UN-Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien Die mühsame Aufarbeitung des Völkermords

Stand: 11.07.2015 04:19 Uhr

Wegen des Massakers in Srebrenica wurden vor dem UN-Tribunal bislang 20 Männer angeklagt. Zum Team der Staatsanwälte gehört auch eine Deutsche, die das Verfahren gegen Ex-Serbenführer Karadzic leitet - und nun Bilanz der juristischen Aufarbeitung zieht.

Von Ludger Kazmierczak, Den Haag

Hildegard Uertz-Retzlaff hatte ihre Arbeit am Jugoslawien-Tribunal gerade erst begonnen, da geschah das Unvorstellbare: Srebrenica - der erste Völkermord in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. "Ich war schockiert, weil ich dachte, dass dieses Gericht da ist, um so etwas zu verhindern. Zumindest stellte man sich vor, dass es Abschreckung bringen würde. Ich wäre am liebsten wieder weggegangen: Ich soll hier viel arbeiten, und es bringt so wenig? Dass ich es irgendwann wirklich mit Karadzic zu tun haben würde, habe ich da natürlich nicht gedacht."

Seit nunmehr sechs Jahren leitet die Bochumer Staatsanwältin das Völkermord-Verfahren gegen den einstigen politischen Kopf der bosnischen Serben. Im Dezember wird das Urteil erwartet. Alles andere als eine lebenslange Haftstrafe wäre eine Überraschung für die einzige deutsche Anklägerin in Den Haag. "Ich denke, wir haben ziemlich überzeugende Beweismittel vorgelegt", sagt sie.

Elf bosnisch-serbische Offiziere verurteilt

161 Personen klagte das UN-Tribunal seit Anfang der 1990er-Jahre an, darunter 20 wegen ihrer Beteiligung am Massenmord an der muslimischen Bevölkerung von Srebrenica im Juli 1995. Elf ehemalige bosnisch-serbische Offiziere wurden deshalb zu fünf bis 35 Jahren Gefängnis verurteilt.

Erst vor wenigen Monaten bestätigte die Berufungskammer die lebenslangen Haftstrafen für Lubisa Beara und den ehemaligen Sicherheitschef des berüchtigten Drina-Korps, Vujadin Popovic. Der prominenteste Angeklagte hingegen hat sein Urteil nicht mehr erlebt: Slobodan Milosevic.

Er starb 2006 nach vier zähen Prozessjahren in seiner Zelle im UN-Gefängnis von Scheveningen an einem Herzinfarkt - wohl auch deshalb, weil er die ihm verordneten Medikamente über lange Zeit bewusst falsch eingenommen hatte. "Der Mann hatte aus meiner Sicht ein Ziel: nicht verurteilt zu werden. Dafür hat er selbst seine Gesundheit riskiert. Das konnte man ja erkennen", sagt Uertz-Retzlaff.

Kritik am Fall Milosevic zurückgewiesen

Im Fall Milosevic wurde von vielen Seiten die Kritik geäußert, das Verfahren sei mit Vorwürfen geradezu überfrachtet gewesen. Doch Uertz-Retzlaff hält bis heute nichts davon, sich in großen Prozessen einen schwerwiegenden Anklagepunkt herauszusuchen, um damit schneller ein Urteil herbeizuführen. "Die Amerikaner machen das, wie wir im Saddam-Hussein-Verfahren gesehen haben. Da wird ein kleiner Komplex herausgegriffen. Der Mann wird verurteilt und auch sofort hingerichtet. Aber das bringt doch keinen Rechtsfrieden für die Bevölkerungen."

Der Freispruch des ehemaligen Offiziers Momcilo Perisic durch die Berufungskammer war eine bittere Niederlage für die Anklagebehörde. In erster Instanz hatte das Urteil noch 27 Jahre Haft gelautet.

"Von diesem Tribunal überzeugt"

Alles in allem aber zieht Uertz-Retzlaff eine positive Bilanz: "Ich bin überzeugt davon, dass dieses Tribunal über die 20 Jahre hinweg gut gearbeitet hat. Es gab Rückschläge - aber wir haben 161 Leute angeklagt. Da ist niemand mehr auf der Flucht. Die wurden entweder verurteilt oder freigesprochen. Verschiedene sind auch verstorben. Und es sind nur noch vier Verfahren in der Hauptverhandlung."

Sobald das Urteil gegen den einstigen Armeechef Ratko Mladic verkündet wird, kann das Jugoslawien-Tribunal im schicken Haager Statenkwartier seine Tore schließen. Für Hildegard Uertz-Retzlaff ist schon früher Schluss. Gleich nach dem Karadzic-Urteil geht sie in den Ruhestand - nach mehr als 20 Jahren im Auftrag der Gerechtigkeit.

Ludger Kazmierczak, Ludger Kazmierczak, ARD-Hörfunkstudio Den Haag, 11.07.2015 00:48 Uhr