Nach Erhöhung der Warnstufe EU befürchtet Grippe-Tote

Stand: 30.04.2009 16:09 Uhr

Die EU rechnet mit Schweinegrippe-Toten auch in Europa. Nicht ob, sondern wie viele sei die Frage. Weil nach Ansicht der WHO ein globaler Ausbruch der Infektion bevorsteht, rief sie die zweithöchste Pandemie-Warnstufe 5 aus. In Mexiko ordnete die Regierung die Schließung von Unternehmen an.

Die EU-Kommission rechnet mit Todesopfern durch die Schweinegrippe auch in Europa. "Menschen werden dadurch sterben, es ist nicht die Frage, ob Menschen sterben werden, sondern wie viele", sagte der EU-Generaldirektor für Gesundheit, Robert Madelin, der Nachrichtenagentur Reuters. "Werden es Hunderte, Tausende oder Zehntausende sein", fragte der EU-Beamte.

Zugleich bemühte sich die Kommission um Beruhigung: "Wir kennen nicht das Ausmaß der Pandemie. Aber Europa ist besser vorbereitet als jemals zuvor", sagte Madelin. Ein Impfstoff könne innerhalb von 100 Tagen in Europa zur Verfügung stehen.

15 Infizierte in Europa

In der EU gibt es derzeit 15 bestätigte Infektionen. Laut dem Europäischen Zentrum für Krankheitskontrolle und Prävention (ECDC) sind in Großbritannien fünf, in Österreich ein und in Deutschland drei Menschen erkrankt. Alle Betroffenen seien vor ihrer Erkrankung in Mexiko gewesen. Widersprüchliche Angaben gibt es über die Zahl der Erkrankten in Spanien. Während die EU von vier Fällen spricht, nennt Spanien zehn Fälle. Die Schweiz meldete ihren ersten Schweinegrippe-Patienten, ebenso die Niederlande, wo ein dreijähriges Mädchen nach einem Mexiko-Aufenthalt erkrankt ist.

Auch mehrere Staaten außerhalb der EU bestätigten erste Infektionsfälle. In Israel sind zwei Menschen erkrankt. In Kanada erhöhte sich die Zahl der bestätigten Infektionen auf 19 und in Neuseeland reduzierte sie sich um einen Fall auf 13.

EU-Sondersitzung in Luxemburg

Die Gesundheitsminister der 27 EU-Mitgliedstaaten sind in Luxemburg zu einem Sondertreffen zusammengekommen, um über eine gemeinsame Vorgehensweise bei der Bekämpfung der Schweinegrippe zu beraten. Unter anderem soll diskutiert werden, welche Vorkehrungen die EU treffen kann, um das Ausweiten der Krankheit zu vermeiden.

Zudem soll die bessere Überwachung Thema sein, sowie die Diagnose und Behandlung der Krankheit. Die Minister wollen nach Angaben von Diplomaten auch über eine EU-weite Reisewarnung sprechen. Frankreich plant einen Vorstoß, Flüge nach Mexiko sofort zu stoppen.

WHO erhöht Warnstufe

Am Abend hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO wegen der sich ausbreitenden Schweinegrippe das Pandemierisiko auf die zweithöchste Stufe 5 angehoben. Damit geht die WHO davon aus, dass die weltweite Ausbreitung des mutierten Schweinegrippevirus A/H1N1 unmittelbar bevorsteht.

WHO-Generaldirektorin Margaret Chan appellierte an internationale Organisationen wie die Weltbank sowie an die Pharmaindustrie und die Forschung, alle Kapazitäten bereitzustellen, um eine Pandemie zu vermeiden.

In Phase 5 steht fest, dass das Virus in mindestens zwei Ländern eines Kontinents von Mensch zu Mensch übertragen wird. Zudem ruft die WHO dadurch zur verstärkten Produktion von Grippemitteln und weiteren Vorsorgemaßnahmen etwa im Gesundheitswesen auf.

Erst am Montag war die seit 2005 wegen der Vogelgrippe geltende Stufe 3 auf 4 heraufgesetzt worden. Bei der höchsten Stufe 6 wird von einer Pandemie - also einer weltweiten Ausbreitung des Virus ausgegangen.

Virus auf US-Militärbasis

Trotz mittlerweile 91 Krankheitsfällen will US-Präsident Barack Obama die Grenze zu Mexiko nicht schließen. Dies wäre, als würde man die Stalltür schließen, wenn die Pferde schon getürmt seien, sagte er. Die US-Streitkräfte meldeten den ersten Krankheitsfall auf einer Militärbasis. Ein Marineinfanterist auf dem Stützpunkt 29 Palms in Kalifornien habe sich infiziert, teilte der Kommandeur des Marinecorps, Janes Conway, mit. 30 seiner Kameraden, die mit ihm Kontakt hatten, seien wie er unter Quarantäne gestellt worden. Gestern war in Texas ein aus Mexiko eingereistes Kleinkind an den Folgen der Krankheit gestorben.

Mexikos Betriebe bleiben geschlossen

In Mexiko erlag ein weiterer Patient dem Erreger. Damit stieg die Zahl der Opfer in dem Land auf acht. Laut Gesundheitsminister José Ángel Córdova stieg auch die Zahl der Infizierten von 42 auf 91. Die mehr als 1300 Verdachtsfälle würden weiterhin stationär behandelt.

Córdova ordnete Schließung aller Unternehmen bis zum 4. Mai an, deren Waren oder Dienstleistungen für die Versorgung der Allgemeinheit nicht unbedingt nötig sind. Zugleich kündigte er an, dass zur Eindämmung der Epidemie die gesamte Verwaltung auf Bundesebene über die Maifeiertage geschlossen bleiben soll und forderte die Bundesstaaten und Städte auf, sich der Maßnahme anzuschließen.

Auch alle 176 Fußballspiele der höchsten vier Ligen werden am bevorstehenden Wochenende unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragen.

Ekuador macht Grenzen für Reisende dicht

Ekuador will vorerst keine ausländischen Reisenden aus Mexiko mehr ins Land lassen. Die Maßnahme soll vorerst einen Monat gelten. Auch Charterflüge von und nach Mexiko wurden gestrichen. Einheimische Reisende sollen verschärft beobachtet werden. Auch Peru strich alle Flüge nach dem Bekanntwerden eines ersten Grippefalls. Zuvor hatten bereits Kuba und Argentinien den Flugverkehr mit dem mittelamerikanischen Land ausgesetzt.

Woher der Name "Schweinegrippe" kommt

Der als Schweinegrippe-Virus bezeichnete Erreger aus Mexiko ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine neu entstandene Variante des Typs H1N1, der sowohl bei Menschen als auch bei Schweinen und Vögeln vorkommen kann. Außerdem gilt das Schwein als "mixing vessel" - als Überträger, in dem sich Grippeviren, die auf verschiedene Wirte spezialisiert sind, gleich gut vermehren und auch mischen können. Wenn Schweine an Grippe erkranken, kann der Erreger sehr leicht auf Menschen übertragen werden. Aus diesen Gründen hatte sich schnell der Name "Schweinegrippe" etabliert. Weil der neue Erreger zunächst nicht bei Schweinen nachgewiesen wurde, schlug die WHO vor, die wissenschaftliche Bezeichnung "Influenza A (H1N1)" zu verwenden. Zuvor hatten bereits die EU und die USA für eine Umbenennung plädiert: Die Bezeichnung suggeriere, dass es sich um eine Lebensmittelinfektion handele. Bislang hat sich noch kein Mensch nachweislich bei einem Schwein angesteckt. Überhaupt wurde der Erreger mittlerweile nur bei einigen Tieren in Kanada und Argentinien festgestellt. Eine andere Lösung brachte die Weltorganisation für Tiergesundheit ins Spiel: Ihrer Ansicht nach sollte die Krankheit nach den Herkunftsländern Mexiko, USA und Kanada "Nordamerikanische Grippe" heißen. Die EU und das Robert-Koch-Institut in Berlin sprechen dagegen von einer "Neuen Grippe". Wir verwenden weiterhin den Begriff "Schweinegrippe", da er sich auch im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt hat.