Karlsruhe erlaubt ESM - mit Auflagen Ein Urteil, das grenzenlose Freude bereitet

Stand: 12.09.2012 17:25 Uhr

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu ESM und Fiskalpakt will die Bundesregierung die Auflagen schnell umsetzen. Nicht nur Schwarz-Gelb sieht sich als Gewinner. Die meisten anderen Parlamentarier fühlen sich ebenfalls bestätigt und gestärkt. Auch Europas Institutionen atmeten hörbar auf.

Die Erleichterung über das Urteil der Karlsruher Richter ist beinahe grenzenlos: Die meisten im Bundestag vertretenen Parteien, die wichtigsten Vertreter von EU, Eurogruppe und EZB - sie alle sehen sich heute als Gewinner.

Wenige Wochen bis zum ESM

Der Start des neuen Euro-Rettungsschirms ESM wird nach Auffassung der Bundesregierung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht nennenswert weiter verzögert. Die Bundesregierung werde jetzt sicherstellen, dass die Haftungsobergrenze für Deutschland völkerrechtlich garantiert seien, erklärte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mit Blick auf die wichtigste Forderung der Richter. "Der ESM kann dann innerhalb weniger Wochen einsatzbereit sein."

Schäuble: Alles konform zum Grundgesetz

Schäubles Sprecher Martin Kotthaus betonte, dass zur Erfüllung der Auflagen aus Karlsruhe eine Änderung der Verträge oder Gesetze nicht erforderlich sei. Welcher Weg letztlich gewählt werde, um die Forderungen der Richter umzusetzen, werde derzeit noch geprüft.

Der Bundesfinanzminister hatte sich unmittelbar nach Bekanntgabe des Urteils zufrieden gezeigt. "Die Position der Bundesregierung ist ausdrücklich bestätigt worden. Jeder kann jetzt sicher sein, es verstößt nicht gegen das Grundgesetz", sagte der CDU-Politiker in einem ARD-Interview. "Und der Respekt vor dem Verfassungsgericht führt jetzt hoffentlich dazu, dass die Kläger in Zukunft auch nicht mehr behaupten, dieser Vertrag verletze das Grundgesetz."

"Starkes Signal nach Europa und darüber hinaus"

Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einem "guten Tag für Deutschland und einem guten Tag für Europa". Die Kanzlerin zeigte sich besonders erleichtert: Ein negatives Urteil hätte einen herben Rückschlag für ihren Kurs im Kampf gegen die Finanzkrise bedeutet. "Deutschland sendet heute einmal mehr ein starkes Signal nach Europa und darüber hinaus."

Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) zeigte sich zuversichtlich, dass nun ein stabiles Bollwerk rund um den Euro gebaut werde. "Mit diesem klaren und eindeutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind wir dem Ziel, den Euro stabil zu halten, einen wichtigen Schritt nähergekommen", sagte er. Der Kurs der Bundesregierung und der Koalition sei bestätigt worden. So sei eine Haftungsbegrenzung stets das Ziel der FDP gewesen.

Die Zeit drängt

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte: "Ich bin froh darüber, dass die parlamentarischen Entscheidungen verfassungsrechtlich gebilligt worden sind. Damit kann der ESM endlich seine Arbeit aufnehmen." Insbesondere begrüßte Steinmeier die Stärkung der Rechte des Bundestags.

Grünen-Chef Cem Özdemir drängte zur Eile, den ESM wirksam werden zu lassen. "Deutschland sollte nun möglichst schnell das Ratifizierungsverfahren abschließen, damit der ESM endlich starten kann", sagte er. Das Urteil sei aber nur ein wichtiger Schritt auf dem Weg aus der aktuellen Krise. "Es braucht jetzt ebenso entschiedene Schritte zu einer ausreichend demokratisch kontrollierten Bankenunion, die Einführung der beschlossenen Finanztransaktionssteuer und einen Altschuldentilgungsfonds, der den Krisenländern Luft für weitere Reformen verschafft."

"Geburtsstunde der Vereinigten Schulden von Europa"

Der Linkspartei-Vorsitzende Bernd Riexinger sprach zwar von einem Teilerfolg seiner Partei. Er zeigte sich aber dennoch enttäuscht. "Das ist die Geburtsstunde der Vereinigten Schulden von Europa. Erstmals in der Geschichte sollen die Armen für die Schulden der Reichen blechen."

Kritische Töne kamen auch vom Innenexperten der Unionsfraktion, Wolfgang Bosbach: Der warnte anlässlich des Urteils abermals vor einem Wandel der Europäischen Union zur Transferunion. "Jetzt wird aus dieser Währungsunion durch die Vergemeinschaftung von Schulden zunächst eine Haftungsunion und am Ende wohl auch - jedenfalls können wir das nicht ausschließen - eine Transferunion", sagte der CDU-Politiker.

Weitere Reaktionen aus der Bundespolitik finden Sie hier.

Grünes Licht aus Karlsruhe

Das Verfassungsgericht hatte am Morgen grünes Licht für den ESM gegeben, allerdings mit Auflagen. Es müsse etwa sichergestellt werden, dass die Haftung Deutschlands auf die vereinbarten 190 Milliarden Euro beschränkt bleibe, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle in Karlsruhe. Zudem müsse Deutschland eine Vertragsauslegung sicherstellen, die gewährleistet, dass trotz der beruflichen Schweigepflicht aller für den ESM tätigen Personen Bundestag und Bundesrat umfassend informiert würden.

Bundespräsident Joachim Gauck kann nun die entsprechenden Gesetze unterschreiben, sobald Deutschland die Vorbehalte geltend gemacht hat. Aus dem Bundespräsidialamt hieß es dazu, die Entscheidung des Gerichts werde "unverzüglich ausgewertet". Voßkuhle wies aber indes darauf hin, dass die heutige Entscheidung zum Rettungsschirm nur vorläufig sei. Eine Hauptverhandlung werde folgen, in der überprüft würde, ob die Europäische Zentralbank ihre Kompetenzen überschritten habe.

Grenzen der Kompetenzen

Das Gericht entscheide nicht über die Zweckmäßigkeit und Sinnhaftigkeit des Rettungspakets, sagte Voßkuhle. "Das ist und bleibt Aufgabe der Politik." Niemand könne mit Sicherheit sagen, welche Maßnahmen für die Bundesrepublik Deutschland und die Zukunft Europas in der derzeitigen Krise tatsächlich am besten seien.

Weg zum ESM fast frei

Deutschland hat bislang als einziges Euro-Land den Vertrag über den "Europäischen Stabilitätsmechanismus" ESM noch nicht ratifiziert. Erst mit der Beteiligung des größten Mitgliedsstaats kann der Rettungsschirm in Kraft treten. Dies wird nach Ansicht von Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker im Oktober der Fall sein.