Eine Frau hält in Berlin vor dem Brandenburger Tor eine Europafähnchen in der Hand. (Archivbild)
Analyse

Vorwahlumfrage infratest dimap Die Deutschen sind EU-Fans

Stand: 26.05.2019 18:25 Uhr

Sind die Deutschen "europamüde"? Im Gegenteil, wie ein Blick auf Umfragen zeigt. Selbst AfD-Anhänger sind weniger EU-kritisch als oft angenommen. Interessant auch die Meinung der Deutschen zum FPÖ-Skandal.

Eine Analyse von Holger Schwesinger

Frust über die Bürokraten in Brüssel? Gute Gelegenheit, der nationalen Regierung einen Denkzettel zu verpassen? Oder schlicht kein Interesse an der Europawahl? Zumindest für die Wähler in Deutschland trifft nichts davon zu. Das zeigt ein Blick auf Daten der Vorwahlumfrage, die infratest dimap im Auftrag der ARD durchgeführt hat.

69 Prozent der Befragten bekunden diesmal großes Interesse an der Europawahl - deutlich mehr als bei der vorangegangenen Wahl 2014. Und für eine klare Mehrheit von ihnen geht es bei der Wahl auch nicht um die deutsche Politik, sondern schlicht um das, wofür die Wahl eigentlich da ist: die Mehrheitsverhältnisse im Europaparlament und damit die künftige Ausrichtung der Politik in Europa.

Die Spitzenkandidaten sind keine Zugpferde

Anders als bei einer Bundestagswahl spielen in Europa die Spitzenkandidaten allerdings kaum eine Rolle. Für die Konservativen ist das der Deutsche Manfred Weber von der CSU, für die Sozialdemokraten der Niederländer Frans Timmermans.

Doch beide sind den Wählern - trotz diverser TV-Auftritte - nicht wirklich bekannt. Auf die Frage, wen sie als EU-Kommissionspräsident bevorzugen würden, sagen 15 Prozent Weber und 14 Prozent Timmermans. Zwei Drittel geben hingegen an, das gar nicht beurteilen zu können. Die Hoffnung, dass das 2014 eingeführte Spitzenkandidatenprinzip der Europawahl einen Schub geben würde, scheint sich also nur bedingt zu erfüllen

Bei Zukunftsfragen führen Grüne und Union

Es sind eher die Themen, die wahlentscheidend sind. Wie sich schon im ARD-EuropaTrend abgezeichnet hatte, sticht hier eines heraus: der Klima- und Umweltschutz. Er wird von 48 Prozent als wichtigstes Thema genannt - 28 Prozentpunkte mehr als 2014. Das ist den Grünen zugute gekommen, denen hier - wenig überraschend - eine besondere Kompetenz zugesprochen wird.

Die Grünen sind aber auch eine der beiden Parteien, denen zugetraut wird, die besten Antworten auf Zukunftsfragen zu geben. 18 Prozent trauen das am ehesten der Union zu, 17 Prozent den Grünen. Zur Wahrheit gehört hier aber auch, dass 37 Prozent der Deutschen beim Blick auf die Zukunftsfragen ausgesprochen pessimistisch sind und keiner Partei zutrauen, hier gute Antworten zu geben.

Ausgesprochen positiv ist hingegen das Bild, das die Deutschen derzeit grundsätzlich von der EU haben: Durch sie wird Europa sicherer, die EU-Mitgliedschaft ist gut für die wirtschaftliche Lage, die EU bietet besonderen Schutz in Krisenzeiten - diesen Aussagen stimmen jeweils knapp 80 Prozent zu. Der Aussage, die EU ist nötig, um gegen andere Großmächte bestehen zu können, sogar 90 Prozent.

USA für viele kein vertrauenswürdiger Partner

Interessant hierbei: Alle drei Großmächte - China, Russland, USA - werden kritisch gesehen, vor allem aber die USA, die ja eigentlich ein Verbündeter sind. Mehr als drei Viertel der Deutschen sagen, die USA sind derzeit kein vertrauenswürdiger Partner für die EU.

Und sollten die EU-Länder in Zukunft stärker gemeinsame Politik machen? Die Haltung der Deutschen dazu ist klar: 81 Prozent sind für gemeinsames Handeln statt nationale Alleingänge - elf Prozentpunkte mehr als bei der Wahl vor fünf Jahren.

AfD-Anhänger skeptisch - aber nicht generell ablehnend

Interessant ist hier auch ein Blick auf die Anhänger der einzelnen Parteien. Erwartungsgemäß sind die Anhänger der Grünen besonders Europa-affin, wohingegen die AfD klar das Sammelbecken der EU-Skeptiker ist. Doch deren Haltung zur EU ist durchaus nicht so eindeutig negativ wie mitunter dargestellt.

Bei vielen Fragen präsentieren sich die AfD-Anhänger regelrecht gespalten - in zwei ähnlich große Lager. So sehen etwa 42 Prozent die EU als Garant für Sicherheit, 52 Prozent sind gegenteiliger Meinung. 52 Prozent der AfD-Anhänger sagen, die EU kann besser als einzelne Länder auf globale Probleme reagieren, 46 Prozent sehen das genau andersrum.

"Denkzettel für Berlin" nur von AfD-Anhängern

Die AfD-Anhänger sind auch die einzigen, die in ihrem Kreuz bei der Europawahl mehrheitlich einen Denkzettel für die Bundesregierung sehen und nicht ein Votum über die Zusammensetzung des Europaparlaments. 62 Prozent von ihnen bejahen eine entsprechende Frage. Bei allen anderen Parteien sind es nur zwischen neun und 15 Prozent, lediglich bei Anhängern der Linkspartei sind es mit 35 Prozent mehr - aber eben keine Mehrheit wie bei der AfD.

Auch beim Thema Brexit sind die AfD-Anhänger der einzige "Ausreißer": 48 Prozent von ihnen sagen, es sei gut, dass die Briten aus der EU austreten. Bei allen anderen Parteien sind es nur zwischen fünf und zwölf Prozent.

Dem Beispiel Großbritanniens folgen wollen aber auch die AfD-Anhänger mehrheitlich nicht. Innerhalb der AfD wird darüber durchaus ernsthaft diskutiert. Von den Deutschen hält nur eine verschwindende Minderheit von sechs Prozent einen "Dexit" für eine gute Idee. Und selbst bei den AfD-Anhängern sind nur 29 Prozent für einen Austritt Deutschlands aus der EU.

Mehrheit für Distanzierung von FPÖ

Und wie sehen die Deutschen die Vorgänge rund um die rechtspopulistische FPÖ im Nachbarland Österreich? 93 Prozent finden es gut, dass die Machenschaften des inzwischen zurückgetretenen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache aufgedeckt wurden. Das sehen selbst drei Viertel der Anhänger der AfD so - also der Partei, die so etwas wie das deutsche Pendant der FPÖ ist. Von der FPÖ distanzieren wollen sich die AfD-Anhänger aber mehrheitlich nicht - was wiederum nur eine Minderheit der Deutschen gut findet.

Persönlich eher Vorteile durch die EU

Bleibt noch die Frage, wie die Deutschen Europa ganz persönlich sehen? Eine ganz klare Mehrheit von 68 Prozent geht davon aus, dass ihnen die EU eher Vorteile bringt. Nur eine Minderheit von 17 Prozent sieht für sich persönlich eher Nachteile, elf Prozent sagen: "hält sich die Waage". Auch hier sind die AfD-Anhänger der einzige "Ausreißer". Nur bei ihnen sieht eine Mehrheit für sich persönlich eher Nachteile.

Von "Europamüdigkeit" kann in Deutschland also keine Rede sein. Und auch in allen anderen EU-Staaten - mit Ausnahme des derzeit von zwei Populistenparteien regierten Italiens - sieht eine Mehrheit eher Vor- als Nachteile durch die EU-Mitgliedschaft. Diese "Europaeuphorie" macht sich auch bei der Wahlbeteiligung bemerkbar: Sie dürfte diesmal laut ersten Zahlen vom Abend in Deutschland rund um die 60 Prozent-Marke liegen - und damit deutlich über den 48,1 Prozent vom letzten Mal.