Interview

Gynäkologin zu Brustamputationen "Wichtig ist der Wunsch der Frau"

Stand: 14.05.2013 15:06 Uhr

Wer Trägerin eines mutierten BRCA-Gens ist, hat ein bis zu 80-prozentiges Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Nur durch eine prophylaktische Amputation wie jetzt bei Angelina Jolie könne dies verhindert werden, sagt die Gynäkologin Dorothee Speiser im tagesschau.de-Interview. Entscheidend sei aber immer der Wunsch der Frau.

tagesschau.de: Bei welcher Diagnose ist es sinnvoll, über eine präventive Amputation der Brüste nachzudenken?

Dorothee Speiser: Es ist dann sinnvoll, wenn sich herausgestellt hat, dass die Frau Trägerin einer genetischen Mutation im BRCA-1- oder BRCA-2-Gen ist. Dann nämlich wurde eine Veranlagung vererbt, die mit einem erhöhten Risiko einhergeht, im Laufe seines Lebens an Brustkrebs und/oder Eierstockkrebs zu erkranken. Für Brustkrebs kann das Risiko dann bis zu 80 Prozent betragen, für Eierstockkrebs bis zu 60 Prozent, allerdings immer bezogen auf die gesamte Lebenszeit. Aber diese Risiken sind enorm hoch, verglichen mit nicht genetisch belasteten Frauen. Für den sogenannten sporadischen Brustkrebs liegt das Risiko nämlich bei zehn bis elf Prozent, für Eierstockkrebs bei ungefähr 1,5 Prozent.

Zur Person

Dorothee Speiser hat in Rostock, Berlin und Leipzig Medizin studiert. Seit 2005 arbeitet sie im Brustzentrum der Berliner Charité und ist dort in der Familiären Risikosprechstunde tätig. Beraten werden dort Frauen, die erblich vorbelastet sind.

"Eine extreme Entscheidung"

tagesschau.de: Wann würden Sie eher zu einer solchen Operation raten und wann nicht?

Speiser: Das muss man sehr differenziert betrachten. Entscheidend ist immer der Wunsch der Frau. Die psychologischen Faktoren bei dieser Entscheidung fürs Leben sind so individuell, dass man keine pauschale Empfehlung geben kann.

tagesschau.de: Wie wird eine Frau in der Phase der Entscheidung beraten?

Speiser: Man kann das Risiko einer Frau relativ gut einschätzen, indem man zunächst einen Stammbaum erstellt: Wer ist wann in der Familie erkrankt? Wer ist womöglich daran gestorben? Wie viele sind erkrankt? Aufgrund dieses Stammbaums wird von unseren Genetikern eine statistische Risikoanalyse erstellt, die dann das Erkrankungsrisiko und das Mutationsrisiko genauer fasst. Wenn diese Werte bei über 30 Prozent liegen, empfehlen wir intensivierte Früherkennungsuntersuchungen, um eine Erkrankung frühstmöglich zu entdecken.

Es gibt aber letztendlich keine Möglichkeit, die Erkrankung an sich zu verhindern, es sei denn tatsächlich durch die prophylaktische Entfernung der Organe. Das ist aber eine extreme Entscheidung. Im Falle der Brüste geht es um unser Körperbild, im Falle der Eierstöcke aber auch um die hormonelle Ausstattung einer Frau. Es braucht also eine intensive gynäkologische wie auch psychologische Beratung. Die aber findet nur statt, wenn die Patientin das auch wünscht. Wir zwingen niemandem diese Beratung auf und erzählen auch nur das, was die Ratsuchende wissen möchte.

tagesschau.de: Wie häufig wird eine solche Entscheidung für eine präventive Amputation getroffen? Und wird sie überall durchgeführt?

Speiser: Bei jüngeren Frauen erleben wir häufiger die Entscheidung für die prophylaktische Brustdrüsenentfernung als die der Eierstöcke. Insgesamt kommt das in Deutschland aber sehr selten vor. Die Zahlen dürften im dreistelligen Bereich liegen. Bei uns im Zentrum waren es im vergangenen Jahr zehn bis 15 solcher Operationen. Wir empfehlen, eine solche OP an einem Zentrum für familiären Brust- und Eierstockkrebs durchführen zu lassen, das auch über die entsprechenden plastischen Chirurgen verfügt. Allerdings sind meist zwei oder drei Eingriffe vonnöten.

Die Brustwarze als Restrisiko

tagesschau.de: Übernimmt die Krankenkasse die Kosten?

Speiser: Ob gesetzlich oder privat: Die Kassen entscheiden sehr unterschiedlich über eine Übernahme der Kosten, auch was den Wiederaufbau der Brust angeht. Die einfachere Methode ist noch die Versorgung mit Implantaten. Der Wiederaufbau mit Eigengewebe ist sehr aufwendig, sehr kompliziert und sehr langwierig.

tagesschau.de: Lässt sich das Risiko tatsächlich minimieren, an Brustkrebs zu erkranken? Und warum lässt es sich nicht ganz ausschalten?

Speiser: Das Risiko lässt sich erheblich senken, aber nicht ganz ausschalten, weil wir nie alle Zellen des Brustgewebes entfernen können. Das ist operativ einfach nicht möglich. Die Zellen sind ja mikroskopisch klein. Ein gewisses Restrisiko bleibt also, aber das Ausgangsrisiko ist nach einer solchen Operation entscheidend niedriger. Es gibt auch Frauen, die sich bewusst für ein etwas höheres Restrisiko entscheiden, weil sie ihren Brustwarzenkomplex behalten wollen. Hinter der Brustwarze befinden sich aber vermehrt einzelne Zellen, die dann eben auch erkranken können.

tagesschau.de: Was geschieht, wenn eine Frau dann doch an Brustkrebs erkrankt?

Speiser: Die wird ganz normal behandelt. Und im Bereich des Tumors wird dann eben operiert. Meist muss das Implantat dafür entfernt werden.

Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de