Griechische Grenzpolizisten

Syrien-Konflikt Erdogan verkündet Grenzöffnung zur EU

Stand: 29.02.2020 11:35 Uhr

Der türkische Präsident Erdogan hat angekündigt, Flüchtlinge nicht mehr am Eintritt in die EU zu hindern. Zehntausende Menschen seien auf dem Weg. Im Grenzgebiet zu Griechenland kam es zu weiteren Ausschreitungen mit der Polizei.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will ungeachtet der Vereinbarungen mit der EU Flüchtlinge die Grenzen zu Griechenland und Bulgarien passieren lassen. "Wir haben die Tore geöffnet", sagte Erdogan. Er warf der EU vor, sich nicht an die Zusagen im Flüchtlingspakt gehalten zu haben. Laut Erdogan sind seit Freitag bereits 18.000 Flüchtlinge an die türkischen Grenzen zur EU gekommen.

Eskalation nach Luftangriff

Im Land leben etwa 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien. Hunderttausende weitere Menschen versuchen wegen der Eskalation in der nordsyrischen Provinz Idlib in die Türkei zu fliehen. Erdogan hatte 2016 mit der EU vereinbart, Migranten verstärkt davon abzuhalten, nach Europa zu kommen, doch inzwischen wächst der Druck.

Bereits am Freitag hatte ein ranghoher türkischer Regierungsvertreter gesagt, die Türkei werde ihre Grenzen für Flüchtlinge, "die nach Europa wollen", nicht länger schließen. Griechische Polizisten und Tausende Flüchtlinge liefern sich seitdem an der griechisch-türkischen Grenze heftige Auseinandersetzungen. Laut Augenzeugenberichten setzte die Polizei auch heute wieder Tränengas und Blendgranaten gegen die Flüchtlinge ein, die sich am Grenzübergang Pazarkule in der westtürkischen Provinz Edirne versammelt hatten. Einige von ihnen bewarfen die Beamte mit Steinen.

Migranten werfen Steine auf griechische Grenzpolizisten. Sie haben Barrikaden in Brand gesetzt.

An der Grenze zu Griechenland lieferten sich Migranten und die griechische Polizei schwere Auseinandersetzungen.

Griechenland will Grenze verstärkt schützen

Nach einem Telefonat mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu teilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell noch auf Twitter mit, die EU habe von der Türkei eine "Zusicherung" erhalten, dass Ankara seine Verpflichtungen einhalten wolle.

Der griechische Verteidigungsminister Nikos Panagiotopoulos wirft dem Nachbarland jedoch vor, seit Freitag massiv Migranten zur Grenze kommen zu lassen. Er kündigte an, das Gebiet weiter verstärkt zu überwachen und illegale Einreisen in die EU zu verbieten. "Die ganze Nacht durch haben die Sicherheitskräfte illegale Grenzübertritte verhindert", sagte der Minister. Es gab mehrere Festnahmen von Migranten.

Nach Angaben von Handelsschifffahrtsminister Ioannis Plakiotakis wurden auch die Kontrollen der Meerengen zwischen den griechischen Inseln im Osten der Ägäis und der türkischen Ägäisküste verstärkt. Regierungssprecher Stelios Petsas sagte, in den vergangenen 24 Stunden hätten die griechischen Behörden 4000 Personen gezählt, die versucht hätten, über die Grenze zu gelangen.

Türkei verkündet Zerstörung von Chemiewaffenanlage

Nach dem Tod von mindestens 33 türkischen Soldaten bei einem Luftangriff in der nordsyrischen Provinz Idlib am Donnerstag hatte die Türkei die NATO um Unterstützung gebeten, blitzte damit aber ab. Die NATO-Staaten stellen Luftraumüberwachung über Syrien, spielen aber ansonsten keine Rolle in dem Konflikt. Sie sind zutiefst gespalten über das Vorgehen der Türkei in Syrien. Insbesondere europäische Länder befürchten, dass die Türkei sich deswegen nicht mehr an seinen Teil des Flüchtlingspakts zwischen der EU und der Türkei halten könnte.

Nach dem Angriff hatte die Türkei mit Vergeltungsschlägen gedroht. Ankara macht die von Russland unterstützten syrischen Regierungstruppen dafür verantwortlich. Russland streitet jede Verantwortung ab. Syrien könne es "auf die harte Tour lernen", sagte der türkische UN-Botschafter Feridun Hadi Sinirlioglu in einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats am Freitag. Ihm zufolge wurden bei dem Angriff 34 Soldaten getötet.

Nach eigenen Angaben zerstörten türkische Truppen in der Nacht eine Anlage für den Bau von Chemiewaffen in Syrien. Diese sowie eine "große Zahl" anderer Ziele der Regierung von Präsident Baschar al-Assad seien zerstört worden, sagte ein türkischer Regierungsvertreter. Die Anlage habe sich 13 Kilometer südlich von Aleppo befunden. Von syrischer Seite gibt es dafür keine Bestätigung.

Guterres ruft zum Waffenstillstand auf

Idlib ist das letzte große Rebellengebiet in dem Bürgerkriegsland. Die Türkei unterstützt in dem Konflikt islamistische Rebellen. Mit Russland als Schutzmacht der syrischen Regierung hatte sie ein Abkommen getroffen, um in Idlib eine Deeskalationszone einzurichten, und hatte dort Beobachtungsposten eingerichtet. Eigentlich gilt auch eine Waffenruhe. In den vergangenen Wochen waren Truppen der syrischen Regierung mit russischer Unterstützung weiter in dem Gebiet vorgerückt.

UN-Generalsekretär António Guterres rief erneut zu einem sofortigen Waffenstillstand in der Region auf. Diese müsse umgesetzt werden, "bevor die Situation komplett außer Kontrolle gerät", sagte Guterres. Der UN-Sicherheitsrat unterstützte die Forderung bei einer Dringlichkeitssitzung - mit Ausnahme des Syrien-Verbündeten Russland und Chinas.

Bundesregierung gab 27 Millionen Euro für Nothilfe in Idlib

Die Bundesregierung hat seit Beginn der Offensive in der syrischen Provinz Idlib Anfang Dezember 27 Millionen Euro zusätzlich für die notleidenden Menschen der Region bereitgestellt. Davon flossen rund 15 Millionen in einen Hilfsfonds der Vereinten Nationen und weitere zwölf Millionen an Hilfsorganisationen für Gesundheits- und Wasserversorgung, Hygiene, Nahrungsmittel, Unterkünfte oder Schutzmaßnahmen. Das geht aus einer Antwort des Auswärtigen Amts auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Franziska Brantner hevor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Weitere 25 Millionen Euro für das Flüchtlingshilfswerk UNHCR der Vereinten Nationen seien bereits angekündigt worden, heißt es darin. Hinzu kämen 50 Millionen Euro, mit denen die Bundesregierung seit Jahresanfang landesweite Projekte des Welternährungsprogramms unterstütze, die auch Idlib erreichten. Weitere acht Millionen Euro seien Ende 2019 für die Gesundheitsvorsorge in der Provinz zur Verfügung gestellt worden.

Putin und Erdogan wollen "Spannungen reduzieren"

Nach Angaben des russischen Außenministeriums wollen Russland und die Türkei darauf hinarbeiten, die Spannungen in der Region zu reduzieren. Das sei das Ergebnis von Gesprächen der Vertreter beider Länder auf Ebene der Außen- und der Verteidigungsministerien.

Vereinbart worden seien auch ein besserer Schutz sowie humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung innerhalb und außerhalb der Deeskalationszone in der Provinz Idlib. Ziel seien eine Stabilisierung der Lage und die Einhaltung der zwischen Russland und der Türkei für Syrien getroffenen Vereinbarungen.

Zugleich hätten beide Länder aber die Notwendigkeit betont, "den Kampf gegen vom UN-Sicherheitsrat als solche eingestufte Terroristen" fortzusetzen, hieß es aus Moskau weiter. Russland bezeichnet in der Regel alle Gegner des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad als Terroristen. Die Türkei unterstützt hingegen die Opposition in Syrien.

Der russische Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Kollege Erdogan wollen sich außerdem kommende Woche in Moskau zu Krisengesprächen wegen der Lage in Idlib treffen. Am Freitag hatten die beiden Staatschefs miteinander telefoniert. Erdogan sagte seinem russischen Kollegen nach eigenen Angaben: "Was macht Ihr dort? Wenn Ihr einen Stützpunkt aufbauen wollt, bitte, aber geht uns aus dem Weg. Lasst uns mit dem (syrischen) Regime allein." Erdogan drohte Syrien, dass es den "Preis zahlen" werde für den Tod der türkischen Soldaten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 29. Februar 2020 um 11:25 Uhr.