftler davon aus, dass auch bei einer niedrigeren Nutzungsrate schon positive Auswirkungen spürbar sind.

Sind so viele Menschen dazu bereit?

Laut ARD-DeutschlandTrend von Anfang April wollen 47 Prozent der Deutschen eine solche Corona-App nutzen. 45 Prozent sprachen sich dagegen aus - die meisten aus Gründen des Datenschutzes oder der Persönlichkeitsrechte. Bei einer Umfrage der Uni Oxford waren etwa 70 Prozent der Deutschen bereit, die App zu nutzen. Auch diese Befragung fand vor dem Streit um die Ausrichtung der App statt. Die Bundesregierung hofft, mit der nun beschlossenen dezentralen Ausrichtung eine breite Akzeptanz zu erreichen. "Die Neuorientierung erhöht ganz klar die Chancen der Umsetzung", erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. Unionsfraktionsvize Thorsten Frei schlägt gar einen finanziellen Anreiz vor. Nutzer der App sollten einen Steuerbonus bekommen, sagte Frei in mehreren Zeitungsinterviews.

Wird die App nur für den deutschen Markt erarbeitet?

Die deutsche App soll mit anderen europäischen Lösungen kompatibel sein. Allerdings setzt Frankreich derzeit noch auf eine zentrale Lösung - mit den bekannten Einschränkungen für den Einsatz von Bluetooth im Hintergrund.

Wie sind die Erfahrungen anderer Länder mit Corona-Apps?

Es gibt bislang mehr als 20 Staaten, die solch eine digitale Technik nutzen - so die Zählung der Londoner Initiatoren des Covid-19 Digital Rights Trackers. Dazu zählen neben Österreich auch die EU-Mitglieder Italien, Spanien, Polen, Tschechien und die Slowakei. In Österreich, wo die App am ehesten den Vorstellungen für den deutschen Markt entspricht, haben bislang etwa 400.000 Menschen die App heruntergeladen - bei einer Bevölkerung von etwa 8,9 Millionen. Wirklich wirkungsvoll ist das Programm aber erst, wenn es mehrere Millionen nutzen.

Zu den Vorreitern gehört Singapur, das schon seit mehreren Wochen auf die App "Trace Together" setzt. Dabei weiß die Regierung, wem die erfassten Mobiltelefone gehören. Wer in Quarantäne ist, der muss beispielsweise durch spontan abgefragte Handy-Fotos seiner Umgebung nachweisen, dass er sich auch tatsächlich in seiner Wohnung aufhält. Auf ähnliche Art wird auch in Taiwan die Quarantäne überwacht. In Südkorea und Indien wird sogar die Nachbarschaft informiert, sobald jemand infiziert ist.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 29. April 2020 um 14:00 Uhr.