Absperrband der Polizei liegt auf der Brücke, die das saarländische Kleinblittersdorf mit dem französischen Grosbliederstroff verbindet am Boden.
Reportage

Deutsch-französische Grenze "Was ist daran noch Europa?"

Stand: 24.04.2020 15:56 Uhr

Frustrierte Pendler, geteilte Dörfer und ein kreativer Baguette-Angler: An der Grenze zwischen dem Saarland und Frankreich spielen sich in der Corona-Krise groteske Szenen ab. Doch gegen die Kontrollen regt sich Widerstand.

Von Anne Bobzin, SR

Grenzen gibt es im Saarland seit Jahren kaum noch. Man sieht sie nicht, man spürt sie selten. Aus dem Alltag sind sie ganz verschwunden. Genau das wollte das Schengener Abkommen vor 25 Jahren erreichen, von Saarländern und Franzosen wird es seitdem so gelebt.

Doch das hat sich mit der Corona-Pandemie nahezu über Nacht wieder geändert. Seit dem 16. März wird an den deutschen Grenzen kontrolliert, nachdem das Robert Koch-Institut die Nachbarregion Grand Est zum Risikogebiet erklärt hatte. Die Grenzen sind nicht zu - aber wer von Luxemburg oder Frankreich ins Saarland will, muss die offiziellen Übergänge nutzen und braucht einen triftigen Grund. Ein Job im Saarland ist einer. Auch Lieferverkehr darf die Grenze passieren.

Grenzkontrolle im Saarland

Wer die Grenze passieren will, braucht einen triftigen Grund.

Wüste Beleidigungen an der Grenze

Einkaufen ist kein triftiger Grund. Natürlich haben die Lebensmittelgeschäfte auch in Frankreich weiter auf. Doch viele Artikel in französischen Supermärkten sind teurer als in Deutschland. Statt 250 Euro koste ihr 14-Tage-Einkauf nun rund 600, rechnet Julia Kerp aus Petite-Rosselle vor. Seit der neuen Grenzregelung ist vieles anders: Kerp darf weder zu ihrem Hundeverein, noch darf sie Verwandte im Saarland besuchen. Was daran noch Europa sei, fragt sie enttäuscht.

Auch Mickael Biever hat Erfahrungen gemacht, die man aus Zeiten der deutsch-französischen Erbfeindschaft kennt. "Dreckiger Franzose" habe ihn ein Grenzbeamter genannt - im Streit, weil er seine Frau nach der Arbeit im deutschen Nachbarort Großrosseln abholen wollte. Biever ist wohl kein Einzelfall. Auch die stellvertretende saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger berichtet auf Twitter von solchen Vorfällen. Franzosen seien beschimpft und mit Eiern beworfen worden. Sie entschuldigt sich und fordert, die Kontrollen nicht über den 4. Mai hinaus zu verlängern. Außenminister Heiko Maas, selbst Saarländer, ist ebenfalls besorgt: Solch ein Verhalten tue ihm weh.

"Ein Virus kennt keine Grenzen"

Die deutsch-französische Freundschaft droht Risse zu bekommen. Die Rufe nach vollständiger Grenzöffnung werden auf beiden Seiten lauter. Auch Christophe Arend aus Forbach nahe Saarbrücken fordert das seit Wochen. Er ist Abgeordneter der Pariser Nationalversammlung und Mitglied des deutsch-französischen Parlamentarierrats. Ein Virus kenne keine Grenzen, sagt Arend, der auch Arzt ist, so wenig wie eine radioaktive Wolke Grenzen kenne. Da müsse man schon zusammenarbeiten.

Ministerpräsident Tobias Hans verteidigt die Maßnahme. Sie diene dem Schutz der Menschen. Aber auch er sehne den Tag herbei, an dem Kontrollen unnötig würden.

Die Saar-Wirtschaft ist auf die Pendler aus Frankreich besonders angewiesen. Jeden Tag sind es Tausende. Zur Arbeit dürfen sie über die Grenze, aber nur an den offiziellen Übergängen. Für viele bedeutet das kilometerlange Umwege und Wartezeiten durch die Kontrollen.

Christophe Arend

Viele Menschen wünschen sich ein Ende der Kontrollen - darunter auch Christophe Arend, Abgeordneter der Pariser Nationalversammlung.

Wenn beim Nachbarn andere Corona-Regeln gelten

Manchmal verläuft die Grenze mitten durch den Ort - wie in Leidingen. Groteske Szenen erlebe man in diesen Tagen, erzählt der Ortsvorsteher des deutschen Teils, Wolfgang Schmitt. Auf der einen Seite der Straße dürften die Leute noch vor die Tür, auf der anderen kaum noch, wegen der strengeren Regeln in Frankreich.

Und auch das gibt es im Saarland: Bei Margit Rupp aus Großrosseln liegt die Grenze direkt vor dem eigenen Grundstück. Ihr Haus kann sie nur über eine Straße nach Frankreich verlassen. Also bleibt sie daheim. Die Post kommt auch nicht mehr.

Deutsch-französische Grenze zwischen Lauterbach und Carling

An der Grenze zwischen Lauterbach und Carling: Die einen müssen die französischen Regeln befolgen, die anderen die deutschen.

Baguette-Kauf mit Angelrute

Der größte Teil dieser Grenze ist jedoch unsichtbar. Die grüne Grenze ist aber auch eine Grenze und ein illegaler Übertritt kann derzeit teuer werden. 120 Euro musste ein Saarländer zahlen, weil er nicht auf sein Baguette aus Frankreich verzichten wollte.

Dieses Problem kennt auch Hartmut Frey aus Lauterbach. Weil der Weg zum Bäcker nach Carling versperrt ist, wurde Frey kreativ. Er angelt sich sein Baguette. Die Bäckersfrau steht auf der anderen Seite der Grenze, packt das Baguette in eine Tüte und Frey holt die Angel zurück. "Hoch lebe die deutsch-französische Freundschaft", ruft er dabei. So wird der Baguette-Kauf zum Akt der Völkerverständigung - und auch ein wenig zum Akt des Widerstands gegen eine Regelung, für die viele Saarländer und Franzosen kaum mehr Verständnis haben.

Ein Mann holt mit Hilfe einer Angel einen Beutel Baguettes aus Frankreich nach Deutschland

Um an sein Baguette zu kommen, wurde der Saarländer Hartmut Frey kreativ.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete B5 aktuell am 23. April 2020 um 22:34 Uhr.