Interview

Parteienforscher zur Strategie der CDU "Das Doppelspiel geht nicht auf"

Stand: 18.09.2016 23:16 Uhr

Erst die AfD verteufeln und dann deren Positionen übernehmen - Parteienforscher Lühmann hält dieses Vorgehen der CDU für die falsche Strategie. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er, warum die AfD in Berlin einen weiteren Erfolg einfährt und was die Partei aufhalten kann.

tagesschau.de: Klar ist, dass es für die Große Koalition nicht mehr reicht. SPD wie CDU verlieren deutlich. Wer muss sich den Schuh anziehen, die Regierung aufs Spiel gesetzt zu haben?

Michael Lühmann: Weder SPD noch CDU haben immer eine gute Figur gemacht, und das gilt sowohl für die landes- als auch für die bundespolitische Ebene. Im Berliner Abgeordnetenhaus war schon lange zu beobachten, dass die SPD Abstand zur CDU hielt. Im Bund ist es vor allem die CSU, die der CDU reingrätscht, während SPD-Chef Sigmar Gabriel sich auch gern selbst mal ein Bein stellt.

Berlin dürfte also für den Bund ein warnendes Beispiel sein, denn die Wähler merken, wenn Koalitionen nicht mehr funktionieren.

Zur Person

Seit 2010 forscht Michael Lühmann am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Im Zentrum seiner Arbeit stehen Entwicklung und Geschichte deutscher Parteien vom Niedergang der Volksparteien über das Zwischenspiel der Piraten bis hin zum Blitzstart der AfD. Lühmann ist Mitglied der Redaktion von "INDES - Zeitschrift für Politik und Gesellschaft".

Falsche Strategie bei der CDU

tagesschau.de: Für wen bedeutet das Ergebnis den größeren Gesprächsbedarf?

Lühmann: Meiner Einschätzung nach die CDU, denn die SPD hat die Wahl gewonnen. Über das Ergebnis spricht in drei Tagen niemand mehr. Die CDU hat ein Problem mit sich selbst und der CSU, und sie hat eins mit der AfD. Es ist grundfalsch, deren Rechtspopulismus auf der einen Seite zu verteufeln, um dann AfD-Positionen nach und nach zu übernehmen.

Dieses Doppelspiel kann nicht aufgehen. Auf genau dieser Art und Weise hat man auch schon in Österreich die Rechtspopulisten stark gemacht.

tagesschau.de: Berlin hat extremer gewählt als vor fünf Jahren, mit deutlichen Zuwächsen für Linkspartei und AfD. Welche Bewertung von Politik spiegelt sich in diesen Ergebnissen wider?

Lühmann: Ich möchte das stark differenzieren, was links und was rechts passiert. Die Linkspartei findet gerade wieder zur alten Stärke zurück, was ich für eine Normalisierung in der Parteienlandschaft halte, zumal die Berliner Linkspartei sehr stark sachpolitisch wahrgenommen wird. Rechts findet Protest statt.

Wir müssen außerdem der Tatsache Rechnung tragen, dass man mit rassistischen Positionen Menschen wieder von der Couch holen kann. Wir wissen aus der Sozialforschung, dass 15 bis 20 Prozent der Menschen in Deutschland ein rechtes, fremdenfeindliches Weltbild haben, und die erreicht die AfD und bringt sie auch dazu, zur Wahl zu gehen.

"Im Prinzip hilft nur aktives Aussitzen"

tagesschau.de: Wieder zieht die AfD mit einem zweistelligen Ergebnis in ein Landesparlament ein, trotz der zum Teil scharfen Kritik anderer Parteien, die aber offenbar nicht verfängt. Warum haben die etablierten Parteien der AfD so wenig entgegen zu setzen?

Lühmann: Sachliche Politik in aufgeheizter Stimmung ist schwierig, und die Stimmung ist aufgeheizt. Es heißt, die AfD habe schon Plakate vorbereitet, die sie im Falle eines Anschlags in Deutschland drucken und aufhängen lässt. Dabei ist die AfD in Berlin keine junge Partei, und sie wird vor allem von Männern gewählt.

Hier findet eine Alterskohorte ihren Ausdruck, die parallel zum Aufstieg der Grünen sozialisiert wurde, aber  immer auf der falschen Seite der Modernisierung stand und die jetzt, nach jahrelangem Frust, meinen, frohlocken zu können. Im Prinzip hilft nur, es aktiv auszusitzen. Man darf nur nicht den falschen Leuten Dialogangebote machen und man muss auch als Politiker nicht für alles und jeden Verständnis haben. Man darf kein Verständnis haben, wenn Frauke Petry sagt, "völkisch" sei ein unbelasteter Begriff.

Wenn wir nicht aufpassen, rollt eine massive konservative Regression auf uns zu, und dann geht es nicht "nur" um Rassismus, sondern auch um alternative Lebensentwürfe, Gleichberechtigung und freiheitliches Denken.

Changierende Wahlentscheidung in der Großstadt

tagesschau.de: Die Grünen verzeichnen aus der Opposition heraus leichte Verluste. Empfiehlt das die Partei ausreichend für eine Regierungsbeteiligung?

Lühmann: Ich glaube, die Grünen können ganz zufrieden sein, zumal die Wahl vor fünf Jahren zu einer Hochzeit für die Grünen stattfand. Dass die Grünen jetzt nicht mehr vom Niedergang der Piraten profitiert haben, liegt daran, dass es so viele Überschneidungen gar nicht gab und gibt.

Wer die Piraten wählte, wählte vor allem aus Protest. Die Piraten sind von Berlin aus gestartet, und hier enden sie auch, wobei sie für ihre parlamentarische Arbeit auch viel gelobt worden sind.

tagesschau.de: Ein Comeback feiert die FDP. Was müssen die Freien Demokraten jetzt leisten, um diesen Schwung mit in den Bundestagswahlkampf zu nehmen?

Lühmann: Auch die FDP hat von Protest und Frust profitiert. Ich halte es für fraglich, ob das eine Aussage in Hinblick auf die Bundestagswahl zulässt, denn in Berlin war es schon immer so, dass die Bewegungen an den Rändern des Parteienspektrums immer stärker ausgeprägt waren als anderswo.

Etwa zehn bis 16 Prozent changieren munter, wählen mal die Grauen Panther und jetzt eben die FDP. Das scheint aber vor allem ein Großstadt-Phänomen zu sein.

Mehr Dynamik auch im Bund

tagesschau.de: Glauben Sie, dass sich kommende Wahlergebnisse auf dem Berliner Niveau einpendeln? Mit weniger Stimmen für  die größeren und mehr Stimmen für die kleineren Parteien?

Lühmann: Landtagswahlen lassen mehr Spielraum für unkonventionelle Wahlentscheidungen als Bundestagswahlen. Wir werden nach wie vor eine starke Union und eine relevante SPD sehen, aber wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass es womöglich für eine Große Koalition nicht reicht. Dreier-Bündnisse sind von Hause aus dynamischer.

Was ich mir vorstellen kann, ist, dass sich die gesellschaftliche Debatte rund um Flüchtlinge und Zuwanderung zugespitzter in der Konfrontation der Parteien wiederfindet, mit Rot-Rot-Grün auf der einen und dem bürgerlichen Lager, das dann nach rechts ausfranst, auf der anderen Seite.

tagesschau.de: Welche Regierungsoption in dem Berliner Sechs-Parteien-System halten Sie  für die wahrscheinlichste?

Lühmann: An Rot-Rot-Grün beziehungsweise Rot-Grün-Rot führt kein Weg vorbei. Thüringen hat ja schon vorgemacht, wie es gehen kann. In der Linkspartei sieht man sehr wohl die "Gefahr" von Schwarz-Grün, was dazu führt, dass man sich dort bewegt und auch Regierungserfahrung sammeln möchte. Berlin zeigt auch deutlich, dass nicht allein die Flüchtlingsfrage an der Wahlurne entscheidet. Die Menschen sind nicht bereit, jede Verschärfung zu akzeptieren.

Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 18. September 2016 um 20:00 Uhr.