Ein Helfer im Lager in Moria verteilt Atemmasken an Flüchtlingskinder.
Reportage

Corona-Gefahr im Camp Moria "Worauf wartet die EU?"

Stand: 03.04.2020 05:08 Uhr

Im heillos überfüllten Flüchtlingslager Moria könnte das Coronavirus verheerende Folgen für 20.000 Menschen haben. Doch die erhofften Evakuierungsmaßnahmen der EU lassen weiter auf sich warten.

Moria: Eine riesige Siedlung aus Containern, Wellblech-Hütten und Zelten, ausgebreitet über Hügel und OIivenhaine. Müll türmt sich in den Gassen, immer wieder kommt es zu Bränden. Unter Plastikplanen leben Tausende Familien mit Kindern, Menschen drängen sich auf engstem Raum. Auch auf Lesbos ist der Winter bitterkalt, und in Moria fehlt es nicht nur an Nahrungsmitteln, sondern auch an Decken, Heizung und Strom.

"Und natürlich haben die Leute hier Husten, Fieber, Durchfall", erklärt Peter Casaer von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, die am Rand des Camps eine Klinik betreibt. "Zu uns kommen Menschen, deren Gesundheit allein schon deshalb schwer angeschlagen ist, weil sie unter solchen Bedingungen leben müssen. Manche seit Monaten, manche eben sogar seit Jahren."

Ausgangssperre verschärft Panik

Das ehemalige Militärgefängnis von Moria sollte als so genannter EU-Hotspot einmal 3000 Geflüchteten Platz bieten - und das auch nur vorübergehend, bis ihre Asylanträge bearbeitet sind. Mittlerweile sitzen in Moria mehr als 20.000 Menschen fest, nun auch noch unter einer Ausgangssperre. Die schütze aber nicht vor Corona, sondern verschärfe nur die Panik im Camp, so Peter Casaer von Ärzte ohne Grenzen. Das Virus könne sich rasend schnell verbreiten.

Mehrere Hundert Menschen müssen sich eine Toilette teilen, eine Dusche. Auf einen Wasserhahn kommen mehr als tausend Personen. Menschen stehen dafür Schlange. Es ist unmöglich, da eine Covid-19-Übertragung zu verhindern. Die Leute fragen: Wo sollen wir denn Hände waschen? Wir müssen dafür zur anderen Seite des Camps laufen. Und womit sollen wir uns waschen, wenn wir nicht mal Seife haben? Die hygienischen Bedingungen sind hier so desaströs, dass wir schon lange vor Krankheiten warnen - aber es hat keiner zugehört.

EU-Innenkommissarin Ylva Johansson weist die Kritik zurück und erklärt, man sei wegen der Lage auf Lesbos und den anderen Ägäis-Inseln im ständigen Kontakt mit den EU-Mitgliedsstaaten und vor allem mit den griechischen Behörden. Außerdem werde mit viel Geld ein emergency response action plan auf den Weg gebracht, ein Notfallplan für Griechenland zwischen Migration und Corona.

Schleppendes Krisenmanagement von Brüssel und Athen

Bisher das einzige sichtbare Ergebnis vor Ort: Am Eingang des Camps Moria steht ein medizinischer Container, in dem infizierte Menschen isoliert und behandelt werden könnten. Für den Grünen-EU-Parlamentarier Erik Marquardt, der seit Ende Februar die Lage auf Lesbos verfolgt, ist das schleppende Krisenmanagement von Brüssel und Athen schwer erträglich.

Das ist also bisher die Antwort der griechischen Regierung darauf, dass sich dort in Windeseile 20.000 Menschen mit diesem Virus infizieren könnten, wenn es dort ankommt. Und das belastet ja nicht nur das Camp, wo mit Hunderten Toten zu rechnen wäre, auch das Gesundheitssystem auf der Insel wird dann völlig überlastet sein.

Fortgeschritten scheinen dagegen die schon lang diskutierten Pläne der EU-Kommission, 1600 besonders gefährdete Kinder und unbegleitete Minderjährige aus Moria zu evakuieren nach Deutschland und in andere EU-Länder.  

Gesten statt Lösungen

"Hier haben sich acht Mitgliedsstaaten bereit erklärt, Kinder und Jugendliche aufzunehmen, mit den ersten könnte es schon bald losgehen", erklärt EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. "Diese EU-Staaten zeigen Solidarität - gerade jetzt, wo sie besonders nötig ist."

Doch zum einen könne sich diese Aktion wegen der Coronakrise in der EU noch verzögern, so der Grünen-Abgeordnete Erik Marquardt. Und zum anderen sei die Evakuierung von wenigen Kindern zwar eine humanitäre Geste - aber noch lange keine Lösung des Problems.

Am Ende geht es nicht darum, dass man einige Kinder evakuiert, sondern dass man dieses Virus aufhält.

Horrorvorstellung Corona-Infektion

Genau deshalb sei Eile geboten, so Peter Casaer von Ärzte ohne Grenzen in Moria. Er will sich lieber nicht vorstellen, was passiert, wenn der erste Corona-Fall im Lager bekannt wird.

"Worauf wartet die EU-Kommission? Das ist die Frage, die sich hier alle stellen. Die Menschen wissen ganz genau, dass dieses Virus sie bedroht, und sie haben Angst."

Weil Corona buchstäblich vor den Toren lauert, fordern Ärzte ohne Grenzen und andere Organisationen schon seit Monaten, Camps wie Moria komplett zu räumen, bevor es zu spät ist. Die Behörden müssten dringend die Kapazitäten ausweiten - auf dem griechischen Festland und in anderen EU-Staaten.

Unterkünfte, zum Beispiel in leer stehenden Hotels, gebe es genug. Statt mit Hunderten Brüsseler Euro-Millionen Zeit zu verschwenden und etwa neue und geschlossene Lager zu bauen, müsse mit dem Geld sofort und koordiniert geholfen werden, fordert Peter Casaer. Im Wettlauf mit Covid-19 bleibe nicht mehr viel Zeit.

Wenn der politische Wille da ist, kann es gelingen. Wenn nicht, müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen.
Alexander Göbel, Alexander Göbel, ARD Brüssel, 03.04.2020 08:25 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 03. April 2020 um 05:08 Uhr.