Lamberto Zannier

Interview mit OSZE-Generalsekretär Zannier "Wir brauchen den Waffenstillstand"

Stand: 08.02.2015 14:32 Uhr

Die Lage in der Ostukraine könnte sich erheblich verschlechtern, wenn kein Waffenstillstand umgesetzt wird, warnt OSZE-Chef Zannier im tagesschau.de-Interview. Zudem könne sich der Konflikt internationalisieren, falls die Unterstützung für die Ukraine auf den militärischen Aspekt fokussiert werde.

Von Das Interview führte Silvia Stöber, tagesschau.de, zzt. in München

tagesschau.de: Was ist jetzt angesichts der angespannten Lage in der Ostukraine am nötigsten?

Lamberto Zannier: Es müssen alle Kanäle genutzt werden, um auf die beteiligten Seiten Druck auszuüben. Wir brauchen den Waffenstillstand, sonst wird sich die Lage womöglich in erheblichem Maße verschlechtern. Wir sind sehr besorgt.

Wenn die Ukraine Waffen erhält, gibt es das Risiko einer Internationalisierung des Konflikts. Ich sage nicht, dass die Ukraine nicht unterstützt werden sollte. Sie braucht starke Unterstützung und Solidarität der internationalen Gemeinschaft in jeder Hinsicht. Die Ukraine kann nicht allein mit so vielen grundlegenden Problemen gleichzeitig fertig werden. Aber ein Fokus auf den militärischen Aspekt hilft nicht.

tagesschau.de: Ist es nicht problematisch bei der Umsetzung des Waffenstillstandes, dass die Separatisten seit dem ersten Waffenstillstand im September die Frontlinie zu ihren Gunsten verschoben haben. Wie kann man eine Waffenstillstandslinie festlegen, ohne mit Gewalt erzielte Landgewinne anzuerkennen?

Zannier: Wenn man Waffen zurückzieht, zieht man sie von welcher Linie auch immer zurück. Man lässt sie einfach auf einen größeren Abstand zurückziehen. Mit etwas Kreativität kann man einen Weg finden. Letztlich kommt es auf Vertrauen in die Maßnahmen für den Waffenstillstand an. Wenn nicht, dann haben wir wirklich eine düstere Zukunft vor uns.

Separatisten erhalten immer neue Waffen

tagesschau.de: Stellt die OSZE Waffenlieferungen aus Russland in die Ostukraine fest?

Zannier: Wir konnten nicht beobachten, dass Waffen über die Grenze in die Ukraine kamen. Aber wir sehen, dass sehr viele Waffen dort sind. Werden die Waffen bei Kämpfen zerstört, werden sie immer wieder ersetzt.

Da wir auf der ukrainischen Seite sehr präsent sind, können wir sagen, dass von dort keine Waffen in das Separatistengebiet gelangen. Sie müssen also von der anderen Seite der Grenze kommen.

tagesschau.de: Wie viel Zugang hat die OSZE zur ukrainisch-russischen Grenze in den Gebieten, die die Separatisten kontrollieren?

Zannier: Wir haben die Grenze mehrfach erreicht, aber wir können dort nicht systematisch vorgehen. Es genügt nicht, immer mal wieder einen Blick auf die Grenze zu werfen, um festzustellen, ob es illegale Grenzübertritte von Menschen oder Material gibt. Deshalb können wir keine Aussage dazu machen.

tagesschau.de: Sie haben auch Beobachter auf der russischen Seite. Können sie dort frei arbeiten?

Zannier: Wir haben Beobachter an zwei Grenzübergangspunkten in Gebieten, die auf der ukrainischen Seite von Separatisten besetzt sind. Aber das Mandat dafür ist sehr eingeschränkt. Denn die Grenze, die nicht mehr von ukrainischen Grenzschützern kontrolliert wird, ist mehr als 400 Kilometer lang, und unsere Beobachter haben aber nur Überblick über wenige Kilometer. Es ist also eher ein politisches Signal Russlands, eine internationale Präsenz zu erlauben. Aber die Umsetzung und die Sicherheit darüber, dass nichts über die Grenze gelangt, ist nicht ausreichend.

tagesschau.de: Also braucht die OSZE ein stärkeres Mandat?

Zannier: Ja, das brauchen wir. Wir bräuchten weniger eine Ausweitung auf der russischen Seite der Grenze. Wichtiger ist ein Waffenstillstand, sodass wir Beobachter in der Ostukraine und auf der ukrainischen Seite platzieren können. Dann könnten wir die Grenze richtig kontrollieren. Dann wäre eine Präsenz in Russland nicht nötig.

tagesschau.de: Wäre es für die Umsetzung des Waffenstillstands besser, wenn die Beobachter bewaffnet wären?

Zannier: Ich sehe nicht die Notwendigkeit, dass die Mitarbeiter Waffen tragen müssen. In einem so weit entwickelten Konflikt würde auch eine Bewaffnung keinen Unterschied machen. Denn die übliche Bewaffnung von Friedensmissionen würde nicht ausreichen, falls es die Absicht eines Angriffs gäbe.

Fehlende Akzeptanz auf Seiten der Separatisten

tagesschau.de: Was würde den OSZE-Beobachtern vor Ort dann helfen, ihr Mandat besser umzusetzen?

Zannier: Es fehlt an Akzeptanz für unsere Rolle, vor allem auf Seiten der Separatisten, die ja auch schon einige OSZE-Mitarbeiter als Geiseln genommen hatten. Für mich ist die Sicherheit der Mitarbeiter essenziell. Natürlich ist Sicherheit eng verbunden mit Respekt für die Vereinbarungen. An dieser Stelle kommt die Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk ins Spiel. Wenn sie umgesetzt würden, dann könnten wir mehr Beobachter und mehr Technik vor Ort einsetzen.

tagesschau.de: Am OSZE-Sitz in Wien gibt es jede Woche eine Sitzung des ständigen OSZE-Rats. Dort beraten Vertreter aller Mitgliedsstaaten, darunter Russland und die USA, über die aktuellen Ereignisse. Wie ist die Stimmung dort?

Zannier: Die Stimmung im ständigen Rat der OSZE erinnert mich an die Atmosphäre während des Kalten Krieges. Sie ist sehr angespannt, es gibt permanent gegenseitige Vorwürfe, sehr unterschiedliche Interpretationen und ein sehr verschiedenes Verständnis der Ereignisse vor Ort. Deshalb müssen wir den Dialog intensivieren und stärker versuchen, einander zu verstehen. Dafür ist die OSZE da.

tagesschau.de: Spielt Russland eine konstruktive Rolle im Ostukraine-Konflikt?

Zannier: Russland hat in vielerlei Hinsicht kooperiert. Über das Mandat vor Ort haben wir einen Konsens gefunden. Wir haben außerdem Russen im OSZE-Beobachterteam, die sehr gut arbeiten. Ich schätze sehr, wie offen sie mir über die Lage vor Ort berichten. Das sind Elemente, auf denen wir aufbauen können. Aber wir brauchen mehr Initiativen auf höherer Ebene und die richtigen Signale von dort.

tagesschau.de: Bei der Sicherheitskonferenz in München war viel die Rede von einer Verbesserung der internationalen Sicherheitsarchitektur. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sieht die OSZE dabei in einer wichtigen Rolle. Hat die OSZE die Kapazität dafür, oder muss es Änderungen geben?

Zannier: Wir brauchen eine Agenda, die die Sichtweisen aller Mitglieder reflektiert. Russland erhebt den Vorwurf, der Westen wolle die OSZE in eine Menschenrechtsorganisation umwandeln. Die Menschenrechte sind fundamental für die OSZE, aber die OSZE kann dies nicht allein sein, denn sie bleibt eine Sicherheitsorganisation. Wir müssen mehr in diese Bereiche investieren.

Im Sicherheits- und Militärbereich, so bei der Waffenkontrolle, haben wir die Zugkraft verloren. Das müssen wir überdenken. Die Kontakte zwischen dem Militär der Mitgliedsländer waren während des Kalten Krieges weit über die Gräben in Europa hinweg entwickelt und entwickelten sich danach weiter. Jetzt verlieren wir das. Es ist wichtig, dass wir das wieder beleben.