EU-Flaggen wehen in Brüssel

Programmvergleich Wie die Parteien die EU ändern wollen

Stand: 29.08.2017 14:11 Uhr

Das Rolle des Europaparlaments ist für die meisten Parteien ein Schlüssel bei den Reformideen für die EU. Wichtige Europathemen sind auch die Brexit-Verhandlungen und der Umgang mit der Türkei. Die Positionen im Vergleich.

Mit Ausnahme von CDU und CSU fordern alle Parteien Reformen der EU-Institutionen. SPD, Die Linke, die Grünen und die FDP wollen das Europaparlament stärken, unter anderem durch das Recht auf eigene Gesetzesinitiativen. In der Frage einer europäischen Sozialunion gehen die Meinungen weit auseinander: Die FDP lehnt sie ab. Grüne, SPD und Die Linke sind sich zumindest in der grundsätzlichen Forderung nach EU-weiten Mindeststandards im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping einig. Alle Parteien mit Ausnahme der AfD betonen mit Blick auf die Brexit-Verhandlungen, dass es keine Rosinenpickerei Großbritanniens geben dürfe. Die Frage der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei entzweit die Parteien.

CDU/CSU

Die Union äußert sich ihrem Wahlprogramm nicht zu möglichen Reformen der EU-Verträge und konzentriert sich auf konkrete Einzelfragen. CDU und CSU wollen die Agentur Frontex stärken, um den Schutz der EU-Außengrenzen sicherzustellen. Sie befürworten weitere Flüchtlingsabkommen mit nordafrikanischen Staaten nach dem Vorbild des Abkommens mit der Türkei. Bei der Verteilung der Geflüchteten müssten alle EU-Staaten ihrer Verantwortung nachkommen. In den Brexit-Verhandlungen betont die Union das Interesse am Erhalt intensiver Beziehungen zu Großbritannien. Die negativen Folgen des EU-Austritts für Menschen und die Wirtschaft müssten begrenzt werden. Die Union stellt aber auch klar, dass ein Land, das die EU verlasse, nicht mehr von allen Vorteilen profitieren könne. In der Türkei-Politik lehnt die Union eine EU-Vollmitgliedschaft ab, strebt aber eine Vertiefung der Beziehungen an.

SPD

Mittelfristig strebt die SPD eine europäische Verfassung. Konkret fordert sie mehr Rechte für das Europaparlament: vom Recht zur Gesetzesinitiative über das Recht zur Wahl einzelner Kommissionsmitglieder bis zum vollen Budgetrecht. Auch die EU-Kommission soll reformiert werden. Die Sozialdemokraten streben zugleich ein einheitliches Wahlrecht für die Europawahlen einschließlich Sperrklauseln und gemeinsamer Spitzenkandidaten an. Ein großes Investitionsprogramm in Verkehrsnetze, in schnelle Internetverbindungen, in Bildung und Forschung soll den Weg aus der Wachstumsschwäche ebnen und den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit unterstützen. Die Sozialdemokraten fordern eine europäische Sozialunion mit Mindeststandards, die Lohn- und Sozialdumping stoppen. In der Flüchtlingspolitik verlangt die SPD eine solidarische Verteilung der Geflüchteten sowie die Sicherung der EU-Außengrenzen. Beim Umgang mit der Türkei fordert die Partei ein Ende der Beitrittsverhandlungen für den Fall, dass das Land die Todesstrafe wieder einführen sollte. In den Brexit-Verhandlungen darf es nach Ansicht der SPD kein "Europa à la carte" geben. Der Zugang zum Binnenmarkt sei untrennbar mit der Gewährung der vier Grundfreiheiten verbunden. Der Erhalt der europäischen Einigung habe Vorrang vor dem Ziel einer auch künftig engen Partnerschaft mit Großbritannien.

Die Linke

Die Linke will die EU grundlegend reformieren - mit neuen Strukturen und neuen Verträgen, über die in allen Ländern per Volksabstimmung entschieden werden soll. Sie formuliert das Ziel, das Europaparlament zu stärken und ihm das Recht zu Gesetzesinitiativen zu geben. Die Abgeordneten sollen die EU-Kommission wählen und abwählen können. Ein weiteres Ziel sind EU-weite Volksbegehren. Inhaltlich soll die EU demokratischer, solidarischer und gerechter werden. Die Linke möchte über ein Investitionsprogramm Geld für öffentliche und soziale Dienstleistungen, für Bildung, Verkehr, erneuerbare Energien und Wohnen bereitstellen. Zur Finanzierung fordert die Partei eine einmalige Vermögensabgabe für Vermögen über eine Million Euro. In der EU soll es künftig einen einheitlichen Mindestlohn, soziale Mindeststandards und eine abgestimmte Steuerpolitik geben. In der Flüchtlingspolitik fordert die Partei die Aufkündigung des Abkommens mit der Türkei. Bei der Aufnahme von Flüchtlingen setzt Die Linke auf Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten und das Prinzip, dass die Geflüchteten selbst wählen dürfen, in welchen Mitgliedsstaat sie wollen. Ein Ausgleich ist über eine "Fluchtumlage" vorgesehen. An die Stelle der Grenzschutzagentur Frontex soll eine koordinierte Seenotrettung treten. In den Brexit-Verhandlungen setzt sich Die Linke dafür ein, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit in beide Richtungen weiter gilt und auch das Bleiberecht für Briten in der EU und für EU-Bürger in Großbritannien fortbesteht. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollen nach dem Willen der Linken nicht weiter intensiviert werden.

Grüne

Die Grünen setzen sich dafür ein, Europa einvernehmlich weiterzuentwickeln. Ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten müsse aber möglich sein. Das Europaparlament soll das Recht bekommen, eigene Gesetzesvorschläge einzureichen und in Fragen der Wirtschafts- und Währungsunion gleichberechtigt mitzuentscheiden. Die Hürden für die Abwahl der EU-Kommission sollen sinken. Die Grünen wollen Europa durch eine nachhaltige Investitionspolitik stärken. Das Geld dafür soll durch einen europäischen Steuerpakt hereinkommen, durch den die EU-Staaten wirkungsvoll gegen Steuerflucht und Steuervermeidungsstrategien der Konzerne vorgehen sollen. Darüber hinaus schlagen die Grünen vor, dass die EU Mindeststandards in Fragen der sozialen Sicherung und des Arbeitsmarkts vorschreiben soll. In den Brexit-Verhandlungen müsse der Zusammenhalt der verbleibenden EU-27 oberste Priorität haben. Es dürfe keinen "Austritt à la carte" geben. Ein freier Zugang zum EU-Binnenmarkt müsse unter anderem an die Geltung des Europarechts und aller Grundfreiheiten gekoppelt bleiben. In der Türkei-Politik lehnen die Grünen einen Abbruch der EU-Beitrittsgespräche ab, weil dies ein falsches Signal an die demokratischen Kräfte des Landes sei.

FDP

Die Liberalen fordern eine Reform der EU mit dem Ziel einer größeren Transparenz und Effizienz. Europawahlen sollen auf Basis einer EU-weiten Kandidatenliste mit einem einheitlichen Wahlrecht stattfinden. Das Europaparlament soll das Recht auf Gesetzesinitiativen bekommen und künftig nur noch in Brüssel tagen. Die EU-Kommission soll auf 16 Kommissare schrumpfen. Zugleich wollen die Liberalen den europäischen Integrationsprozess stärken, indem die Umsetzung des Prinzips des "Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten" vereinfacht wird. Eine soziale Säule der EU lehnt die FDP mit Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip ab. Jeder Mitgliedsstaat soll auch künftig eigenständig seine Arbeitsmarktpolitik festlegen und seine sozialen Sicherungssysteme gestalten können. Nach dem Brexit-Votum fordern die Liberalen ein partnerschaftliches Aushandeln der Bedingungen des EU-Austritts. Großbritannien solle dabei auch künftig ein starker Partner sein. Ein "Rosinenpicken" der Regierung in London komme aber nicht in Frage. Die FDP fordert, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beenden. In der Flüchtlingspolitik verlangt die Partei eine faire Verteilung zwischen den europäischen Staaten. Länder, die sich dieser Solidarität verweigern, sollen in einen Fonds einzahlen. Um die EU-Außengrenzen wirksam zu schützen, soll die Agentur Frontex zu einem europäischen Grenzschutz ausgebaut werden.

AfD

Die EU soll nach dem Willen der AfD grundlegend reformiert werden. An die Stelle des derzeit gültigen Vertrages von Lissabon soll wieder eine Organisation von Staaten treten, die ihre Interessen und Aufgaben selbst definieren. Falls eine solche Reform nicht mit den anderen EU-Staaten ausgehandelt werden kann, soll Deutschland aus der EU austreten. Über den Verbleib in der EU sollen die Bundesbürger in einer Volksabstimmung entscheiden. Die europäische Zusammenarbeit muss nach Ansicht der AfD sich auf die Sicherung der europäischen Außengrenzen konzentrieren. Im Streit mit der Türkei fordert die Partei den sofortigen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen.

Dieses Thema im Programm: Dieses Thema wird Teil der Sendungen „Wahlarena – mit Angela Merkel“ am 11. September 2017 und „Wahlarena – mit Martin Schulz“ am 18. September jeweils um 20:15 Uhr sein.