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Desinformation zu Giftgas in Syrien Abstreiten, behindern, verwirren

Stand: 09.04.2020 16:10 Uhr

Syrien und Russland weisen immer wieder Vorwürfe zum Einsatz von Giftgas durch das syrische Militär zurück und behindern Untersuchungen. Doch die Hinweise und Belege für solche Attacken sind vielfältig.

Die Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) hat die syrische Regierung am Mittwoch für Chemiewaffenangriffe im März 2017 verantwortlich gemacht.

Nach Einschätzung der internationalen Ermittler gebe es hinreichende Gründe für die Annahme, dass die Täter, die in der seinerzeit von Rebellen kontrollierten Stadt Al-Lataminah am 24. und 30. März 2017 Sarin und am 25. März 2017 Chlorgas als Chemiewaffen einsetzten, zur syrischen Luftwaffe gehörten. Bei den Ermittlungen wurden unter anderem Interviews mit Zeugen geführt, Proben von den Angriffsorten ausgewertet und Satellitenbilder geprüft.

Arbeit behindert

Die Täter seien mutmaßlich Mitglieder der syrischen Luftwaffe gewesen, für die Annahme gebe es hinreichende Gründe, sagte der Koordinator des Ermittlungsteams, Santiago Oñate-Laborde. OPCW-Generaldirektor Fernando Arias sagte, es obliege nun den Vereinten Nationen und der internationalen Gemeinschaft als Ganzem, weitere Schritte zu unternehmen.

In dem Bericht hieß es zudem, die Behörden in Damaskus hätten eine Kooperation wiederholt verweigert. Die Versuche, die Arbeit der OPCW zu behindern, sind tatsächlich seit Jahren vielfältig. So hat es zahlreiche Einsätze von Giftgas gegeben - die UN machen Syrien für die meisten verantwortlich. Das Assad-Regime und Russland streiten dies jedoch ab - und gehen dabei oft nach einem bestimmten Muster vor.

Leugnen

Zunächst wurde der Einsatz von Giftgas oft einfach abgestritten. Stattdessen war beispielsweise davon die Rede, es habe sich um einen Sandsturm gehandelt. Deswegen seien Menschen mit Atemproblemen in Krankenhäuser gekommen. Eine weitere Behauptung war mehrfach, die Opfer von solchen Angriffen seien Schauspieler gewesen oder Kinder seien gezwungen worden, Symptome vorzutäuschen.

Nach einem Giftgaseinsatz in Duma erklärte Russlands Außenminister Sergej Lawrow, russische Experten hätten in Duma "keinerlei Spuren" von Giftgas gefunden. Dies seien "Fake News".

Ablenken

Wurden die Belege für den Einsatz von Giftgas aber zu eindeutig und vielfältig, beschuldigten Russland und Syrien entweder islamistische Rebellen oder andere Gruppen, für das jeweilige Verbrechen verantwortlich zu sein.

Die Frage, warum Rebellen Gebiete angreifen sollten, die sie zu diesem Zeitpunkt selbst kontrollierten, wurde mit Verschwörungstheorien über "False-Flag-Operation" beantwortet. So sollen oppositionelle Kämpfer selbst Giftgas eingesetzt haben, um diese Angriffe dann dem Assad-Regime vorwerfen zu können. Solche Legenden wurden immer weiter entwickelt. Im russischen Staatsfernsehen zeigte die Hauptnachrichtensendung sogar Ausschnitte aus einem syrischen Spielfilm als vermeintlichen Beleg dafür, dass Rebellen in Syrien Kriegsverbrechen inszenierten.

Russland behauptete außerdem, nachgewiesenes Giftgas stamme aus angeblichen Fabriken von Rebellen. So habe ein syrischer Kampfjet angeblich ein Chemiewaffen-Lager der Rebellen getroffen, hieß es 2017. ARD-Korrespondent Volker Schwenck erklärte damals, warum diese Version zweifelhaft sei.

Volker Schwenck, ARD Kairo, über Untersuchungen zum Giftgasangriff

tagesschau24 15:00 Uhr

Aufklärung behindern

Russland hat auf diplomatischer und politischer Ebene immer wieder massiv die Aufklärung behindert - sei es durch Vetos im UN-Sicherheitsrat oder dem pauschalen Anzweifeln von UN-Berichten.

Kam es schließlich aber doch zu einer Fact-Finding-Mission, wurde auch die Aufklärung vor Ort immer wieder massiv behindert, so beispielsweise nach dem Giftgasangriff in Duma - oder auch bei der jüngsten OPCW-Untersuchung.

OPCW sollte erstmals Schuldigen benennen

Der nun vorgelegte Bericht ist zudem der erste, der auch Schuldige benennen soll. Doch geht beispielsweise der russische Staatssender RT auf den Inhalt des Berichts kaum ein, sondern stellt die Glaubwürdigkeit der gesamten OPCW in Frage. Dies war auch schon im Fall Skripal geschehen. Hintergrund der russischen Vorwürfe gegen die OPCW sind von "WikiLeaks" veröffentlichte Dokumente, die belegen sollen, dass bei einer Untersuchung zu Duma unsauber gearbeitet worden sei.

Was RT in seinem Bericht nicht erwähnt: Die UN gehen davon aus, dass das syrische Militär zahlreiche Giftgasangriffe durchgeführt hat. Die vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzte Unabhängige Internationale Untersuchungskommission für Syrien hat zwischen 2013 und Ende 2017 mehr als 30 Chemie-Attacken in Syrien dokumentiert. Mindestens 25 davon seien durch das syrische Militär ausgeführt worden, bei den restlichen seien die Verantwortlichen nicht klar. Auch Menschenrechtsorganisationen wie Humans Right Watch warfen Syrien vor, Giftgas eingesetzt zu haben. Journalisten legten ebenfalls zahlreiche Indizien und Augenzeugenberichte zu solchen Attacken vor.

Kampagne zur Desinformation

Die Versuche, den Einsatz von Giftgas in Syrien zu verschleiern, sind wohl die größte Kampagne zur Desinformation der vergangenen Jahre. Belege und Fakten sollen in einem Wust von Gegenvorwürfen und unbelegten Behauptungen untergehen. Klar ist aber, dass zahlreiche starke Indizien und Belege für den Einsatz von Giftgas durch das syrische Militär vorliegen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 09. April 2020 um 14:00 Uhr in den Nachrichten.