Antrittsbesuch der Kanzlerin bei EU-Kommission Das Ringen um die Macht in Europa

Stand: 04.03.2015 09:06 Uhr

Kanzlerin Merkel besucht heute zum ersten Mal die neue EU-Kommission in Brüssel. Der Besuch ist ein Test für beide Seiten. Mit Kommissionspräsident Juncker ringt Merkel in Europa um die Macht.

Von Kai Küstner, NDR-Hörfunkstudio Brüssel

Für konservative Naturen ist EU-Kommissions-Chef Jean-Claude Juncker eine Art Wolf im Schafspelz - ein verkappter Sozialdemokrat in der Verkleidung eines Christdemokraten. Richtig ist, dass sich der auch von CDU und CSU gestützte Spitzenkandidat im Europa-Wahlkampf mit seinem vermeintlichen Gegner Martin Schulz von der SPD bisweilen so gut verstand, dass Streit nur darüber aufkam, wer zuerst dieselbe Meinung vertreten hatte.

"Das spricht ja nicht gegen ihn, wenn er das sagt, was ich vertrete. Das spricht ja für Jean-Claude Juncker", argumentierte Schulz. "Ich gebe Herrn Schulz Recht, wenn er so denkt wie ich", entgegnete Juncker.

"Schuncker und Julz" und die Kanzlerin

Juncker und Schulz - einige in Brüssel lästern: "Schuncker und Julz" - sind heute eng befreundet. Die deutsche Kanzlerin hingegen, Christdemokratin wie Juncker, wand sich bis zum Schluss, bis sie diesem endlich ihr Okay gab. Zuerst als Europa-Spitzenkandidat ihrer Partei, dann als EU-Kommissions-Chef. Niemand käme auf die Idee, von "Muncker und Jerkel" zu sprechen.

Jan Techau, Direktor der Denkfabrik Carnegie Europe in Brüssel, schätzt das Verhältnis der beiden so ein: "Es gab eben diese Verstimmungen der Kanzlerin in der Eurokrise. Da hat sie das Gefühl gehabt, dass Juncker zu weich ist und dass er den 'Schuldner-Ländern' zu weit entgegenkommen würde. Da haben sie sicher nicht immer die selbe Auffassung."

Auch im jüngsten Akt des Schuldendramas mit Griechenland seien die Gegensätze wieder zutage getreten. Auf der einen Seite ist Merkel, die Athen hart auf Sparkurs zu halten suchte und auf der anderen Seite gibt es Juncker, der Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras mit "Küsschen rechts, Küsschen links" empfing und sich als Vermittler betätigte. "Der Versuch der griechischen Regierung, ihn zum Anwalt zu machen in den Verhandlungen zwischen Griechenland und der Eurozone, hat nicht gefruchtet. Weil eben ganz klar ist, wer in dieser Frage dominiert - die Eurozone unter der Führung Deutschlands", meint Techau.

Wer soll Europas Geschicke bestimmen?

Letztlich, meint der Politikexperte, täten sich Merkel und Juncker nicht aus persönlichen Gründen so schwer miteinander, sondern weil die beiden schlicht dabei seien, eine Machtfrage auszufechten. Wer soll Europas Geschicke bestimmen? Berlin oder Brüssel? "Wir sind die Kommission der Europäischen Union und nicht die Ableger oder Befehlsempfänger nationaler Regierungen", betonte Juncker gleich zu Beginn als er seine Kommissionsmannschaft vorstellte. Und nicht wenige meinen, das es kein Zufall war, dass er ausgerechnet diese Sätze auf Deutsch sagte, während er sonst viel Englisch und Französisch sprach.

Anders als sein Vorgänger José Manuel Barroso, der sehr oft in Berlin anrief, versucht Juncker, Merkel deren Rolle als heimliche Regentin Europas streitig zu machen. "Sie als stärkste Verhandlerin hat natürlich ein Interesse daran, die Institutionen klein zu halten. Und Juncker, der aus einem winzigen Euroland kommt, möchte die Institutionen stärken, weil das der Hebel für die Kleinen ist, um mitzuspielen. Das ist im Grunde der Hauptgegensatz zwischen den beiden", erklärt Techau.

Die Frage ist, inwieweit Merkel bereit ist, im Machtkampf Berlin-Brüssel nachzugeben. Am Ende könnte es sogar hilfreich sein, nicht als EU-Allein-Entscheiderin wahrgenommen zu werden. Völlig verflogen sind die Vorbehalte gegen ein zu starkes Deutschland in Europa nämlich nicht.

Kai Küstner, K. Küstner, ARD Brüssel, 04.03.2015 09:00 Uhr