Kritik an Visa-Plänen der EU-Kommission "Auf dem Balkan droht eine neue Spaltung"

Stand: 14.07.2009 17:08 Uhr

Die EU-Kommission will Serben, Montenegriner und Mazedonier visafrei einreisen lassen. Diese Erleichterungen sollen nicht für Menschen aus Bosnien-Herzegowina, Albanien und dem Kosovo gelten. Die Vorsitzende der Grünen im Europa-Parlament, Rebecca Harms, kritisiert die geplante Regelung im tagesschau.de-Interview heftig.

tagesschau.de: Frau Harms, was halten Sie von der geplanten Visa-Regelung?

Rebecca Harms: Ich halte diese Entscheidung für falsch. Das liefe auf eine neue Spaltung der Bürger auf dem Balkan hinaus. Meine Fraktion ist der Auffassung, dass es sich insbesondere um eine Benachteiligung von bosnischen Muslimen gegenüber den Bürgern, die in Bosnien auch einen serbischen Pass haben, handelt. Das ist sehr gefährlich. Damit diskriminiert man im Grunde die bosnischen Opfer von Srebrenica einmal mehr.  

tagesschau.de: Ein Argument der EU-Kommission ist doch, dass die Länder technisch noch nicht weit genug seien, mit einer Visa-Freiheit umzugehen.

Zur Person

Rebecca Harms ist Vorsitzende der Grünen im Europa-Parlament. Die gelernte Landschaftsgärtnerin kommt aus der Anti-Atomkraft-Bewegung und drehte in den 80er-Jahren als Filmemacherin mehrere TV-Dokumentationen.

Harms: Zumindest für Bosnien und Herzegowina kann ich sagen: Die sind technisch, also auch in der Erhebung biometrischer Daten für Reisepässe, gleichauf mit Serbien. Es gibt für mich daher keine nachvollziehbaren Gründe, sie zu benachteiligen.

Aufgabe für Parlamentspräsident Buzek

tagesschau.de: Vielleicht hat es auch etwas damit zu tun, dass in Bosnien Muslime leben...

Harms: Ich will das gar nicht weiter interpretieren. Ich halte den Plan für falsch und das Europäische Parlament muss sich gegenüber der Europäischen Kommission durchsetzen. Die Kommission hat einen technokratisch-bürokratischen Ansatz gewählt, das klingt auch in den Begründungen durch. Der zieht aber nicht.

tagesschau.de: Faktisch können Sie der EU-Kommission nicht in den Arm fallen. Wie wollen Sie sie denn beeinflussen?

Harms: Ich denke, dass das eine der ersten Aufgaben ist, der wir uns im neuen EU-Parlament stellen müssen. Balkan-Politik muss Priorität haben. Mit dem neuen Parlamentspräsidenten Jerzy Buzek, der aus Polen stammt, glaube ich, haben wir auch jemanden, der das ganz schnell zum Thema machen wird.

Gleichbehandlung für bosnische Muslime

tagesschau.de: Sagen die geplanten Visa-Regeln - und die Tatsache, dass sich außer den Grünen keiner im EU-Parlament darüber aufregt - eigentlich etwas über die Beitritts-Chancen der beteiligten Staaten zur EU aus?

Harms: Diese Diskussion führt zu weit. Das Europäische Parlament soll gegen die Benachteiligung - gerade der bosnischen Muslime - vorgehen und für eine Gleichbehandlung bürgen.

Das Interview führte Christian Radler, tagesschau.de