Interview

Olympia-Berichterstattung "Es gibt Regeln, an die sich alle halten müssen"

Stand: 07.08.2008 11:48 Uhr

Bei einem Großereignis wie Olympia muss es auch für die Berichterstattung Regeln geben, an die sich alle halten müssen. Das sagt der ARD-Teamchef für den Hörfunk, Bleick, gegenüber tagesschau.de. Er sieht in den Olympischen Spielen aber auch eine Plattform, um auf Missstände aufmerksam zu machen.

Bei einem Großereignis wie Olympia muss es auch für die Berichterstattung Regeln geben, an die sich alle halten müssen. Das sagt der ARD-Teamchef für den Hörfunk, Bleick, gegenüber tagesschau.de. Er sieht in den Olympischen Spielen aber auch eine Plattform, um auf Missstände aufmerksam zu machen.

tagesschau.de: China steht derzeit in den westlichen Medien wegen Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit stark in der Kritik. Wie empfinden Sie die Bedingungen vor Ort?

Zur Person

Alexander Bleick ist als Team- chef des ARD-Hörfunkteams in Peking.

Seit 2001 leitet er im NDR-Hörfunk den Programmbereich Sport.

Seit 1987 ist Bleick regelmäßig bundesweit als Fußballreporter im Radio zu hören. Seitdem war er für die ARD bei drei Fußball-Welt-, vier Europameister- schaften und zehn Olympischen Spielen am Mikrofon, zum ersten Mal 1988 in Seoul.

Alexander Bleick: Wir müssen zwei Dinge unterscheiden: Die grundsätzlichen Bedingungen für den normalen Journalisten, der darauf angewiesen ist, vor Ort zu recherchieren, sind alles andere als ausreichend. Ein Beispiel: Unsere Kollegen waren beim Fußballspiel der deutschen Frauen in Shenyang. Sobald sie dort versuchten, den uns zugesagten W-LAN-Zugang zu nutzen und zu recherchieren, zum Beispiel eine Seite wie Google aufzurufen, stürzte das ganze System ab. Das heißt, der Computer wurde automatisch abgeschaltet und sie mussten sich komplett neu anmelden. Das geschah auch bei anderen Seiten wie tagesschau.de oder spiegel.de. Nach einem offiziellen Protest war das Problem dann allerdings innerhalb kurzer Zeit behoben.

Für uns hier im IBC in Peking sieht das Ganze besser aus, weil die ARD Vorsorge getroffen hat. Wir haben eine direkte Leitungsanbindung an den NDR in Hamburg. Darüber haben wir alle Recherchequellen zur Verfügung und können auch ungehindert alle Seiten im Internet aufrufen. Wir sind also nicht direkt von den Einschränkungen  betroffen, aber für viele andere Kollegen ist die Lage schwierig.

"Es ist nicht besser und nicht schlechter als sonst"

tagesschau.de: Wie sieht es denn bei der Recherche im Olympischen Dorf aus?

Bleick: Business as usual, würde ich sagen. Es ist nicht besser oder schlechter als bei vorangegangenen Olympischen Spielen. Bei Olympia gibt es Regeln, an die sich alle halten müssen. Über deren Sinn und Unsinn kann man im Einzelnen diskutieren, aber im Ergebnis führen sie dazu, dass ein solches Großereignis geordnet abläuft. Hier in Peking sind mehr als 20.000 Journalisten akkreditiert. Wenn alle ungehinderten Zugang zum Beispiel zum Olympischen Dorf und zu den Trainings-und Wettkampfstätten hätten, dann würde vermutlich das Chaos ausbrechen. Zumindest die Topstars hätten dann keine ruhige Minute mehr und würden vermutlich kein Auge zutun können. Daher sind gewisse Bereiche wie das Olympische Dorf gesperrt und Interviews grundsätzlich nur in dafür vorgesehenen Zonen möglich. In den Stadien gibt es ganz klar abgegrenzte Bereiche für Medien und Athleten und es gibt geregelte Abläufe bei Pressekonferenzen.

Das bedeutet, dass jeder Einzelne schon in seiner Möglichkeit eingeschränkt ist, mit den Athleten persönlich zu reden oder Hintergrundgespräche zu führen. Aber das ist vorher bekannt und jeder verpflichtet sich bei der Beantragung der Akkreditierung die Regeln einzuhalten. Ich denke, das wird beim G8-Gipfel nicht anders sein, auch da wird man nicht nach Lust und Laune die Bundeskanzlerin oder den US-Präsidenten interviewen können.

"Auch Aborigines nutzten Olympia für ihre Interessen"

tagesschau.de: Wie sehen Sie die Rahmenbedingungen im Vergleich zu anderen Spielen? Es ist ja viel darüber diskutiert worden, dass die Spiele an eine Parteiendiktatur vergeben worden sind. Nun hat ja auch Südkorea 1988 gerade erst angefangen, sich demokratisch zu entwickeln, und auch bei den Spielen von Atlanta, war es ja eher die "Diktatur der Marktwirtschaft", Stichwort "Coca-Cola-Spiele". Kann man sagen, dass Olympia schon immer so "schlimm" war wie heute?

Bleick: Sind Olympische Spiele "schlimm"? Ich glaube nicht. Olympische Spiele bieten wegen des großen öffentlichen Interesses eine Plattform, um auf Missstände in einem Land aufmerksam zu machen. Hätten die Proteste der Tibeter jemals ein solches weltweites Interesse hervorgerufen, wenn die Spiele in diesem Jahr in Madrid oder Rio de Janeiro stattfinden würden?

1988 sind in Seoul die Studenten auf die Straße gegangen und haben trotz brutaler Übergriffe durch Polizei und Militär vor den Augen der Welt  in Südkorea demokratische Reformen gefordert. 1996 in Atlanta haben Homosexuelle gegen ihre Diskriminierung in den amerikanischen Südstaaten demonstriert, vor acht Jahren in Sydney waren es die australischen Ureinwohner, die Aborigines. Sie alle haben Olympia für ihre Interessen nutzen können und das war gut so.

Unsere ständig in Peking arbeitenden Korrespondenten berichten, dass sie heute in China freier berichten können als noch vor zwei Jahren. Wenn dies auch nach den Spielen so bliebe, wäre das ein Erfolg.

"Niemanden nötigen, sich öffentlich zu äußern"

tagesschau.de: EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering hat nun die Sportler zum Engagement für Tibet aufgerufen, obwohl das IOC politische Äußerungen verbietet. Wäre das nicht eine ähnliche politische Instrumentalisierung wie diejenige der Spiele durch die KP China?

Bleick: Genauso wenig, wie man jemandem untersagen sollte, seine Meinung zu äußern, sollte man jemanden nötigen oder moralisch unter Druck setzen, öffentlich eine bestimmte Position einzunehmen. Ich glaube, dass wir alle besser damit fahren, wenn wir den Sportlern selbst überlassen, wozu, wofür oder wogegen sie sich äußern.

Gut ist auf jeden Fall, dass IOC-Präsident Jacques Rogge noch einmal bestätigt hat, dass kein Sportler Angst haben oder Sanktionen fürchten muss, wenn er seine Meinung in Pressekonferenzen, vor Kameras oder Mikrofonen äußert. Dort muss freie Meinungsäußerung erlaubt sein und darf keinerlei Restriktionen unterliegen. Das Verbot jeglicher Form von rassistischer oder politischer Meinungsäußerung gilt nur für die Sportstätten.

Die Fragen stellte Kristina Kaul, tagesschau.de