Interview

Welternährungsgipfel in Rom "Die bisherige Entwicklungshilfe hat versagt"

Stand: 18.11.2009 02:34 Uhr

Ohne konkrete Zusagen ist der Welternährungsgipfel in Rom zu Ende gegangen. Es gibt weiter keine Strategien und Lösungen, um die wachsende Armut in Afrika zu bekämpfen. "Es war ein reiner Routinegipfel" sagt der Autor und Journalist Rupert Neudeck im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Welchen Stellenwert hat der Welternährungsgipfel für Sie?

Neudeck: Der Gipfel hat für mich nichts erreicht. Seit Jahrzehnten entwickelt sich die FAO - eine Agentur der UNO - in einen Honorationenclub und das setzt sich fort. Deshalb erwarte ich von so einer Gipfelkonferenz auch nichts mehr - und die vielen Hungernden in Afrika leider auch nicht.

Zur Person

Rupert Neudeck, geb. 1939 in Danzig, ist Journalist und Autor. Weltweit bekannt ist Neudeck aber für "Cap Anamur" und die Rettung tausender vietnamesischer Flüchtlinge aus dem Chinesischen Meer. "Cap Anamur" unterhält in Entwicklungsländern Kliniken und unterstützt vor allem Hilfsprojekte in Afrika. 2002 hat sich Neudeck von "Cap Anamur" verabschiedet. Kurze Zeit später gründete er den Verein "Grünhelme", mit dem er sich um den Wiederaufbau kriegszerstörter Häuser kümmert.

tagesschau.de: In Rom war kein Staats- und Regierungsvertreter der G8-Staaten anwesend, was ist das für ein Signal?

Neudeck: Die Vertreter der großen wirtschaftsmächtigen Staaten der Erde wussten genau, dass auf dieser Konferenz keine Taktiken und Strategien entwickelt werden, mit denen die weltweite Armut wirkungsvoll bekämpft werden kann. Ein drastisches Beispiel ist der Auftritt des Staatschefs von Simbabwe. Wer Robert Mugabe, der seine eigene Landwirtschaft zugrunde gewirtschaftet hat, die früher der "Brotkorb Afrikas" genannt wurde, auch noch einlädt, verhält sich einfach absurd.

tagesschau.de: Die Zahl der Hungernden ist in den vergangenen drei Jahren um 150 Millionen angestiegen. Wie kann der Prozess gestoppt werden?

Warten auf die Lebensmittel-Notration im Kongo

Warten auf die Lebensmittel-Notration im Kongo

Neudeck: Seit 50 Jahren wird versäumt, die kleinen Landwirte und Bauern zu unterstützen, die weiterhin die überwiegende Mehrheit dieser Bevölkerung Afrikas darstellen. Hilfe zur Selbsthilfe ist da gefragt. Das kann keine Welternährungsorganisation, das können keine milden Gaben leisten. Das können auf Dauer nur die unglaublich Tüchtigen, die in den eigenen Hungerländern arbeiten. Die stehen aber seit 50 Jahren überhaupt nicht im Focus der großen internationalen Politik.

tagesschau.de: Hat Ihrer Meinung nach die Entwicklungshilfe versagt?

Neudeck: "Das kann man für die letzten 50 Jahre, gerade was Afrika angeht, ganz eindeutig mit "Ja" beantworten. Es ist in Afrika nicht gelungen, gut ausgerüstete Staaten und Volkswirtschaften einzurichten. Die staatliche Entwicklungshilfe war bisher nicht erfolgreich, weil sie indirekt korrupte Systeme und Regierungen unterstützte. Erfolgreich dagegen waren ganz eindeutig die Kirchen, weil sie schon immer zuverlässige Partner vor Ort hatten und mit denen zusammengearbeitet haben. Diese Form von Hilfe und Unterstützung ist notwendig und wird es in der Gegenwart und Zukunft weiter bleiben. Ein positives Beispiel ist Südostasien: Dort gibt es inzwischen selbstständige, souveräne Staaten, die in der Lage sind, für die Ernährung, der eigenen Bevölkerung zu sorgen.

Wir reden heute nicht mehr von der dritten Welt. Es gibt nur noch den großen Sorgenkontinent Afrika. Und es wird höchste Zeit, dass die Weltgemeinschaft ihre Aufmerksamkeit auf diese größte Sorge richtet.

 

tagesschau.de: Braucht Afrika also noch mehr Geld?

Neudeck: Es gibt einen Aberglauben, der darin besteht zu glauben, wenn wir das Drei- oder Vierfache der Milliarden über Afrika ausschütten, sei dieses Problem gelöst. Das ist ein Irrtum. Es geht darum, dass wir mit den wenigen wertvollen Mitteln - auch des deutschen Steuerzahlers - etwas erreichen. Wofür ich plädiere, ist mehr Bescheidenheit. Wir müssen in der deutschen Entwicklungspolitik erkennen, dass wir nicht 53 afrikanische Länder allein mit Geldern unterstützen können. Wir müssen uns auf zwei oder drei Länder fokussieren und mit diesen Ländern Projekte entwickeln, die auch in unserer Gesellschaft für Furore sorgen. Dann würde es auch in Afrika in den nächsten zehn bis 15 Jahren ganz anders aussehen.

tagesschau.de: Sind wirtschaftliche Interessen deutscher Firmen förderlich für Projekte in der Entwicklungshilfe?

Neudeck: Das war immer so und das finde ich auch gar nicht schlecht. Die Staaten in Afrika brauchen einen Kontakt zur globalisierten Weltwirtschaft. Wichtiger als alle milden Gaben der Caritas und humanitären Hilfe ist es, dass Unternehmer aus Europa in Afrika investieren. Die wirtschaftliche Entwicklung und die wirtschaftliche Partnerschaft mit diesen Ländern ist auf Dauer viel wichtiger und erfolgreicher als alle humanitäre Hilfe.

tagesschau.de: Wo und mit welchen Projekten war die Entwicklungshilfe in den letzten Jahren erfolgreich?

Neudeck: Das muss man ganz klar unterscheiden. Die staatliche Entwicklungshilfe war bisher nicht erfolgreich, weil sie indirekt korrupte Systeme und Regierungen unterstützte. Erfolgreich dagegen waren ganz eindeutig die Kirchen.

tagesschau.de: Sie haben ja den "Bonner Aufruf" mit unterzeichnet, der sich kritisch mit der bisherigen Entwicklungspolitik befasst. Was sind die konkreten Forderungen?

Neudeck: Erstens müssen wir die Vergabe von Mikrokrediten schnellstens in Afrika vorantreiben. Die große Hoffnung ist, dass die Bundesregierung die Startfinanzierung stellt. Danach wird keine weitere Finanzierungshilfe mehr notwendig sein. Zweitens steht und fällt in Ländern dieser Erde immer alles mit einer guten Schul- und Berufsausbildung. Besonders in Entwicklungsländern muss man dafür die notwendigen Strukturen schaffen.

Weiter brauchen wir in Afrika große Infrastrukturprojekte, die mit Massenbeschäftigung umgesetzt werden. Seit der Kolonialzeit ist in Afrika keine große Eisenbahnlinie oder Straße gebaut worden. Doch die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes hängt wesentlich von der Verkehrsinfrastruktur und Energienutzung ab. Und dies ist auch der letzte Punkt: Afrika könnte seinen Bedarf an Energie durch die Förderung alternativer Energien selbst decken und zum Produzent alternativer Energien werden.

tagesschau.de: Was würden Sie dem neuen Entwicklungsminister Dirk Niebel mit auf den Weg geben für seine Tätigkeit im neuen Amt?

Neudeck: Bescheidenheit. Wir müssen wegkommen von der Vorstellung, dass es nur um Geld geht. Es geht genauso darum, andere Lebenskulturen mit großem Respekt und Anerkennung wahrzunehmen. Wir haben in der Vergangenheit - und da schließe ich mich ein - immer gemeint, wir müssen den Menschen dort zeigen, wo der Hammer hängt. Das ist auf Dauer total verkehrt.

Das Interview führte Ulrike Jonas.