Truppenabzug aus Syrien Putin verschafft sich neue Optionen

Stand: 19.03.2016 04:55 Uhr

Der russische Teilabzug aus Syrien kam überraschend, wenngleich vieles für diese Entscheidung spricht. Nicht zuletzt braucht die russische Armee bei sinkendem Budget Spielraum für Einsätze anderswo, so etwa an der Grenze zu Afghanistan.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Russlands Ziele in Syrien seien erreicht, so die Begründung von Präsident Wladimir Putin für den Teilrückzug russischer Streitkräfte. Vieles spricht für diese Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt. Nicht nur erhöht sie den Druck auf Syriens Präsident Bashar al Assad, bei den Genfer Friedensgesprächen Kompromisse einzugehen.

Die russische Armee verbessert auch ihr Ansehen. Für den sechsmonatigen Einsatz kann sie eine fast makellose Bilanz vorweisen, anders als im Georgien-Krieg 2008. Damals hätten die russischen Luftstreitkräfte in nur wenigen Tagen sieben Kampfjets verloren, diesmal nur einen, konstatiert der russische Militärexperte Ruslan Puchow und verweist in einem Report auf die Umstrukturierung und die Modernisierung der Streitkräfte seit 2008.

Eine offizielle Fortführung des Einsatzes an der Seite Assads würde auf eine langwierige Stützung des Regimes der alawitischen Minderheit gegen eine Mehrheit der Sunniten hinauslaufen. Russland würde nicht nur tiefer in den nahöstlichen Machtkonflikt hineingezogen, sondern womöglich auch in eine Konfrontation mit saudi-arabischen und türkischen Truppen in Syrien.

So aber werden Kräfte und Mittel frei, die Russland angesichts der Ölkrise in begrenzterem Maße als in den vergangenen Jahren zur Verfügung stehen. Der Verteidigungshaushalt soll um fünf Prozent gekürzt werden.

Dabei ist die Modernisierung der Streitkräfte noch nicht abgeschlossen, wie Puchow feststellt. Zugleich ist Russland umgeben von Konflikt- und Problemfeldern, die sich wie eine Kette entlang seiner Außengrenzen aneinander reihen - angefangen von der Ostukraine, über den Kaukasus bis nach Zentralasien.

Militärmanöver an der afghanischen Grenze

Wie wichtig der Militärführung Zentralasien ist, kann daran bemessen werden, dass der Umbau der Streitkräfte anfangs vor allem auf diese Region ausgerichtet war, wie russische Experten übereinstimmend sagen.

Eine der größten Truppenpräsenzen außerhalb der eigenen Grenzen unterhält die russische Armee in Tadschikistan, dem südlichsten der zentralasiatischen Staaten mit einer mehr als 1300 Kilometer langen Grenze zu Afghanistan. Dort sind an zwei Standorten mehr als 6000 Soldaten stationiert, bis 2020 sollen es 9000 sein. Um die Einheiten mobiler zu machen, wurden sie in den vergangenen Monaten umstrukturiert.

Zurzeit nehmen 2000 russische Soldaten und 50.000 tadschikische Soldaten an einem der häufig abgehaltenen Manöver teil. Diesmal sind auch zwei strategische Bomber und weitere Flugzeuge von einer russischen Militärbasis in Kirgistan beteiligt. Trainiert wird die Abwehr einer Invasion islamistischer Gruppen aus Afghanistan.

Erst vergangene Woche zeigte sich, wie realistisch das Szenario ist: Eine Gruppe bewaffneter Kämpfer versuchte die Grenze nach Tadschikistan zu überwinden und schoss auf Grenzschützer, wie das Staatliche Sicherheitskomitee in Tadschikistan mitteilte. Es bezeichnete die Angreifer als "Terroristen", anders als die Drogenschmuggler, die sonst dort aufgegriffen werden.

Stabilität in Tadschikistan in Gefahr

Das mögliche Eindringen islamistischer Kämpfer ist eine Sorge, die Beobachter im Falle Tadschikistans umtreibt. Eine zweite Gefahr besteht in einer innenpolitischen Destabilisierung, hervorgerufen durch die Politik von Präsident Emomali Rahmon.

Im Herbst wurde die einzige Oppositionskraft von Bedeutung, die Partei der Islamischen Wiedergeburt, verboten. Damit bricht Rahmon einen Kompromiss zwischen den Interessengruppen im Land. Dieser hatte seit dem Ende eines Bürgerkrieges 1997 für Stabilität gesorgt.

Zugleich versucht die Regierung, einen von ihr gelenkten Islam durchzusetzen. Sie treibe damit gemäßigte Gläubige und junge Menschen in die Radikalität, warnt Deirdre Tynan von der Organisation International Crisis Group in einem Bericht: "Rahmons autoritäres Regime ist eine genauso große Gefahr für das Land wie eventuelle Angriffe aus Afghanistan."

Zwar gebe es nur wenige islamische Extremisten in Tadschikistan. Doch seien sie ein "beachtliches potenzielles Risiko", da sie sich mit Gleichgesinnten in Afghanistan verbünden könnten. Mit dem voranschreitenden Abzug der ISAF aus Afghanistan breiten sich islamistische Milizen, darunter der "Islamische Staat" dort stärker aus. Die Taliban nahmen im Herbst kurzzeitig die Stadt Kundus ein. Sie liegt keine 200 Kilometer südlich der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe.

Verhandlungen mit den Taliban?

Parallel zu den militärischen Aktivitäten sendet die russische Regierung politische Signale nach Afghanistan. Ende Dezember erklärte der russische Sonderbeauftragte für Afghanistan, Samir Kabulow, man habe Kommunikationskanäle zu den Taliban eingerichtet, um Informationen auszutauschen. Die Interessen Russlands und der Taliban würden sich hinsichtlich der Bekämpfung des "Islamischen Staates" überschneiden. Zudem sprach Kabulow von möglichen Waffenlieferungen.

Man solle diese Aussagen nicht überbewerten, sagt der Asien-Experte Alexej Malaschenko von der Carnegie-Stiftung in Moskau. Doch erkennt er zwei Absichten hinter diesen Aussagen: Zum einen sei die russische Regierung an Kontakten zu den Taliban interessiert, da moderate Vertreter künftig an einer Regierung in Kabul beteiligt werden könnten.

Zum anderen könne es sich um ein Signal an die USA handeln, nach dem Motto: Was ihr könnt, können wir auch. Denn auch die USA bemühen sich derzeit mit Pakistan und China um Friedensverhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban.