Hände halten ukrainische Geldscheine.

Ukraine auf Korruptionsindex "Korruption auf fast jeder Ebene"

Stand: 24.06.2022 08:51 Uhr

Bestechung zieht sich in der Ukraine durch viele Bereiche - nur ein Land in Europa ist noch korrupter. Die Aussicht auf einen EU-Beitritt könnte ein Ansporn sein, sich zu verbessern.

Von Rebecca Barth, WDR, zzt. in Kiew

Die Ukraine ist fast das korrupteste Land Europas. Zumindest nach dem Korruptionsindex von Transparency International. Dort belegt sie Platz 122 von 180. Nur in einem Land auf dem europäischen Kontinent sieht es in Sachen Korruption noch schlechter aus - in Russland.

Das sei ein Problem, das den Ukrainerinnen und Ukrainern schmerzlich bewusst sei, berichtet Maxim. "Es ist keine Raketenwissenschaft, dass wir Korruption in großem Ausmaß haben. Der Unterschied zwischen der Europäischen Union und der Ukraine ist, dass Korruption fast auf jeder Ebene der Regierung vorkommt, von den kleinen Leuten bis hin zum potenziellen Premierminister."

Maxim ist ein junger Mann aus Kiew, der zurzeit Drohnen und Hilfsgüter für die Armee besorgt. Viele seiner Freunde sind in der humanitären Hilfe tätig. Mit einer speziellen Genehmigung dürfen so auch Männer das Land kurzzeitig verlassen. An der Grenze machten Maxim und seine Freunde eine unangenehme Erfahrung: "Das Auto unserer Freunde wurde an der Grenze angehalten. Einige der Grenzbeamten verlangten Geld für die Einreise. Aber der Fall wurde schnell geklärt, die ukrainische Polizei ist gekommen und hat die Grenzer verhaftet."

Korruption in fast allen Lebensbereichen

Grenzbeamte, die Bestechungsgelder fordern, humanitäre Hilfsgüter, die verkauft werden - es sind Geschichten, die seit Kriegsbeginn in der Ukraine kursieren. Sie sind nur schwer zu verifizieren. Aber in einem Land, in dem sich Korruption durch fast alle Lebensbereiche zieht, erscheinen sie vielen Menschen glaubhaft.

Dass Polizisten eingreifen und handeln, deutet bereits auf Verbesserungen hin. Anton Martschuk vom Antikorruptionszentrum erklärt: "Wir machen Fortschritte, vielleicht nicht so schnell, wie wir uns das alle wünschen, aber es zeigt, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen."

So können Pässe und Dokumente nun online beantragt werden. Weniger physischer Kontakt mit Mitarbeitern auf dem Amt bedeutet auch weniger Möglichkeiten, Bestechungsgelder zahlen zu müssen. Das Gesundheitssystem wurde reformiert, sodass Patienten für eine Überweisung nicht mehr zahlen müssen. Und gleich mehrere Institutionen wurden ins Leben gerufen, um die Korruption einzudämmen. Kritiker bezeichnen sie jedoch als ineffizient.

"Durchschnittliches EU-Niveau" als Ziel

Martschuk sagt: "Wir haben die Möglichkeit, mehr zu tun, damit die Korruption das durchschnittliche EU-Niveau erreicht. Das können wir schaffen, vor allem jetzt, wo wir ein klares Ziel haben, das wir vorher nicht hatten. Jetzt haben wir die Aussicht, in Zukunft Mitglied der EU zu werden."

Nicht wenige europäische Länder zeigen sich da pessimistischer. Ein Bericht des dänischen Außenministeriums unterstellte Kiew gar einen Mangel an Willen zur Korruptionsbekämpfung, berichtet die "Süddeutsche Zeitung". Derart harsche Kritik hört man seit Kriegsbeginn in der Ukraine nicht mehr. Und auch die Daten von Transparency International zeigen: In der Ukraine hat sich in den vergangenen acht Jahren etwas verbessert.

Das merkt auch Maxim: "Vor 2014 war es furchtbar. Auf der Fahrt von Kiew nach Charkiw bist du immer von der Polizei angehalten worden und die haben nach Geld gefragt. Das ist nicht mehr so."

Als vor neun Jahren Massenproteste auf dem Maidan in Kiew begannen, war die Korruptionsbekämpfung eine der zentralen Forderungen der Bewegung. Seitdem kämpfen viele Menschen einen teilweise frustrierenden Kampf gegen das tief verwurzelte System. Eine aufmerksame Zivilgesellschaft ist entstanden. Sie ist bereit, den langen Weg Richtung EU-Mitgliedschaft auf sich zu nehmen.

Rebecca Barth, WDR, zzt. Kiew, 24.06.2022 00:21 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten am 24. Juni 2022 das ARD-Morgenmagazin um 07:39 Uhr und BR24 um 11:50 Uhr.