Kim Jong Un
Interview

Konflikt in Nordkorea "Die Bombe ist Kims Lebensversicherung"

Stand: 11.04.2017 17:23 Uhr

Die Unberechenbarkeit von US-Präsident Trump verschärft den Konflikt mit Nordkorea massiv, sagt ARD-Korrespondent Jürgen Hanefeld. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er, warum eine militärische Auseinandersetzung dennoch unwahrscheinlich ist.

tagesschau.de: Wie ernst ist die Drohung Nordkoreas mit "katastrophalen Konsequenzen" zu nehmen?

Jürgen Hanefeld: Sehr ernst. Sollten die Amerikaner Ziele in Nordkorea unter Beschuss nehmen, ist es sehr wahrscheinlich, dass Nordkorea entschieden zurückschlägt. Die Verlegung eines US-Flugzeugträgers vor die koreanische Halbinsel wird in Nordkorea als Vorstufe zu einer Invasion des Landes gesehen. Deshalb ist klar, dass das Land sich keinesfalls einschüchtern lassen will und bereits Gegenmaßnahmen gegen die "Provokationen" schon in der Schublade liegen hat. Und ich traue Diktator Kim Jong Un den Einsatz aller Waffenarten zu, wenn er verzweifelt ist.

"Mit der Bombe fühlt Kim sich sicher"

tagesschau.de: Heißt das, er könnte auch Atomwaffen einsetzen?

Hanefeld: Kim muss glaubhaft vermitteln, dass er dazu bereit ist - nur so funktioniert das Prinzip der Abschreckung. Allerdings hat er die Waffen nicht primär zum Angriff, sondern vielmehr zur Verteidigung. Er sieht die Atombombe als seine Lebensversicherung.

Er hat das Schicksal von Diktatoren wie Saddam Hussein im Irak oder Muammar al Gaddafi in Libyen gesehen und daraus für sich die Lehre gezogen: Wer keine Atomwaffen hat, kann jederzeit gestürzt werden. Davor will er sich hüten und treibt deshalb die entsprechenden Raketentests voran. Das ist das einzige Ziel. Er will kein anderes Land angreifen, sondern mit seinem Regime unangreifbar bleiben.

tagesschau.de: Wie schätzen Sie Kim Jong Un ein: Ist er ein unberechenbarer Diktator oder eher ein kalkulierender Machtmensch?

Hanefeld: Kim ist sehr berechnend. Er ist erst 33 Jahre alt - sollte sein Staat zerfallen und er fliehen müssen, wird er nirgendwo auf der Welt Asyl bekommen. Das heißt, er hat ein sehr großes Interesse daran, dass sein Land so lange wie möglich weiterbesteht. Und dazu braucht er auch die Atomwaffen - das ist die Logik dieses Diktators.

Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un beobachtet den Start einer Rakete

Kim Jong Un hat wiederholt Raketen getestet, die auch Atomsprengköpfe tragen können ...

China will deeskalieren

tagesschau.de: Wie wahrscheinlich ist es, dass Trump - nach Syrien - nun auch Ziele in Nordkorea, etwa eine Raktetenbasis beschießt?

Hanefeld: Trump weiß, dass die Konsequenzen für eine solche Aktion viel drastischer wären als in Syrien. Damit würden die USA einen ausgewachsenen Krieg in Asien riskieren. In diesen würde China - als wichtigster und einziger Verbündeter Nordkoreas - zwangsläufig mit hineingezogen. Deshalb halte ich eine solche Aktion für eher unwahrscheinlich.

Zudem versucht Peking bereits, hinter den Kulissen den Konflikt zu deeskalieren. Zum einen will China Nordkorea unbedingt am Leben erhalten, als Pufferzone gegen die USA - und das wissen die Amerikaner auch. Zum anderen will die Führung in Peking keinen Krieg direkt an den Grenzen des Landes. Eine Folge wäre, dass Millionen nordkoreanische Flüchtlinge wahrscheinlich nach China flüchten würden - was die Führung in Peking unbedingt verhindern will.

tagesschau.de: Welche Druckmittel hat China, um die Situation zu beruhigen?

Hanefeld: Peking macht gleichermaßen Druck auf die USA und Nordkorea - in beiden Fällen mit demselben Hebel: der Wirtschaft. Nordkorea ist komplett abhängig von China. 90 Prozent aller Energiequellen sind chinesisch, Peking könnte Kim Jong Un jederzeit sprichwörtlich den Stecker ziehen.

Die Einflussmöglichkeiten gegenüber den USA sind ebenfalls die Wirtschaftsbeziehungen. China ist einer der wichtigsten Handelspartner der USA und hält enorm viele US-Staatsanleihen. Diese Partnerschaft würde durch einen Stellvertreterkrieg stark gefährdet. Das wird Präsident Xi Jinping auch bei seinem Treffen mit Trump vergangene Woche deutlich gemacht haben.

"Trump verschärft Konflikt massiv"

tagesschau.de: Dennoch trägt das Verhalten der USA zur Eskalation bei.

Hanefeld: Das ist definitiv eine neue Qualität, weil lange kein so schweres Militärgerät mehr in die Region verlegt wurde. Der Grundkonflikt, den es seit 70 Jahren auf der koreanischen Halbinsel gibt, hat sich seit dem Auftreten Trumps massiv verschärft. Die Unberechenbarkeit und fehlende Strategie der USA machen sich hier deutlich bemerkbar. Dem Präsidenten muss klar sein, dass die Aktion von Nordkorea als massive Drohung wahrgenommen werden muss.

USS Carl Vinson

Die USS Carl Vinson kann über 80 Flugzeuge tragen - eine klare Drohung gegenüber Pjöngjang.

tagesschau.de: Wie sieht Südkorea Trumps Vorgehen?

Hanefeld: In Südkorea herrscht große Angst vor einem bewaffneten Konflikt - das Land stünde im Zentrum des Krieges. Wenn die USA Stellungen in Nordkorea beschießen, würde Pjöngjang als erste Antwort Südkorea angreifen. Ein Grund ist, dass der Norden nicht so stark gerüstet ist, dass man gegen die amerikanische Luftwaffe wirklich etwas ausrichten könnte.

Dazu kommt die geographische Nähe: Die Hauptstadt Seoul mit ihren zehn Millionen Einwohnern liegt nur 50 Kilometer von der nordkoreanischen Grenze entfernt. Diese Distanz kann selbst die nordkoreanische Armee mit einfacher Artillerie überbrücken - da bietet auch der neue Raketenschild keinen Schutz. Der Koreakrieg in den 1950er-Jahren hat etwa fünf Millionen Menschen das Leben gekostet. Das ist vielen hier noch in Erinnerung, und das wollen sie deshalb unbedingt vermeiden.

Das Interview führte Jürgen Hanefeld, NDR