Weitere Proteste in Tunesien Wut auf das alte Regime lässt nicht nach

Stand: 23.01.2011 15:33 Uhr

Der Druck auf die Übergangsregierung in Tunesien hält an: Trotz neuer Maßnahmen forderten erneut Hunderte den Rücktritt jener Regierungsmitglieder, die dem alten Regime angehört hatten. Die Polizei ging derweil gegen Gefolgsleute des gestürzten Präsidenten vor. Und die Zensur wurde abgeschafft.

Viele Tunesier trauen dem Versprechen nach demokratischer Reformen der Übergangsregierung auch weiterhin nicht. Auch am Sonntag gingen wieder Bürger aus Protest auf die Straßen. In der Nähe des Büros des Ministerpräsidenten in der Hauptstadt Tunis forderten hunderte Demonstranten alle Mitglieder des alten Regimes zum Rücktritt auf.

Dabei hielten einige Fotos von Mohamed Bouazizi in die Höhe, der mit seiner Selbstverbrennung die Unruhen in Tunesien und schließlich den Sturz von Präsident Zine El Abidine Ben Ali ausgelöst hatte. Die Teilnehmer der Protestaktion kamen aus Ortschaften wie Sidi Bouzid, wo sich Bouazizi in Brand gesetzt hatte.

Polizei geht gegen Gefolgsleute Ben Alis vor

Inzwischen geht die Polizei gegen Verbündete des gestürzten Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali vor. Einem Bericht der amtlichen Nachrichtenagentur TAP zufolge wurde der frühere Senatspräsident Abdallah Kallel ebenso unter Hausarrest gesetzt wie Ben Alis Berater Abdelaziz Ben Dhia. Nach einem dritten Gefolgsmann werde noch gesucht. Des weiteren wurde berichtet, dass der Eigentümer eines der größten Privatsender festgenommen wurde. Larbi Nasra werde "Landesverrat und Verschwörung gegen die Sicherheit des Staates" vorgeworfen, berichtete TAP. Nasra gehört der einflussreiche Fernsehsender Hannibal. Er soll versucht haben, die Stimmung in einer Weise zu beeinflussen, die eine Rückkehr Ben Alis ermöglichen könnte. Zeitgleich mit der Festnahme wurde der Fernsehsender abgeschaltet.

Die Polizei hatte während des Umsturzes eine zwiespältige Rolle gespielt, anders als die Armee, die von Anbeginn auf der Seite der Bevölkerung gestanden hatte. In den vergangenen Tagen mischten sich zahlreiche Polizisten unter die Demonstranten, um sich mit ihnen zu solidarisieren. Mindestens 2000 Polizeibeamte versammelten sich am Samstag unweit des Innenministeriums, das bei vielen Tunesiern einst als Symbol der Schreckensherrschaft des gestürzten Präsidenten galt. Sie forderten die Schaffung einer Gewerkschaft, bessere Bezahlung sowie den Rücktritt aller Regierungsmitglieder aus Ben Alis Partei.

Unabhängige Kommission untersucht Übergriffe

Eine unabhängige Untersuchungskommission wurde damit beauftragt, die Rolle der Sicherheitskräfte bei den gewaltsamen Übergriffen auf Demonstranten zu untersuchen, bei denen zahlreiche Menschen getötet wurden.

"Wir werden der Frage nachgehen, wer die Erlaubnis für den Einsatz der Schusswaffen gab", sagte der Chef der Untersuchungskommission, Taoufik Bouderbala. In einzelnen Fällen sei offenbar gezielt auf Köpfe und Oberkörper der Menschen geschossen worden. Es gehe jetzt darum zu prüfen, warum mit Waffen gegen Menschen vorgegangen worden sei, die unbewaffnet Brot und Freiheit gefordert hätten.

Nach Angaben des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, Navi Pillay, wurden bei dem Aufstand 117 Menschen getötet, 70 durch Schüsse mit scharfer Munition. Tunesiens Innenminister Ahmed Friaa gab die Zahl der Toten mit 78 an.

Medienzensur abgeschafft

Die Behörden in Tunesien gaben zudem bekannt, dass künftig auf eine Zensur importierter Bücher, Filme und anderer Publikationen verzichtet werde. Für die Einfuhr von Büchern, Zeitschriften, Filmen, CD-Roms und anderer elektronischer Medien sei keine vorherige Erlaubnis mehr nötig, teilte die Zollbehörde nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur TAP mit.

Nach dem Sturz von Ben Ali vor gut einer Woche hatte die daraufhin gebildete Übergangsregierung den Tunesiern vollständige Informationsfreiheit zugesagt. Das Kommunikationsministerium, das unter Ben Ali für Medienzensur und Propaganda zuständig war, wurde abgeschafft.

Clinton fordert zügige Reformen

US-Außenministerin Hillary Clinton forderte die tunesische Führung zu zügigen ökonomischen und politischen Reformen auf. Einer ihrer Sprecher sagte am Samstag, Clinton habe bei einem Telefonat mit dem tunesischen Ministerpräsidenten Mohammed Ghannouchi ihre Unterstützung für weitere Reformen ausgedrückt und US-Hilfe bei der Verwandlung des Landes in eine Demokratie angeboten.

Auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton hatte bereits Hilfe der Europäischen Union beim Übergang zur Demokratie angeboten. Die EU arbeite an konkreten Maßnahmen, die Tunesien helfen sollten, eine Demokratie aufzubauen und die sozialen Probleme zu lindern. "Dazu gehören die Unterstützung von Wahlen, finanzielle Zusammenarbeit und die Förderung einer unabhängigen Justiz", sagte Ashton der "Welt am Sonntag".