Reporter ohne Grenzen zur Pressefreiheit Es geht bergab in der Türkei

Stand: 20.04.2016 08:17 Uhr

Nachrichtensperren, Prozesse wegen Beleidigung, Überfälle auf Redaktionen: Es ist schwer für kritische Journalisten in der Türkei. Laut Regierung herrscht Pressefreiheit. Doch Reporter ohne Grenzen sieht das anders und kommt zu dem Schluss: Es wird noch schlimmer.

Von Reinhard Baumgarten, ARD-Studio Istanbul

Um die Pressefreiheit des EU-Beitrittskandidaten Türkei steht es nicht gut. Zu dieser Einschätzung kommt die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen. "Die Türkei ist binnen Jahresfrist weiter abgestiegen, von Platz 149 auf Platz 151", erklärt Christian Mihr, Geschäftsführer der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen.

Als einen Grund nennt er die autoritären Tendenzen in der Türkei, die man schon lange beobachte, und die sich noch mal verschärft hätten. "Das sind die juristische Verfolgung von Journalisten in der Türkei unter anderem aufgrund von Artikel 299 des türkischen Strafgesetzbuches, der für die Beleidung des Präsidenten ja mehrjährige Gefängnisstrafen vorsieht", so Mihr.

Rechtsbeugung und Beleidungsparagraf

Vor wenigen Tagen erst hatte das EU-Parlament die Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei in ihrem jährlichen Fortschrittsbericht zu dem EU-Beitrittskandidaten scharf kritisiert. Ankara wies die Kritik zurück. Präsident Recep Tayyip Erdogan und Regierungschef Ahmet Davutoglu betonen immer wieder, in ihrem Land herrschten Presse- und Meinungsfreiheit.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen kommt laut Mihr zu einer anderen Einschätzung: Es gebe zum einen die Beugung des Rechts - dass die Türkei natürlich eine Verfassung hat, die Presse- und Meinungsfreiheit garantiere, "aber gleichzeitig auch Paragrafen wie den Beleidigungsparagrafen, der Terrorismusvorwürfe letztlich am Ende missbraucht".

Journalisten wegen Präsidenten-Beleidigung verurteilt

Wiederholt seien Nachrichtensperren verhängt, Redaktionen überfallen oder unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt worden. Ausländische Reporter seien festgenommen und kritische Journalisten mit Klagen überzogen worden. Im vergangenen Jahr wurden laut Mihr 19 Journalisten und zwei Karikaturisten wegen Beleidigung des Präsidenten zu Haft- oder Geldstrafen verurteilt.

Diese Zahl könnte dieses Jahr deutlich steigen, denn gegenwärtig laufen in der Türkei Anzeigen gegen mehr als 1800 Personen wegen mutmaßlicher Präsidenten-Beleidigung. Viele Journalisten übten aufgrund drohender Strafverfolgung verstärkt Selbstzensur. Als Beispiele nennt Mihr Berichte über mögliche Korruption mit Beteiligung der Regierungspartei AKP und den Kurdenkonflikt.

"Das spielt eine ganz große Rolle bei der Beurteilung, weil jene Journalisten, die mit dem Terrorismusparagrafen überzogen werden, ganz oft auch Journalisten sind, die über den Kurdenkonflikt im Südosten der Türkei berichten - und allein die Berichterstattung über dieses Thema oft schon als Terrorismus ausgelegt wird."

Viele mutmaßliche Verstöße fehlen noch im Bericht

Die Medienvielfalt, die Unabhängigkeit der Medien, die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die institutionelle Transparenz seien im vergangenen Jahr noch weiter eingeschränkt worden, erklärt Mihr weiter. Regierungskritische Fernsehsender der Koza-Ipek-Gruppe wurden unter Zwangsverwaltung gestellt. Die Quasi-Ausschaltung der auflagenstärksten Tageszeitung "Zaman" Anfang März diesen Jahres ist in die Bewertung für den neuen Bericht noch gar nicht eingeflossen, der sich mit der Entwicklung im Jahr 2015 beschäftigt.

Dieses Thema im Programm: Dieser Beitrag lief am 20. April 2016 um 06:22 Uhr im Deutschlandfunk.