Interview

Ex-Generalinspekteur zu von-der-Leyen-Plänen "Teilzeit-Kompaniechef - das geht nicht"

Stand: 13.01.2014 16:22 Uhr

Mehr Familienfreundlichkeit? Teilzeitarbeit für Soldaten? Ex-Generalinspekteur Kujat sieht die Vorschläge von Verteidigungsministerin von der Leyen mit Skepsis. Im tagesschau.de-Interview geht er aber vor allem mit ihrem Vorgänger de Maizière hart ins Gericht.

tagesschau.de: Die Reaktionen auf die Pläne der Verteidigungsministerin sind überwiegend positiv. Was sagen Sie?

Harald Kujat: Die Ministerin greift wichtige Themen auf. Die Bundeswehr hat ein großes Personalproblem, das sich noch verschärfen wird. Der Beruf gilt als nicht sehr attraktiv. Ursula von der Leyen nimmt die Kritik und das Unbehagen, das es in den Streitkräften gibt, ernst. Ihre Pläne werden dazu beitragen, die Situation der Soldaten zu verbessern und den Beruf attraktiver zu machen. Das befürworte ich.

Ich warne aber vor zu hohen Erwartungen, sonst drohen Enttäuschungen. Nicht überall ist das, was die Ministerin vorschlägt, auch umsetzbar.

Zur Person

Harald Kujat war von 2000 bis 2002 der Generalinspekteur der Bundeswehr und damit höchster Offizier der Bundeswehr. Von 2002 bis 2005 hatte er den Vorsitz des Militärausschusses der NATO.

tagesschau.de: Von der Leyen fordert die bessere Vereinbarkeit von Dienst und Familie durch Elternzeit und Teilzeitarbeit. Ist das umsetzbar?

Kujat: Das ist sehr schwer zu realisieren. Es mag Einzelfälle geben, wo eine Vier- oder gar Drei-Tage-Woche möglich ist. Aber einen Kompaniechef nur drei Tage in seiner Funktion zu haben und den Rest der Zeit ist er zuhause - das ist nicht vorstellbar. Wichtig ist ja das Funktionieren des Gesamtverbandes. Soldaten mit Führungsaufgaben können nicht halbtags arbeiten. Das kann nicht funktionieren.

Modelle der freien Wirtschaft nur begrenzt übertragbar

tagesschau.de: Wie sieht es mit den Arbeitszeiten bei Auslandseinsätzen aus?

Kujat: Bei einem Auslandseinsatz ist Teilzeitarbeit völlig undenkbar. Da ist im Gegenteil eine permanente Einsatzbereitschaft und Präsenz gefragt. Aber auch an den Heimatstandorten in den Ausbildungs- oder Kampfeinheiten ist das schwer zu realisieren. So etwas funktioniert auf Ämtern und in der Verwaltung - aber nicht bei der Truppe. Es ist generell schwierig, Modelle, die in der freien Wirtschaft funktionieren, auf die Besonderheiten der Streitkräfte zu übertragen. Das kann nur begrenzt gelingen.

tagesschau.de: Und wie sieht es aus mit einer besseren Kinderbetreuung. Die Soldaten beklagen Missstände. Zu recht?

Kujat:  Seit vielen Jahren ist die Kinderbetreuung ein Thema – nicht nur weil wir einen höheren Frauenanteil haben. Auch bei den männlichen Soldaten kann man ja nicht davon ausgehen, dass die Frau zuhause ist und die Kinderbetreuung übernimmt. Hier besteht wirklich großer Handlungsbedarf. Das umzusetzen würde der Bundeswehr gut tun.

"Viele Soldaten sind auch Väter und Ehemänner"

tagesschau.de: Steht hinter dem, was die Verteidigungsministerin vorschlägt, ein neues Verständnis von der Bundeswehr und ihren Soldaten?  

Kujat: Die Aufgaben der Bundeswehr haben sich verändert. Wir brauchen Menschen, die gut für die von der Politik gesetzten Aufgaben vorbereitet sind: den modernen gut ausgebildeten Soldaten, der kämpfen kann und optimal ausgerüstet ist. Daran ändert sich nichts durch die Vorschläge der Ministerin. Viele Soldaten sind aber auch Väter, Söhne, Ehemänner. Diesen Bereichen des Lebens sollten wir mehr Rechnung tragen.

tagesschau.de: Manch einer befürchtet, die Armee werde dadurch verweichlicht und es gehe Disziplin verloren.

Kujat: Das Gegenteil ist der Fall. Ein Soldat, der weiß, dass er in seiner Familie gut aufgehoben ist und sicher sein kann, dass es seiner Familie und seinen Kindern gut geht, ist psychisch stabiler und stärker belastbar als ein Soldat, der ständig an seine Familie denken muss. Wir sollten also alles tun, was dem Soldaten den Rücken frei hält, so dass er sich voll auf seine Aufgaben konzentrieren kann.  

Eine ganze Reihe von Problemen

tagesschau.de: Warum hat der vorherige Verteidigungsminister Thomas de Maizière hier nicht angesetzt?

Kujat: De Maizière hat in seiner Abschiedsrede zugestanden, dass er eine ganze Reihe von Problemen hinterlässt. Die Reformen, die er in seiner Dienstzeit anging, haben die Probleme erheblich verschärft statt sie zu lösen. Offenbar standen die strukturellen Aspekte der Bundeswehrreform im Vordergrund, und ganz offenkundig ist dabei die Sorge um die davon betroffenen Menschen zu kurz gekommen.

Die Menschen in der Bundeswehr sind das höchste Gut, das wir haben. Wir müssen alles dafür tun, dass sie ihren Beruf gerne ausüben und gute Leistungen erbringen. Diese Belange will die Ministerin zu Recht ernst nehmen. Wir machen die Bundeswehr allerdings nicht nur dadurch attraktiv und modern, dass wir die Dienstort-Versetzungen reduzieren, Kindertagesstätten einrichten und die Arbeitszeiten familienfreundlich machen.

tagesschau.de: Welche Maßnahmen müssen noch eingeleitet werden?

Kujat: Die Bundeswehr muss mehr tun in den wichtigen Bereichen Personal und Ausrüstung. Beide Bereiche hängen miteinander zusammen und müssen verbessert werden. Man muss auch über finanzielle Aspekte nachdenken. Und wir sollten im Einsatz immer ein Höchstmaß an Sicherheit anstreben. Nehmen wir als ein Beispiel die Aufklärungsfähigkeit, die für den Erfolg und die Sicherheit wichtig ist. Der Euro-Hawk ist vom ehemaligen Verteidigungsminister de Maizière ohne Not gestoppt worden. Ausrüstungsdefizite erhöhen die psychische Belastung der Soldaten und ihrer Familien immens. Die Fragen der Ausrüstung und Bewaffnung der Truppe sind mindestens ebenso wichtig, wie die Sorge um die Familienfreundlichkeit der Bundeswehr.

tagesschau.de: Hat die Ministerin all das im Blick?

Kujat: Man hätte der Ministerin vielleicht raten sollen, sich zunächst einen Gesamtüberblick zu verschaffen und erst dann Schwerpunkte zu setzen - also einen ganzheitlichen Ansatz zu wählen, um die Probleme, die sich über Jahre aufgestaut haben, zu lösen.

tagesschau.de: Was wünschen Sie der Ministerin für ihre Amtszeit?

Kujat: Ich wünsche ihr eine glückliche Hand für die Belange der Soldaten und dass sie die Streitkräfte nicht verwaltet, wie unter ihrem Vorgänger geschehen, sondern führt.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.