Männer vor einer Migrantenherberge

US-Grenze zu Mexiko Migranten hoffen auf Biden

Stand: 02.11.2020 11:44 Uhr

Die versprochene Mauer an der Grenze zu Mexiko hat US-Präsident Trump nicht gebaut. Dafür gibt es aber viele Kilometer Zaun. Für Migranten wird es immer schwerer, über die Grenze zu kommen. Sie hoffen auf einen neuen Präsidenten.

"Darf die Polizei hier einfach so reinkommen? Ja oder nein?", fragt Irineo Mujica in einer Migrantenherberge in Sonoyta in Mexiko. Der Herbergsleiter ist umringt von etwa 30 Migranten, es sind ausschließlich Männer. Auf seine Fragen schütteln einige verneinend den Kopf. "Dürfen sie Euch einfach so mitnehmen?," fragt er weiter.

Die meisten Migranten - vorwiegend aus Honduras, El Salvador und Guatemala - sind bereits seit Monaten oder sogar Jahren unterwegs. Ihrem Ziel sind sie in diesem Moment ganz nah. Der kleine mexikanische Ort Sonoyta ist nur vier Kilometer von der US-amerikanischen Grenze entfernt, mitten in der Wüste von Sonora.

Christian aus Honduras

Christian, 26, aus Honduras, hat fünfmal versucht, über die Grenze zu kommen und wurde jedes Mal abgeschoben.

Wenn sich Christian auf eine Anhöhe unweit der Herberge stellt, dann sieht er Trumps Mauer – ein neun Meter hoher rostbrauner Zaun aus Stahl-Stelen. Der 26-jährige Honduraner kennt die andere Seite der Grenze bereits. "Ich habe es fünf Mal versucht, immer haben sie mich erwischt und dann abgeschoben", sagt er. "Mein letzter Versuch war im Januar, aber es war zu heiß. Ich hatte das Gefühl, ich schaffe den Weg durch die Wüste nicht. Ich habe mich dann selbst der Grenzpolizei übergeben."

Pandemie erschwert Asylverfahren

Landsleute sind in der Wüste gestorben, das weiß er. Obwohl seine Situation hoffnungslos scheint, lächelt er. Auf seinem Handy hat er Bilder seiner achtjährigen Tochter, sie musste er bei der Mutter zurücklassen. In Honduras wurde er von Mitgliedern der kriminellen Jugendbanden, den sogenannten Maras, verfolgt und bedroht, erzählt er. Christian hat einen Asylantrag gestellt. Am 26. August hätte er vor einem US-Gericht vorsprechen sollen. Doch der Termin wurde gestrichen - wegen der Pandemie.

Ähnlich geht es Nudiez Aguirre. Die Kubanerin sitzt seit Monaten zusammen mit ihrer 18-Jährigen Tochter in einer Unterkunft für Mütter mit ihren Kindern in Mexicali an der Grenze fest. Sie hofft, dass im Falle eines Wahlsiegs des Demokraten Joe Biden ihr Asylverfahren beschleunigt wird. "Biden hat gesagt, dass er die Asylverfahren der Menschen, die an der Grenze sind, vorantreiben will", sagt sie. "Mal sehen, ob er sich an das hält, was er in seiner Wahlkampagne angekündigt hat. Trump schafft für uns eine Hürde nach der anderen. Er sorgt dafür, dass so wenig Migranten wie möglich ins Land kommen."

Trump drohte Mexiko mit Strafzöllen

Auf ihre Anhörung muss die Kubanerin in Mexiko warten, diese Regelung setzte US-Präsident Donald Trump im letzten Jahr durch. Seine Abschottungspolitik hat die Kubanerin am eigenen Leib zu spüren bekommen. 

Im letzten Jahr setzte der US-Präsident den Nachbarn Mexiko massiv unter Druck. Er hatte mit Strafzöllen von bis zu 25 Prozent auf Warenimporte gedroht, wenn es den Mexikanern nicht gelingen sollte, Flüchtlinge und Migranten auf ihrem Weg in die USA aufzuhalten. Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador wehrte sich zunächst zaghaft: "Der US-Präsident wird verstehen, dass wir uns darauf in dieser Form nicht einlassen können, es bedarf einer Richtigstellung."

Eine Mauer aus Sicherheitskräften

Doch am Ende beugte er sich. Der mexikanische Präsident hat sich mit Trump arrangiert. Das Land fängt die Migrantinnen und Migranten heute schon viel weiter im Süden, rund 3000 Kilometer vor der Grenze zu den USA ab. Tausende Sicherheitskräfte der mexikanischen Nationalgarde helfen dabei - eine Mauer nicht aus Stahl, sondern aus Menschen.

Dass sich an dieser Politik unter einem demokratischen Präsidenten Biden etwas ändern würde, glaubt Christian Ambrosius, Gastprofessor an der Nationalen Autonomen Universität in Mexiko (UNAM), nicht. "Auch unter Biden ist mit einer relativ restriktiven Migrationspolitik zu rechnen", sagt er. "Viele vergessen, dass die meisten Abschiebungen unter Obama stattgefunden haben und gar nicht unter Trump. Der Höhepunkt der Abschiebungen war unter Obama und an der Politik wird sich glaube ich gar nicht so viel ändern." Doch der Ton werde sich ändern, glaubt er. Mehr versöhnliche Töne, weniger Politik oder Diskurs der Spaltung.

Von Kartellen kontrolliert

Zurück in die Wüstenstadt Sonoyta. Der Herbergsleiter Irineo Mujica sieht täglich die verzweifelte Situation der Migranten. Trumps "Mauer" sei nicht das Problem. "Es ist eben keine Mauer, sondern ein hoher Zaun, man kann ihn aufsägen, die Migranten kommen relativ einfach durch", sagt er. "Oder sie kommen mit Strickleitern rüber. Das ganze dauert nur fünf Minuten." Einen Weg fänden sie immer. Die Grenzregion ist in den Händen vom organisierten Verbrechen - das sei sicher die größere Gefahr, sagt Mujica.

"Auch hier der Ort wird von den Kartellen kontrolliert, sagt Mujica. Sie kämpften um ihre Territorien. Unter anderem sei das Kartell der Söhne des Chapo Gúzman hier aktiv. "Erst letztens sind 20 Menschen ums Leben gekommen. Die haben hier im Ort wild rumgeschossen." Den Migranten aus der Herberge zufolge seien auch zwei von ihnen getötet worden.

Migranten kommen weiterhin - trotz Corona

Doch die Migranten nehmen all das auf sich, denn an den Fluchtgründen ändert sich nichts. "Die Gewalt in den Herkunftsländern, der Hunger bleiben. Und durch Covid verschlimmert sich die Situation nur noch", sagt der Herbergsleiter. "Sie werden sich weiter auf den Weg machen, jetzt wird es kühler, es werden immer mehr kommen", prophezeit Mujica. Trotz Corona.

Er war Mit-Initiator der Migranten-Karawane aus Mittelamerika vor zwei Jahren. Damals hatten sich Tausende Menschen zusammen auf den Weg gemacht. Er wollte das Problem der Migranten damit sichtbar machen. Mujica hat die doppelte Staatsbürgerschaft, pendelt zwischen den USA und Mexiko. Seine Eltern haben den "American Dream" verwirklicht.

Ein Flickenzaun

Trumps "Mauer" ist eher ein Flickenzaun.

Keine hohen Erwartungen an Biden

Er hofft, dass eine Mehrheit der US-Amerikaner sich für den Demokraten Joe Biden entscheiden wird. "Ich beobachte ihn seit Jahren und halte ihn für einen anständigen Menschen", sagt Mujica. "Er wird sich möglicherweise nicht besonders um das Thema Migration kümmern, aber auch keine unmenschlichen Maßnahmen ergreifen." Er habe keine hohen Erwartungen an Biden. "Aber trotzdem hoffe ich, dass er gewinnt, sich vier Jahre hält, aber dann ein Besserer kommt."

Christian will nicht länger darauf warten, dass sich politisch zu seinen Gunsten etwas tut. Er will schon bald einen neuen Versuch starten, die Grenze überqueren - mit einem Schlepper. Eine Freundin aus Honduras, die in den USA bereits ganz legal lebt, hat für ihn Geld zusammengekratzt. 5000 Dollar benötigt er.

"So Gott will, klappt es hoffentlich schon bald", sagt Christian. "Heute, morgen, übermorgen. Dann ziehe ich mir meine Tarnhose an, nehme einen Wasserkanister mit, mehr nicht. Acht Tage geht es durch die Wüste – für Arbeit und ein besseres Leben." Das hofft er zumindest.

Dieses Thema im Programm: Dieser Beitrag lief am 02. November 2020 um 05:49 Uhr im Deutschlandfunk.