Contra Sterbehilfe "Staat hat Schutzpflicht für das Leben - nicht dagegen"

Stand: 19.07.2012 00:36 Uhr

Ein Mensch müsse selbst entscheiden können, wie er sein Leben lebt und wie er es zu Ende bringen möchte, meint der frühere Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig. "Doch ein Anspruch auf Hilfe bei der Selbsttötung ist unannehmbar." Legalisiert werden dürfe so etwas unter keinen Umständen.

Dass der Mensch über sein Leben - wie er es anlegt, führt und vielleicht auch zu Ende bringen möchte - grundsätzlich selber entscheiden können muss, ist heute allgemeine Auffassung. Es ergibt sich aus dem Selbstbestimmungsrecht, das jedem zusteht, unabhängig von den konkreten persönlichen Umständen. Allein eben weil er Mensch ist, einen Anspruch auf Würde hat und frei von Bevormundung sein darf. Natürlich kann der Einzelne für sich festlegen, dass es ihm nicht zustehe, seinem Leben selber ein Ende zu setzen. Aber das ist dann die ureigene - aus philosophischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugung geborene - Entscheidung. Von außen vorgegeben werden kann dem Menschen das nicht.

Zur Person

Edzard Schmidt-Jortzig ist Mitglied des Deutschen Ethikrats, dessen Vorsitz er bis April 2012 innehatte. Der emeritierte Professor für Öffentliches Recht ist FDP-Mitglied und war von 1996 bis 1998 Bundesjustizminister. Unter anderem veröffentlichte er ein Buch zu Rechtsfragen der Biomedizin. (Foto: Reiner Zensen)

Das individuelle, auch auf den Tod bezogene Selbstbestimmungsrecht schließt deshalb nach deutscher Rechtsauffassung bekanntlich aus, dass die Selbsttötung strafbar wäre. Und ebenso bleibt folglich die Selbsttötungs-Beihilfe straflos. Es sei denn, der Helfer nimmt die Bestimmungsmacht über das Geschehen selber in die Hand ("Tatherrschaft"). Das alles schließt aber keinesfalls ein, dass man aus dem individuellen Selbstbestimmungsrecht einen wie auch immer gearteten Verfügungsanspruch auf andere herleiten könnte. Der Andere ist ja seinerseits eine autonome Persönlichkeit und kein fremdnütziges Instrument.

Fremdtötung darf niemals legalisiert werden

Ein Mitmensch, der einem bei der Selbsttötung hilft, tut dies immer aus freien Stücken. Niemand kann zur Hilfe verpflichtet werden. Er hat sich für sein schwerwiegendes Tun immer vor dem eigenen Gewissen zu rechtfertigen. Auch  rechtlich muss er sich ja dafür verantworten, dass er das für ein zivilisiertes, befriedetes Zusammenleben der Menschen fundamentale Fremdtötungsverbot einhält. Das heißt, er wahrt die Grenze, wo seine Hilfe in eigenständige (Mit)Herbeiführung des Todes beim anderen umschlägt. Fremdtötung - sei sie persönlich oder institutionell, aus spontaner Eingabe oder medizinisch fachkundig erbracht - darf niemals legalisiert werden.

Auch gegenüber der Gesellschaft und dem Staat kann es keinen Anspruch auf Hilfe bei der Durchführung des Selbsttötungsentschlusses geben. Die staatliche Gemeinschaft ist zur solidarischen Erleichterung und Bewältigung der Daseinsbedingungen da, nicht für das Scheitern und Beenden von Lebensbemühungen. Verfassungsrechtlich hat der Staat eine zwingende Schutzpflicht für das Leben und nicht dafür, dass jemandem die Möglichkeit verschafft wird, sich das Leben zu nehmen.

Ein Anrecht auf Hilfe beim Sterben ist unannehmbar

Zum Gebrauch der Freiheit, sein Leben selbst bestimmen zu können, gehört ja im Übrigen auch, dass man ebenso die Lasten tragen muss, mögen sie noch so mühselig oder peinigend sein. Ein Anspruch, das heißt ein veritables Anrecht - juristisch oder ethisch verstanden - gegenüber Dritten auf Hilfe beim selbstgewollten Sterben ist wirklich unannehmbar.