Verfahren im Fall Böhmermann Merkel entschied ohne Prüfbericht

Stand: 18.04.2016 17:35 Uhr

Im Fall Böhmermann gibt es Verwirrung, ob die Bundesregierung bei der Entscheidungsfindung das vorgesehene Verfahren eingehalten hat. So erteilte Bundeskanzlerin Merkel die Ermächtigung, noch bevor ein Bericht der Staatsanwaltschaft vorlag. Doch was heißt das eigentlich?

Von Julia Becker, tagesschau.de

Die Staatsanwaltschaft Mainz hat einen Bericht im Fall Böhmermann angefertigt. Dieser soll nach der "Richtlinie für das Straf- und Bußgeldverfahren" für die Bundesregierung eine Entscheidunghilfe sein, ob eine Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt werden soll oder nicht. Diese Einschätzung der Staatsanwaltschaft Mainz hat Bundeskanzlerin Angela Merkel im Fall Böhmermann jedoch nicht abgewartet. Das teilte das Bundesjustizministerium tagesschau.de mit und bestätigte damit einen entsprechenden Bericht des "Tagesspiegel".

Nun steht der Verdacht im Raum, dass die Bundesregierung das vorgesehene Verfahren in solchen Fällen nicht eingehalten und vorschnell gehandelt hat. Doch stimmt das auch?

"Objektive Fakten sind schon bekannt"

Das Bundesjustizministerium sieht das nicht so: "Es ist nicht zwingend notwendig, dass die Bundesregierung den Bericht der Staatsanwaltschaft abwarten muss", sagte eine Sprecherin zu tagesschau.de. Der Bericht der Staatsanwaltschaft sei dazu da, um der Regierung die Sach- und Beweislage zu erläutern. Diese sei im Fall Böhmermann aber durch die Aufzeichnung der umstrittenen Sendung sowieso schon offensichtlich. "Die objektiven Fakten sind der Bundesregierung schon bekannt", sagte die Sprecherin. Ob der Bericht der Staatsanwaltschaft abgewartet wird, müsse in jedem Fall einzeln entschieden werden.

Böhmermann hatte in seiner TV-Show "Neo Magazin Royale", die im ZDF und bei ZDFneo läuft, ein sogenanntes Schmähgedicht über Erdogan vorgetragen. Dieser hat daraufhin Böhmermann wegen Beleidigung angezeigt. Am Freitag hatte die Bundesregierung dem Wunsch der Türkei stattgegeben, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Böhmermann wegen der Beleidigung eines Staatsoberhauptes zuzulassen.

ARD-Rechtsexperte bewertet Vorgehen

Auch ARD-Rechtsexperte Kolja Schwartz hält das Vorgehen der Bundesregierung nicht für ungewöhnlich. Richtig sei zwar, dass in der entsprechenden Richtlinie stehe, dass die Staatsanwaltschaft beschleunigt ermitteln und dann das Justizministerium informieren solle. "Aber: Die Richtlinie ist kein Gesetz, sondern nur eine Verwaltungsvorschrift, die lediglich justizintern für die Staatsanwaltschaften gilt. Sie bindet also keinesfalls die Bundesregierung", sagt Schwartz.

Des Weiteren würden die Richtlinien nicht vorgeben, wann die Bundesregierung entscheiden darf - genauso wenig das Strafgesetzbuch. "Angela Merkel hätte also auch sofort und nicht erst nach einigen Tagen entscheiden dürfen", sagt Schwartz. Auch nach seiner Einschätzung bedurfte es in diesem Fall keiner großen Ermittlung, um zu klären, was eigentlich passiert war und ob Böhmermann die vorgeworfene Aussage tatsächlich getroffen hat.

Was steht in dem Bericht?

Zentral für die Bewertung des Vorgangs ist auch die Frage, was eigentlich in dem Bericht der Staatsanwaltschaft Mainz steht. "Der Bericht referiert in erster Linie den Gang des Verfahrens, zitiert den Wortlaut des sogenannten 'Schmähgedichts' und schildert im Übrigen den wesentlichen Inhalt des in Rede stehenden Fernsehbeitrags, also den Kontext, in den das 'Schmähgedicht' eingebettet war", teilte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Mainz auf Anfrage mit. Eine rechtliche Einschätzung, wie wahrscheinlich eine Verurteilung Böhmermanns wäre, wird in dem Bericht demnach nicht abgegeben.

Eine Bewertung, warum die Bundesregierung ihren Bericht nicht abgewartet hat, wollte die Staatsanwaltschaft Mainz nicht abgeben. "Die Entscheidung der Bundesregierung, dass sie eine Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen will, ist mir nur aus den Medien bekannt und noch nicht zu den Akten gereicht worden", sagte die Sprecherin. Dies gelte auch für das Strafverlangen der türkischen Regierung. Aber: "Im Hinblick auf die zeitlichen Anläufe und den Umstand, dass derartige Erklärungen über den Dienstweg und nicht unmittelbar übermittelt werden, habe ich keinen Anlass zur Verwunderung darüber", sagte die Sprecherin.

Beleidigung des Bundespräsidenten bleibt strafbar

Die Entscheidung Merkels, die Strafverfolgung gegen Böhmermann zu erlauben, ist bundesweit sehr umstritten. Bei einer Blitzumfrage im Auftrag des Berichts aus Berlin und von tagesschau.de gaben 65 Prozent der Befragten an, dass sie die Entscheidung der Bundesregierung falsch finden. Gefragt wurde auch, ob der Satiriker für sein sogenanntes "Schmäh-Gedicht" bestraft werden sollte. Auch hier ist das Meinungsbild eindeutig: Zwei Drittel der Befragten - nämlich 67 Prozent - sind dagegen.

Zusammen mit der Ermächtigung, die Strafverfolgung gegen Böhmermann wegen des Vorwurfs der Beleidigung eines Staatsoberhauptes zuzulassen, hatte Merkel auch verkündet, den entsprechenden Paragraphen 103 abzuschaffen. Die Verunglimpfung des Bundespräsidenten soll aber weiter straftbar bleiben, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert nun mit. Eine Streichung des entsprechenden Paragrafen 90 des Strafgesetzbuches sei nicht geplant.