Das Wrack der Passagiermaschine der Malaysia Airlines, das über der Ukraine am 17. Juli 2014 abgestürzt ist.

Anklagen nach MH17-Abschuss Russland findet Ermittlungen "einseitig"

Stand: 19.06.2019 17:42 Uhr

Russland hält die Mordanklagen und Haftbefehle rund um den Abschuss der Passagiermaschine MH17 für einseitig. Recherchen der Zeitung "Nowaja Gaseta" widersprechen jedoch dem Kreml.

Russland reagiert schnell auf die Mordanklagen und die damit verbundenen Haftbefehle im Fall des Abschusses der Passagiermaschine des Fluges MH17. Die Ermittlungen seien einseitig verlaufen. Russland habe keine Möglichkeit gehabt, daran teilzunehmen, so Kremlsprecher Dmitri Peskow. Dabei hatte ausgerechnet Russland mit seinem Veto im UN-Sicherheitsrat die Einrichtung eines Sondertribunals der Vereinten Nationen blockiert.

Auch die pro-russischen Separatisten in der Ostukraine melden sich zu Wort. Russland habe nichts mit dem Abschuss zu tun. Technisch sei es gar nicht möglich gewesen, das BUK-System, mit dem die Passagiermaschine abgeschossen wurde, in die Ostukraine zu bringen, behauptet der Vize-Regierungschef der selbsternannten Volksrepublik Donezk Purgin. Die Ukraine sei für den Abschuss verantwortlich.

Rekonstruktion der Vorgänge

Unabhängige Rechercheteams haben längst den Transport des BUK-Raketensystems von Russland in die Ostukraine und zurück nahezu lückenlos rekonstruiert. Der kremlkritischen russischen Zeitung "Nowaja Gaseta" liegen zudem nach eigenen Angaben Einsatzpläne aus dem Verteidigungsministerium vor, die belegen, dass wenige Tage vor dem Abschuss russische Soldaten aus dem nahe gelegenen Kursk mitsamt Militärtechnik direkt an die ukrainische Grenze verlegt wurden – darunter auch das betreffende BUK-Raketensystem.

Brennende Trümmer einer Boeing 777 der Malaysia Airlines liegen nahe Donezk in der östlichen Ukraine

Die brennenden Trümmer der Boeing 777 nach dem Absturz nahe Donezk in der östlichen Ukraine.

Pawel Kanygin, Reporter der "Nowaja Gaseta", fragt: "Am 15. Juli, zwei Tage vor der Katastrophe, bekamen sie Verpflegungsrationen, die für fünf Tage ausreichten. Wo gingen sie anschließend hin? Wo waren sie in den fünf Tagen?" Dazu fehlten Dokumente.

Doch es lägen Beweise dafür vor, dass das Raketensystem zwei Tage später im Donbass in der Ostukraine auftauchte. "Wenn man zwei Tatsachen hat, kann man dazwischen schon eine Verbindung ziehen", schlussfolgert Kanygin. Er ist Sonderkorrespondent bei der "Nowaja Gaseta", hat in den fünf Jahren seit dem Abschuss der MH17 zu dem Fall recherchiert und sieht große Übereinstimmungen zwischen seinen Ergebnissen und denen der internationalen Ermittler.

Keine öffentliche Kritik

In den Reihen des russischen Militärs und auch der Regierung gebe es mittlerweile Personen, denen die russische Abwehr beziehungsweise ihre Blockadehaltung in dem Fall aufstoße. "Unter den russischen Militärangehörigen oder den Personen, die Militärbehörden nahe stehen, wie etwa in der Regierung, gibt es viele Menschen, denen es nicht gefällt, in welche Sackgasse unser Staat geraten ist", sagt Kanygin. Sie äußerten ihre Meinung auf unterschiedliche Art und Weise, allerdings nicht öffentlich.

Für den Kreml sei es besonders unangenehm, wenn brisante Details zum Abschuss der MH17 in russischen Medien veröffentlicht würden. Enthüllungen aus dem Ausland könne man leichter als antirussische Propaganda abtun.

Kanygin selbst geht jedoch nicht davon aus, dass es sich um einen absichtlichen Abschuss gehandelt habe. "Unter den Befehlshabern und Feldkommandeuren der 'Volksrepublik' gab es sehr viele Ex-Militärangehörige, viele Ex-Offiziere. Aber ich denke, da war niemand, der sich mit dem BUK-System auskannte. Zumindest zu dem betreffenden Zeitpunkt des Abschusses", sagt er. Deshalb habe das BUK-Raketensystem die russisch-ukrainische Grenze inklusive einer Besatzung überquert.

Wichtige Informationen zur Wahrheitsfindung fehlen

298 Menschen starben am 17. Juli 2014. Sollte die russische Führung darauf spekuliert haben, dies würde mit der Zeit in Vergessenheit geraten, habe sie sich verkalkuliert, so der Journalist. Mit jedem Tag wird laut Kanygin die Beweislast erdrückender.

"Wir sind bereit, alle Informationen, die uns zugänglich sind, an die Ermittler weiterzugeben. Natürlich wäre es für uns von Interesse, auch von ihnen Informationen zu erhalten", sagt er. So gesehen sei es die wichtigste Sache, nun die Wahrheit herauszufinden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 19. Juni 2019 um 19:08 Uhr.