Fragen und Antworten zur Honorarreform Wo tut's denn weh, Herr Doktor?

Stand: 11.03.2009 00:02 Uhr

Transparenz, Gerechtigkeit und mehr Geld sollte die Honorarreform für niedergelassene Ärzte bringen. Stattdessen aber sorgt sie vor allem für eines: Ärger. Mancherorts werden Patienten nur noch gegen Vorkasse behandelt, und auch heute wollen Ärzte aus Protest ihre Praxen schließen. Was die Mediziner gegen die Reform aufbringt, erklärt tagesschau.de.

Was ist neu?

Bislang war es so: Die Ärzte meldeten Punkte, die sich aus dem Leistungskatalog ergaben. Anschließend wurde das vorhandene Geld auf alle gemeldeten Punkte je Kasse aufgeteilt und ausgezahlt. Die Honorare variierten, je nachdem, wie gut oder schlecht eine Krankenkasse finanziell dastand. Entsprechend groß war das Gefälle, zum Beispiel zwischen den Kassen in bevölkerungs- und einkommensstarken Regionen wie Bayern auf der einen Seite und solchen wie Mecklenburg-Vorpommern mit vielen Arbeitslosen und Alten auf der anderen Seite. Durchschnittlich lag der Realwert eines Punktes bei 3,8 Cent.

Seit dem 1. Januar 2009 liegt er bei 3,5 Cent - egal, in welchem Bundesland, egal bei welcher Krankenkasse. Mit diesem Punktwert werden fast alle Leistungen bundesweit gleich vergütet. Jedoch können neuerdings zum Beispiel Untersuchungen zur Früherkennung, Impfungen und die Behandlung chronisch Kranker extra abgerechnet werden. Außerdem wurden Leistungen, die bislang mit einem höheren Punktwert vergütet wurden mit einer höheren Punktzahl bewertet, um eine Honorarabsenkung zu verhindern. Das wird in der derzeit hitzig geführten Debatte mitunter verschwiegen.

Die zweite grundlegende Neuerung ist das sogenannte Regelleistungsvolumen. Hinter diesem Wortungetüm steckt ein Budget, das individuell auf jede Arztpraxis pro Quartal neu zugeschneidert wird. Dieses Volumen wird dem Arzt einen Monat im Voraus für das folgende Quartal mitgeteilt. Die Summe setzt sich zusammen aus der Patientenzahl der betreffenden Praxis im Vergleichsquartal des Vorjahres, dem durchschnittlichen Wert der zu behandelnden Fälle und dem "Gewichtungsfaktor Alter": Für Rentner gibt’s mehr Geld für den behandelnden Arzt. Überzieht der sein Budget, werden seine Leistungen nur noch abgestaffelt honoriert.

Die Patienten werden drittens fast nur noch über Fallpauschalen abgerechnet. Das heißt, es ist egal, wie oft ein Patient pro Quartal behandelt werden muss.

Warum protestieren vor allem Fachärzte?

Das hat vor allem zwei Ursachen: Erstens ist es mit den neuen Pauschalen schwieriger, teure Geräte zu amortisieren. Bisher konnten beispielsweise Röntgenuntersuchungen einzeln abgerechnet werden. Jetzt aber fallen auch sie unter eine Pauschale. Röntgt ein Arzt einen Patienten öfter, als es sein festgelegtes Budget vorsieht, bekommt er die darüber hinausreichenden Röntgen-Untersuchungen nicht bezahlt.

Fachärzte mit Einzelpraxen fürchten nun die Konkurrenz von ambulant behandelnden Krankenhäusern oder auch von Praxisgemeinschaften, in denen sich mehrere Mediziner die Geräte teilen. Ein positiver Effekt ist, dass Untersuchungen aus purer Geldmacherei dadurch mindestens eingedämmt werden. In strukturschwachen Gebieten mit wenigen Ärzten und vielen kranken oder älteren Menschen wie zum Beispiel in Ost-Deutschland aber ist das durchaus dramatischer.

Zweitens gehen vor allem Fachärzte in Bayern und Baden-Württemberg auf die Barrikaden, weil sie sich hinter Hausärzte zurückgesetzt fühlen: Die dortigen Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) haben eigene Verträge mit den Hausärzten abgeschlossen. Sie zahlen ihnen 85 Euro Quartalspauschale pro AOK-Patient, während die Kassenärztlichen Vereinigungen je Patient und abhängig vom Bundesland Hausärzten und Internisten rund 40 Euro im Quartal zahlen, Augenärzten etwa 20 Euro.

Warum protestieren vor allem Ärzte aus Bayern?

Zum einen eben wegen der Verträge zwischen der dortigen AOK und Hausärzten, und weil die bayerischen Ärzte auch aufgrund bisher gültiger Sonderverträge im Bundesvergleich zum Teil überdurchschnittlich gut dastanden. Doch soll Gerechtigkeit hergestellt werden mit der Formel: Gesundheitsfonds plus Honorarreform gleich Einkommensumverteilung. Die Kassen bekommen gleich viel Geld aus dem Gesundheitsfonds und geben den bundesweit gleichen Punktesatz an die Ärzte weiter. Das bedeutet unterm Strich, dass die bisher sehr gut verdienenden Ärzte im Schnitt weniger bekommen können, während ihre bis dato schlechter weggekommenen Kollegen zu ihnen aufschließen.

Warum bekommen die Ärzte nun doch nicht drei Milliarden mehr?

Eine Honorarsteigerung um zehn Prozent versprach Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) den Ärzten. Wie so oft bei Verträgen, zählt aber auch hier das Kleingedruckte: Diese zehn Prozent bezogen sich auf die Honorare des Jahres 2007. 2008 gab es aber schon Einkommenszuwächse. Daran gemessen, gibt es in diesem Jahr laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) "nur" noch 1,2 Milliarden Euro mehr. Eine Milliarde Euro liege deshalb aus ihrer Sicht "noch auf Eis", sagt die KBV.

Wer ist verantwortlich für das Chaos?

Wie so oft, will es auch in diesem Fall keiner gewesen sein. Zwar sind sich Politik wie Ärztevertreter einig, dass nachgebessert werden muss. Schuld aber sind die Ärzte, behauptet nun Gesundheitsministerin Schmidt. Ihr Ministerium habe lediglich die zehnprozentige Budgetsteigerung abgesegnet. Wie das Geld verteilt wird, hätten die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen untereinander ausgehandelt.

Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) hingegen sitzen zwischen allen Stühlen: Auf der einen Seite schiebt ihnen die Politik in Person von Ministerin Schmidt den Schwarzen Peter zu, oder aber fordert gleich ihre komplette Abschaffung, so wie Schmidts Parteikollege, der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Auf der anderen Seite machen vor allem die Fachärzte Druck und fordern von den KVen, die Gelder unter den Ärzten anders zu verteilen. Sie sehen ihre Interessen nicht ausreichend vertreten.

Von Nicole Diekmann, tagesschau.de.